Kein Geld für interkulturelle Beratung: Im falschen Topf
Der Verband binationaler Partnerschaften und Familie soll kein Geld mehr bekommen, weil er nicht nur Frauen berät, sondern auch Männer und Familien.

Die Menschen, die die Beratungsstelle in Kreuzberg aufsuchen, haben ganz unterschiedliche Probleme. Es kommen zum Beispiel nicht-deutsche Frauen, die einen deutschen Mann geheiratet haben, nun aber nach dem Scheitern der Ehe zurück wollen und nicht wissen, ob und wie sie die Kinder mitnehmen können. Es kommen binationale Paare für eine Rechtsberatung, „weil sie heiraten wollen und nicht wissen, welche Papiere man benötigt“, so Lima Curvello.
Eine weitere Gruppe ist erst in den letzten zehn Jahren in der Beratung aufgetaucht, erzählt die gebürtige Brasilianerin: junge Erwachsene der zweiten oder dritten Einwanderergeneration, die unter den traditionsbehafteten Erwartungen oder Forderungen ihrer Eltern leiden. Die etwa ihre*n deutsche*n Partner*in verlassen oder eine*n muslimische*n Partner*in heiraten sollen. Oder die es nicht mehr aushalten, dass sie für die ganze Familie den Papier- und Ämterkram übernehmen sollen, weil sie als einzige richtig gut Deutsch sprechen. „Interkulturelle Probleme innerhalb von Familien aufgrund nicht bearbeiteter Integrationsfragen sind ein zentrales neues Thema in unserer Beratung“, erklärt Curvello.
Der Verband bietet Rechtsberatung sowie therapeutische Einzel-, Paar- oder Familienberatung durch ausgebildete Therapeut*innen, die neben klassischer Psychologie auch den gesellschaftlichen Kontext von Psychologie in den Blick nehmen. „Die Ethnopsychoanalyse ist eine besondere Herausforderung für Therapeuten, weil auch sie lernen müssen, mit ihren eigenen kulturell erlernten Weltbildern umzugehen“, sagt Lima Curvello.
Anfang als Frauenverein
Ihr Wissen und ihre Erfahrungen geben die therapeutischen Berater*innen und Anwält*innen über Supervisionen und Workshops an andere Organisationen, an Ämter, Multiplikator:innen, Berater*innen weiter – darunter sind etwa das Auswärtige Amt und die Erziehungsberatungsstelle Fennpfuhl. Rund 2.000 Beratungen haben die Mitarbeitenden in 2024 abgehalten, wöchentlich gibt es etwa fünf Rechtsberatungen und 15 bis 20 therapeutische Beratungen.
Bisher gab es für die Arbeit knapp 200.000 Euro aus der Abteilung Gleichstellung der Senatsverwaltung für Integration und Arbeit. „Das hat historische Gründe“, erklärt Lima Curvello. „Zu Beginn waren wir ein Frauenverein, während wir heute geschlechtsunabhängig beraten, also auch Männer, sowie Familien und Paare.“ Seit 1973 wird der Berliner Ableger des Verbands durchgehend von der Senatsverwaltung gefördert.
„Was damals als kleines Projekt begann, ist heute eine anerkannte und etablierte Beratungsstelle und ein Kompetenzzentrum für interkulturelle Partnerschaften und Familien", schreibt die in Frankfurt/Main ansässige Bundesgeschäftsstelle des Verbands in einem „Brief an die Politik", in dem sie darlegt, warum die Einstellung der Förderung nicht nur für Ratsuchende, sondern auch für die gesamte Beratungs- und Integrationslandschaft Berlins gravierende Folgen hätte.
Die Senatsverwaltung bestätigt auf taz-Anfrage, das Projekt nicht weiter fördern zu wollen. Es habe „keine explizit frauenspezifische Ausrichtung“ und richte sich damit „weniger an unsere primäre Zielgruppe, nämlich Frauen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte in besonderen Konflikt- und Lebenslagen“. Zudem habe das Projekt einen starken Fokus auf Fachöffentlichkeit, Wissenstransfer und Konzeptentwicklung. Das seien zwar wichtige Themen, aber "angesichts der knappen Ressourcen hat unser Haus entschieden, den Schwerpunkt auf unmittelbare, niedrigschwellige Unterstützungsangebote für die genannte Zielgruppe zu legen."
Darüber kann Lima Curvello nur den Kopf schütteln. Schon seit Jahren sei es so, dass sie auch Männer und Paare beraten – also strenggenommen nicht in den Gleichstellungsfinanztopf „passen“, aber dies habe die Verwaltung nie gestört. „Die Politik redet ständig von gesellschaftlichem Zusammenhalt, von Integration und sozialer Stabilität – aber einen Verband, der sich auf Familienebene darum kümmert, lässt man im Stich.“
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