Drecksarbeit für die AfD: Bürgergeldempfänger sollen für 1,20 Euro arbeiten
In Nordhausen sollen junge Bürgergeldempfänger:innen nun für 1,20 Euro die Stunde schuften. So sieht’s aus, wenn AfD-Populismus umgesetzt wird.
G erne erledigen zurzeit die demokratischen Parteien im Bund die Drecksarbeit für die AfD. Das gemeinsame Ziel der Rechtsextremen wie auch ihrer Steigbügelhalter: Deutschland soll jeden Tag ein kleines bisschen scheißer werden. Ob Streichung der Pflegestufe I oder der Forschungsmittel gegen Long Covid, ob Verwässerung des Klimaschutzes oder das Allheilmittel „Ausländer raus“ – stets hechelt man dahin, wo die Faschisten schon sind.
Kein Wunder, dass dergleichen erst recht auf kommunaler Ebene in Thüringen passiert, also dort, wo die Politik ohnehin längst mit dem Rücken zur Wand steht und mit beiden Händen mehr schlecht als recht die Attacken der Rechtsradikalen abzuwehren versucht.
In diesem Fall versucht sich Matthias Jendricke (SPD), der Landrat des Kreises Nordhausen, als willfähriger Sachwalter des Bösen: Wie direktemang dem Wahlprogramm der blauen Nazis entnommen, schickt der Politiker junge Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren in die Grünanlagen, um für 1,20 Euro die Stunde Laub zu rechen und Sträucher zu schneiden. Alternative Zwangsarbeitsorte sind auch der örtliche Bauhof oder gemeinnützige Werkstätten. Im Büßergewand Körbe flechten für einen Kanten Brot – wer nun dieses Bild aus dem 18. Jahrhundert im Kopf hat, dürfte so falsch nicht liegen.
Das alles entspricht exakt der Forderung der AfD-Fraktion im Bundestag nach einer Einführung von verpflichtender Bürgerarbeit: Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sollen dabei „grundsätzlich an die Teilnahme an der ‚Bürgerarbeit‘ mit fünfzehn Wochenstunden geknüpft werden, soweit nicht bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit mindestens zwanzig Wochenstunden besteht.“
„Wachrütteln“
Das diesen Montag beginnende Projekt umfasst zunächst sechzig adoleszente Arbeitslose, zum Teil ganz ohne oder mit abgebrochener Ausbildung. Es soll dazu dienen, den Alltag der Teilnehmer zu strukturieren und ihnen Verantwortung beizubringen. Von „wachrütteln“ und „Unterstützung anbieten“ spricht dabei der Landrat – die Probleme der jeweiligen Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt individuell unter die Lupe zu nehmen, war wohl zu anstrengend. Lieber alle in einen Sack und Knüppel drauf. Beziehungsweise Schaufel. Ist ja auch eine Art „wachrütteln“.
Von den sechzig Landeskindern erschienen nur dreißig zum ersten Arbeitstermin. Die anderen dreißig, vom Ordnungsamt daraufhin persönlich aufgesucht, hatten erst mal keinen Bock. Was den gesunden Menschenverstand wenig verwundert, rief im Landrat jedoch große Enttäuschung über seine ungezogenen Schäfchen hervor. Er forderte daher nun eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld; das Jobcenter prüft bereits eine Kürzung.
Auch die thüringische SPD ist offenbar in diese Wahnwelt eingetreten, in der das Hauptproblem nicht steuerfreie Milliardenerben sind, sondern sechzig Nordhäuser Jugendliche, genauer gesagt jene „dirty thirty“, die nicht öffnen, wenn um sieben Uhr morgens die Büttel des Landvogts an die Tür hämmern, um die Knechte zur Fronarbeit abzuholen.
Denn genau diese „Arbeitsscheuen“ – so lautet die Botschaft der politischen Rosstäuscher fast jeder Couleur –, sind es, die die Wirtschaft bremsen und unser Land zerstören: Die arbeitslosen Jugendlichen (dauerdaddelnde Snowflakes, die in einem fort wie am Spieß nach einer schaumbadähnlichen Work-Life-Balance schreien, statt zu arbeiten), die arbeitslosen Ausländer und die arbeitslosen ausländischen Jugendlichen.
Sand im Gulag umschütten
Das klingt schon sehr nach wohlfeilem Populismus und statuiertem Exempel. Denn die Zahl der Totalverweigerer unter den Bürgergeldempfängern liegt laut verschiedenen Quellen zwischen 0,4 Prozent und 0,9 Prozent.
Warum also sollte man die in der Mehrheit Arbeitswilligen zur Zwangsarbeit verdonnern? Noch dazu, da junge Arbeitslose, laut Arbeitsamt oft auch ausländische, mit dem Bewerbungsprozess überfordert sind. Wäre es vielleicht sinnvoller, hier anzusetzen? Kurse für Sprache, Bewerbungsschreiben, Motivationstraining, Psychotherapie. Wer wie im Gulag für einen Hungerlohn dazu verdonnert wird, Sand von einem Haufen auf den anderen zu schaufeln, lernt weder Alltagsstrukturierung noch Verantwortung. Nicht für sich und nicht für andere.
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