Neuer Ausbruch der Vogelgrippe: Wenn Kraniche vom Himmel fallen
Naturschützer vor Ort fühlen sich beim Bergen der Vogelleichen überfordert. Experten sprechen inzwischen von einer weltweiten Verbreitung.
Mittlerweile sind sogar Fälle aus der Antarktis dokumentiert: Es ist die schlimmste Grippewelle in der Vogelwelt, die je grassierte. Mittlerweile wurden mehr als 100 Millionen tote Wild- und Hausvögel allein in Europa, Afrika und Asien registriert. „Die Erreger sind hauptsächlich H5- und H7-Subtypen von Influenza-A-Viren“, erklärte Hortense Slevogt, Professorin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Wie bei Corona stammen die die Krankheit auslösenden Viren aus Südostasien. Von dort breitete sie sich seit den 90er Jahren weltweit aus. Weil sie bei Geflügel zumeist tödlich endet, wird sie auch als „Geflügelpest“ bezeichnet.
Ursprünglich betroffen waren nur Vögel, weshalb wenig Aufwand bei der Eindämmung und Bekämpfung betrieben wurde. Zwar gibt es mittlerweile einen Impfstoff, in Europa ist der jedoch nur für Menschen zugelassen, die in der Geflügelwirtschaft arbeiten. Für die Tiere selbst ist der Impfstoff verboten. Vor einigen Jahren war der Virus über den Atlantik gelangt und breitete sich rasant in Nordamerika und dann weiter in den Süden aus.
In die Schlagzeilen geraten ist die Grippewelle jetzt wegen des Vogelzugs der Kraniche: Allein im Linumer Teichgebiet in Brandenburg wurden mehr als 1.000 tote Tiere geborgen, die Gegend gehört zu den größten Rastplätzen der Kraniche auf ihrem Weg von Skandinavien nach Spanien oder Südfrankreich. „Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Virus in feuchtem Milieu, zum Beispiel in Feuchtgebieten oder Wasserstellen, über Tage bis Wochen infektiös bleibt, was eine zusätzliche Gefahr für die weitere Ausbreitung darstellt“, erklärte das Potsdamer Umweltministerium. Dessen Sprecher Matthias Bruck sagte der taz: „Die Vögel fallen gerade wirklich tot vom Himmel.“
Naturschützer vor Ort fordern inzwischen professionelle Unterstützung bei der Bergung der Kadaver, Norbert Schneeweiß vom Artenkompetenzzentrum erklärte im RBB: „Das kann nicht der Naturfreund in seiner Freizeit machen.“ Allein im Linumer Luch rasten jährlich bis zu 90.000 Kraniche, Axel Kruschat vom BUND Brandenburg fürchtet eine Katastrophe: „Die Übertragungswege sind sehr kurz“. Auch die Nuthe-Nieplitz-Niederung und der Nationalpark Unteres Odertal sind wichtige Rastplätze für den „Vogel des Glücks“. Tote Kraniche wurden auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeldet.
Weltweite Verbreitung
Die Grippewelle macht keinen Bogen um Geflügelhalter: Im Landkreis Oberhavel mussten 5.000 Gänse getötet werden. Zuvor war im Gehege ein toter Kranich gefunden worden, erklärte der Betriebsleiter des Hofes der dpa. Vogelschützer warnen, dass sich mit dem Zug der Kraniche die aktuelle Grippewelle explosionsartig über Europa ausweitet. Das Friedrich-Loeffler-Institut – Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit – spricht inzwischen von einer „Panzootie“, also einer weltweiten Verbreitung.
Doch die Vogelgrippe bleibt nicht auf Geflügel beschränkt: Bären, Füchse, Wölfe und andere fleischfressende Säugetiere haben sich ebenfalls angesteckt. In Polen infizierten sich massenhaft Hauskatzen. „Mittlerweile gibt es Hinweise auf Säugetier-zu-Säugetier-Übertragungen, was das potenzielle Risiko für Menschen erhöht“, so Professorin Slevogt. Tatsächlich hatten sich zwischen 2005 bis 2015 mehr als 2.500 Menschen infiziert, für 40 Prozent endete die Krankheit tödlich. Die aktuelle Grippevariante scheine aber nur eine geringe Tendenz zu haben, den Menschen zu infizieren, erklärte das Friedrich-Loeffler-Institut, aktuell seien 10 Menschen infiziert. Dennoch raten die Experten „Kontakte mit erkrankten oder verendeten Wildvögeln meiden.“
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert