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Die bessere Buchmesse

Foto: Erik Irmer

Das war noch was, als ich wusste, was ich lesen will und wer die Leute sind, die so schreiben, dass die Bilder, die in meinem Kopf entstehen, mich überraschen. Ich kannte die Namen von Autor*innen, die mich nicht kalt ließen, die Worte auf eine Weise setzten, die mein inneres Echo mehrstimmig machten und nicht dumpf und von denen ich bis heute zehre. Ging ich in Buchläden, war das, als besuche ich mir liebe Bekannte. Sie sprachen durch ihre Bücher zu mir.

Es hätte immer so weitergehen können, aber einige starben, die Literatur veränderte sich und auch ich mich.

Irgendwann fing ich an, mich in Buchläden zu verlieren. Zunehmend traf ich nur noch auf Fremde dort. Und ohnehin wurden Buchläden zu Supermärkten. Sobald ich sie betrat, überkam mich Müdigkeit angesichts des Zuviel an Worten. Manchmal kaufte ich dann doch ein Buch, weil mir der Umschlag gefiel. Oder weil jemand mit klingendem Namen es in höchstem Ton lobte. Auf Worte wie „Meisterwerk“, „einzigartig“, auf Sätze wie „eine Stimme, die man kennen muss“ falle ich rein. Schon klar, es sind Gefälligkeits­lügen. Hat die lobende Person Zugang zu Leitmedien, umso schlimmer.

Wie dem auch sei, ich verlor den Kontakt zur Literatur. Zu viel und zu viel Bull­shit. Zeugs, das nicht zur Kopfdroge taugt, kein Echo auslöst; Texte, die Moden bedienen und langweilig waren. Fortan mied ich Buchläden, las keine Rezensionen mehr, angesagte Rankings von Neuerscheinungen ließen mich kalt.

Ein paar Jahre ging das so, dann geschah ein Wunder. In einer Kiste an der Straße lagen Bücher. Eins nahm ich mit, ein dünnes. Der Name des Autors sagte mir nichts. Er hatte eine Geschichte geschrieben, die am Rio de la Plata spielt und von der man lernen kann, wie man schreiben muss, damit Spannung entsteht. Krimi, Liebesroman, Drama und eine Parodie auf die testosteron­getriebene Idiotie der Männer in einem ist das Buch. Die Hauptfigur ist Schriftsteller.

Seit dieser Erfahrung komme ich selten an Bücherkisten und Straßenbibliothen in Telefonzellen vorbei, ohne etwas mitzunehmen. (Und hineinzustellen.)

Ich bereue meine neue Nähe zur gebrauchten Literatur nicht. Die Geschichte eines Mädchens im 16. Jahrhundert, das verkleidet als Junge Zugang zu Bildung in einem Männerkloster erhält, bis ein Mönch den vermeintlichen Jungen missbrauchen will, war wahnsinnig spannend. Die Biografie eines französischen Arbeitsmigranten aus der Kabylei wiederum war in Worte gekleidete Poesie. Das letzte Buch aus einer Bücherkiste, das ich mir in Windeseile reinzog, hatte den Losertitel „Pi mal Daumen“. Kein Wunder ist es in der taz nicht besprochen worden.

Ich schreibe jetzt nicht, wer all diese Au­to­r*in­nen sind. Die Fehler des Literaturbetriebs sollen hier nicht wiederholt werden. Wer nie mehr achtlos an Bücherkisten vorbei geht, findet sie oder eben andere. Bücherkisten sind nachhaltige, niedrigschwellige Wunderkammern der Literatur, in der alle Bücher gleich wertlos und wertvoll sind. Niemand macht auf Buchmessen einen Wirbel um sie und ohne aufgeblasenes Besprechungswesen kommt, was drin liegt, auf jeden Fall aus. Waltraud Schwab

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