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Die WahrheitEndlich Gerechtigkeit

Das Bürgergeld wird abgeschafft. Da singen die Englein Halleluja und die Bürger freuen sich einen Ast an den Gesellschaftsbaum der Erkenntnis.

Die Kasse klingelt nicht für jeden Empfänger Foto: Eric Vidal/reuters

Als sie neulich die frohe Nachricht im Frühstücksfernsehen brachten, mischte sich in einer Küche im niedersächsischen Neu-Wulmstorf endlich wieder so etwas wie der Hauch einer Hoffnung in den morgendlichen Kaffeeduft. „Sie schaffen das Bürgergeld ab, Nicki!“, rief Torben Hauschild, 45, Excel-Listen-Führer bei einem Hamburger Abwracker, und schwenkte triumphierend die Fernbedienung. „Endlich zieht wieder Gerechtigkeit ein in Deutschland!“

Nicole Hauschild, 33, die beruflich das Blut in einer Buxtehuder Schlachterei aufwischt, sprang aus dem Bett. Das Nachthemd nur mal gerade so auf halb acht, entkorkte sie zum Frühstück den Schampus aus dem streng gehüteten Silvestervorrat. „Auf das Unwohl der Schmarotzer!“, prostete sie ihrem Mann zu, „endlich kriegen die Totalverweigerer ihr Fett weg.“ Und dann mussten beide lachen, so begeistert und so entrückt, dass die Nachbarn dachten, die Hauschilds hätten letztes Mal CDU gewählt. Hatten sie ja auch.

Entsprechend beschwingt schritt Torben dann zu seinem Cupra – in der festen Überzeugung, dass ab diesem feinen Oktobermorgen alles wieder wie früher sein würde. Keine Staus mehr auf dem Weg zur Arbeit, keine Blitzer-Abzocke auf der B73, keine Lkws, die ihm am Außenspiegel knabbern.

Schließlich hatten sie letzte Nacht das Bürgergeld abgeschafft – da musste doch ein Ruck oder wenigstens die alte Ordnung wieder spürbar werden als Folge der neuen Gerechtigkeit. Doch denkste. Schon nach drei Kilometern wieder ein einziges Bremslichtermeer. Ein Unfall dieses Mal Höhe Brutzelhütte. Dazu rote Welle, schleichende Pendler, besengte Radfahrer. Alles wie immer.

So auch in der Firma: Dasselbe flackernde Neonlicht, dieselbe gedrückte Stimmung, derselbe olle Pumpkaffee. Dazu derselbe Chef, der immer Teamplaying sagt, aber Unterwürfigkeit meint. Und in der Kantine? Gab’s wieder nur Geschnetzeltes an Gummireis.

Alles wie immer

Am Wochenende dann checkte er sein Konto: 1.227,36 Euro – selbstverständlich im Soll. „Komisch“, dachte er, „alles wie immer.“ Auch sein Nachbar, Uwe Koplin, 59, Lkw-Fahrer im dritten Bandscheibenvorfall, hatte den Fernseher an besagtem Morgen lauter gedreht, als sie im „Morgenmagazin“ über das Bürgergeld-Aus berichteten.

„Jetzt geht’s bergauf“, ließ er seine Whatsapp-Gruppe wissen. Anschließend stand auch er auf der B73 nur wieder stumpf im Stau. Und an den nächsten Tagen wieder. Kein Vorwärtskommen, kein Wohlstandsschub, kein höheres Leistungslevel – trotz so viel mehr Gerechtigkeit durch endlich weniger Stütze.

Zur gleichen Zeit hatte nur ein paar hundert Kilometer südwärts, Nähe Bottrop, der Autohändler Dieter Malchow, 55, beschlossen, seinen Showroom ab sofort eine halbe Stunde früher zu öffnen: „Weil das Land ja jetzt wieder in Schwung kommt.“ Doch es passierte seitdem – genau nichts.

Keine Veränderung

In Erfurt wartete die ganze Woche über Friseurin Nadine Spranger, 28, auf den großen Gerechtigkeitsschub. Auch sie hatte gehofft, dass endlich mehr Kundschaft kommt, „weil ja jetzt alle arbeiten müssen und Kohle machen“. Aber ihr Laden blieb leer. Der Fön summte ins Nichts, während sie sich selbst die Spitzen schnitt.

Eine Woche nach dem Bürgergeld-Aus saß in Berlin CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in seiner Dienstwohnung. Der von Geburt an Siebzigjährige mit dem pfiffigen Opel-Blitz-Gesicht war zufrieden zunächst mit dem Erreichten gewesen, sehr sogar. Doch dann machten sich zusehends Zweifel und Ratlosigkeit hinter seinen weit aufgerissenen Scheinwerfern breit.

Er hatte die Schlagzeilen wohl gesehen: „Endlich Schluss mit der Hängematte!“ Genau das, wofür er mit seinem Kanzler gekämpft hatte. Doch als er seine Festgeldkonten checkte, sah er: alles wie immer. Auch die Goldbarren – im Bettkasten sorgfältig aufgereiht – hatten sich die Woche über nicht vermehrt. Kein goldener Glanz der Genugtuung, nur das fahle Licht der Nachttischlampe.

Draußen glänzten die regennassen Straßen im Licht der paar noch funktionierenden Laternen. Er trat ans Fenster. Nichts hatte sich verändert. Und schlimmer, Linnemann ahnte es längst: Gar nichts würde sich ändern. Nur das leise Plingpling der SMS-Nachrichten des Kanzlers erinnerte ihn daran, dass Politik vielleicht doch mehr ist, als anderen das Leben möglichst schwer zu machen.

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