Bodenoffensive in Gaza-Stadt: EU-Kommission will Sanktionen gegen Israel
In Reaktion auf die israelische Bodenoffensive in Gaza-Stadt schlägt die Kommission Handelssanktionen vor. Die Bundesregierung reagiert zurückhaltend.

Nun wagt die EU-Kommission einen Alleingang: Am Mittwoch wurden bilaterale Finanzhilfen im Wert von 20 Millionen Euro im Jahr auf Eis gelegt. Außerdem schlug die EU-Kommission vor, Handelssanktionen zu verhängen. Diese müssen allerdings noch von den EU-Mitgliedern gebilligt werden, mit qualifizierter Mehrheit: Deutschland kann die Maßnahme also nicht mit einem Veto stoppen.
Die EU ist Israels wichtigster Handelspartner. Der gesamte Warenhandel belief sich 2024 laut EU-Kommission auf 42,6 Milliarden Euro. Die Importe hatten einen Wert von 15,9 Milliarden Euro. Für Deutschland fällt der Handel mit Israel indes kaum ins Gewicht: Das Land belegte 2024 Platz 47 auf der Rangliste der 238 Handelspartner.
Von der Leyen begründete ihre Entscheidung mit eklatanten, anhaltenden Verstößen gegen Artikel 2 des Partnerschaftsabkommens, das Israel zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. „Die entsetzlichen Dinge, die sich täglich im Gazastreifen abspielen, müssen aufhören“, erklärte sie. Es müsse einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe geben. Sie forderte auch die sofortige Freilassung aller von der Hamas festgehaltenen israelischen Geiseln.
Zivilgesellschaft ausgenommen
Die israelische Zivilgesellschaft wird von den Sanktionen ausgenommen. Auch beim Handel wäre die Strafe nicht so hart, wie sie auf den ersten Blick klingt. Der Kommerz würde, wenn die EU-Staaten zustimmen, nämlich nicht vollständig eingestellt. Nur der bisher gewährte Freihandel wäre suspendiert; die EU würde künftig die für Drittstaaten üblichen Zölle erheben. Nach Angaben eines Kommissionsvertreters würde dies in etwa 37 Prozent der Importe aus Israel treffen – vor allem landwirtschaftliche Produkte wie Datteln, Obst und Nüsse.
Außerdem soll es nach dem Willen der EU-Kommission neue Sanktionen gegen gewalttätige israelische Siedler im Westjordanland und extremistische Minister geben. Brüssel zielt insbesondere auf Finanzminister Bezalel Smotrich und den Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir ab. Diese Sanktionen müssten einstimmig beschlossen werden. Deutschland könnte sie also blockieren.
Einige EU-Staaten wie Belgien haben bereits eigene bilaterale Strafmaßnahmen verhängt. Spanien fordert sogar den Ausschluss Israels vom European Song Contest. Andernfalls will das Land den ESC boykottieren – ähnlich wie Irland, Slowenien, Island und die Niederlande. Zu den härtesten Gegnern der Sanktionen zählen neben Deutschland auch Österreich, Ungarn und Tschechien.
In Brüssel ist der Vorstoß der EU-Kommission kaum noch umstritten. Von der Leyen hatte ihn schon in ihrer Rede zur Lage der Union in der vergangenen Woche in Straßburg angekündigt. Nur CDU/CSU und rechtsradikale Parteien im Europaparlament sprachen sich gegen Sanktionen aus. Demgegenüber hatten die Sozialdemokraten, die von einer Spanierin geführt werden, eine härtere Gangart angemahnt.
Apell an deutsche Bundesregierung
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hatte die Mitgliedstaaten zuletzt beschuldigt, die aus ihrer Sicht überfälligen Beschlüsse unnötig zu blockieren. Sie appellierte ausdrücklich an die deutsche Bundesregierung: „Wenn wir uns einig sind, dass die Lage unhaltbar ist und wir die israelische Regierung zum Kurswechsel bringen wollen, dann müssen wir klären: Was können wir dafür tun?“, sagte Kallas in einem Interview mit Euronews.
Die deutsche Regierung reagierte zurückhaltend auf die Sanktionsvorschläge der EU-Kommission. „Die Bundesregierung hat sich noch keine abschließende Meinung darüber gebildet“, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Mittwoch in Berlin. Die Erwartungshaltung, dass Sanktionen eine Veränderung der israelischen Politik auslösen könnten, sei „möglicherweise überzogen“. Die Grundhaltung der Bundesregierung sei, „dass wir die Gesprächskanäle zu Israel offenhalten wollen“.
Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic hatte zuvor dafür plädiert, den Weg für europäische Handelssanktionen gegen Israel freizumachen. Der Einmarsch in Gaza-Stadt sei ein weiterer Bruch des Völkerrechts, sagte Ahmetovic im Deutschlandfunk. Auch Grünen-Chefin Franziska Brantner erwartet von der Bundesregierung Unterstützung für ein härteres europäisches Vorgehen: „Appelle und Aufforderungen werden der Situation in Gaza und auch der Westbank nicht mehr gerecht, auch die Situation der Geiseln wird jeden Tag hoffnungsloser“, sagte Brantner der Deutschen Presse-Agentur.
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