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Die Synagoge ist auch ihr Baby: Münchens bekannte Buchhändlerin Rachel Salamander Foto: Thomas Dashuber

Jüdische Gemeinde in MünchenLicht im Hinterhof

Die Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße ist vor dem Verfall gerettet und wieder hergestellt worden. Auch dank Menschen wie Rachel Salamander.

Dominik Baur
Von Dominik Baur aus München

A ls Rachel Salamander am Montag der vergangenen Woche aufwacht, ist ihr erster Gedanke: „Mensch, nur noch vier Wochen.“ Vier Wochen bis zu dem großen Tag. Dem Tag, an dem Bundeskanzler, Ministerpräsident und Oberbürgermeister in die Münchner Reichenbachstraße kommen werden. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, wird natürlich ebenfalls da sein. Auch der Pianist Igor Levit. Und Emanuel Meyerstein. Der ist zwar weniger bekannt als die vorgenannten, aber dafür der Sohn von Gustav Meyerstein. Und über den wird noch zu reden sein.

Kein Wunder also, dass Rachel Salamander nun doch ein bisschen nervös zu werden beginnt. Denn mit dem Festakt am 15. September kommt ein besonderes Projekt zum offiziellen Abschluss. Ein Projekt, in das sie nicht nur 15 Jahre ihres Lebens, sondern auch ganz viel Herzblut investiert hat. An diesem Tag wird die Wiederherstellung der Synagoge in der Reichenbachstraße gefeiert. Und ohne Salamander, das kann man wohl getrost sagen, wäre es so weit nie gekommen.

Ein paar Stunden später. Ortstermin in der Reichenbachstraße. Glockenbachviertel, beste Lage, zum Gärtnerplatz sind es nur ein paar Schritte. Zwischen einem Kiosk und einem Friseursalon geht es rein. Zugegeben: Das Vorderhaus gibt sich wenig einladend. Ein Betonblock mit durchgehenden Fensterfronten aus schwarzem Blech und mattem, schmutzigen Glas. Man tut dem Gebäude sicherlich nicht unrecht, wenn man es als eines der hässlichsten in der Straße bezeichnet.

Sie ist nicht irgendwer

Aber um dieses Haus geht es ja auch gar nicht. Als die Synagoge zum ersten Mal eröffnet wurde, da stand es noch nicht einmal, da war hier zur Straße hin ein offener Vorplatz. Also schnell durch den Hauseingang in den Hinterhof, rechts wieder durch die Tür, und endlich steht man im richtigen Gebäude, im Foyer der Synagoge. Salamander zeigt auf die Wände: „Das hier wird alles pompejanisches Rot.“

Als die Synagoge errichtet wurde, hatte das Foyer noch ein Glasdach, jetzt ist es von einem Teil des Vorderhauses abgedeckt. Die Sonnenlichteinstrahlung von damals soll nun durch eine spezielle Tageslichtlampe an der Decke simuliert werden. Das pompejanische Rot soll schließlich genau so erstrahlen wie damals von Gustav Meyerstein, dem Architekten der Synagoge, vorgesehen.

27 Meter lang, 14 Meter breit und 8 Meter hoch ist die Synagoge, so kann man es auf Wikipedia nachlesen. Im Inneren herrscht reges Treiben. Handwerker rutschen auf Socken über das gerade frisch verlegte Fischgrätparkett, überall stehen Leitern, aus einem Radio plätschert Popmusik. Gerade wird die halbhohe Wandvertäfelung angebracht. Es habe sich enorm viel getan in den vergangenen Tagen, erzählt Rachel Salamander. Es geht voran.

Rachel Salamander ist nicht irgendwer in München. Die Literaturwissenschaftlerin ist Ehrenbürgerin der Stadt und wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Promoviert hat sie über die „zeitliche Mehrdimensionalität als Grundbedingung des Sinnverstehens“, bekannt wurde sie als Begründerin der ersten Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum, der Literaturhandlung. 2013 gründete sie zusammen mit dem Anwalt Ron C. Jakubowicz den Verein Synagoge Reichenbachstraße e. V. mit dem Ziel, die Synagoge an der Reichenbachstraße wiederherzustellen.

Die Synagoge in der Reichenbachstraße war kurz vor dem kompletten Verfall, als sie gerettet wurde Foto: Thomas Dashuber

Zurück in die nichtjüdische Welt

Geboren 1949 in Deggendorf, kam Salamander mit ihren Eltern und dem älteren Bruder schnell nach Föhrenwald, ein Lager für die sogenannte DPs, die Displaced Persons, in Wolfratshausen. In Deutschland zu bleiben, war nicht der Wunsch der Familie, aber die Eltern waren krank. Weder die USA noch Israel vergaben damals Visa an Kranke. Die Mutter starb, da war Rachel noch ein kleines Kind.

In Föhrenwald verbrachte sie ihre ersten Jahre wie in einem osteuropäischen Schtetl. Ihre erste Synagoge war dort ein behelfsmäßiges Gotteshaus, die Erinnerungen daran sind rudimentär. „Ich erinnere mich vor allem noch an den Synagogendiener, eine furchterregende Figur mit einem langen Rauschebart, die aus dem tiefsten Russland kam. Sommers wie winters trug er eine Pelzmütze und schlürfte mit schweren Stiefeln durchs Haus. Vor dem Mann haben wir uns als Kinder gefürchtet.“

Als Föhrenwald als letztes Lager auf deutschem Boden aufgelöst wurde, gehörten die Salamanders zu den übrig gebliebenen hundert Familien, die es im Februar 1957 verließen. Sie wurden nach München umgesiedelt. Dem Vater wurden ein paar Adressen zur Auswahl gegeben. Er wählte einen Sozialbau mit 18 Wohnungen in Neuhausen, das Haus, das dem Hauptbahnhof am nächsten war, nur eine Viertelstunde fußläufig. Im Falle eines Falles, so der Gedanke, würde man schnell wegkommen.

Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus Überlebenden. Unvergesslich, wie beim liturgischen Totengebet ein tiefes Schluchzen das Bethaus erfasste. Jeder hat um Menschen, die ermordet worden sind, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen

Rachel Salamander gründete einen Verein zur Rettung der Synagoge

Erst hier begann Rachel Salamander wirklich in Deutschland anzukommen. In der Schule sagte sie erstmal ein Jahr lang überhaupt nichts, versuchte die deutsche Sprache zu verstehen. Die einzige Sprache, die sie zuvor gehört und gesprochen hatte, war Jiddisch. „Wir haben uns mühsam in diese nichtjüdische Welt eingearbeitet.“

Ein tiefes Schluchzen damals

In die Synagoge in der Reichenbachstraße begann sie mit 12, 13 Jahren zu gehen. Vorher durften sie und ihr Bruder nicht alleine durch die Stadt laufen und für den kranken Vater war es zu weit. Woran sie sich noch erinnert, ist der Weg dorthin. Es war ja normaler Alltag in den Straßen, Freitagabend, sie dagegen waren festtäglich angezogen. „Mit unserer feierlichen Kleidung fielen wir im Stadtbild auf, sind angeschaut worden. Da wurde das Leben in zwei verschiedenen Welten spürbar.“

Von den Gottesdiensten in der Reichenbachstraße blieb ihr vor allem das Totengebet erinnerlich. „Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus Überlebenden. Unvergesslich, wie beim liturgischen Totengebet ein tiefes Schluchzen das Bethaus erfasste. Jeder hat um Menschen, die ermordet worden sind, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen.“

Die 76-Jährige wandelt über Stoffbahnen, die das Parkett schonen sollen, durch das Hauptschiff des Gotteshauses, zeigt die Ostnische, in der der Schrein für die Thorarollen stehen wird. Das Ewige Licht hängt dort schon an drei dünnen Ketten von der Decke. Auch das Glasdach wurde wieder in den Originalzustand versetzt. Hier kommt nun tatsächlich das Tageslicht hindurch. Rachel Salamander weist auf den Effekt an der Wand hin: Ganz hinten wirkt die blau gestrichene Wand zu dieser Tageszeit schon fast lila, dann entsteht ein Farbverlauf bis hin zu Hellblau.

Licht und Farbe und ihr Zusammenspiel, das ist Rachel Salamander überhaupt sehr wichtig. Wer möchte, dass sie ins Schwärmen gerät, muss sie nur darauf ansprechen: „Ich finde dieses Konzept genial. Ich rätsle noch immer, wie ein Mensch so etwas erfinden kann. Ich weiß nicht, ob dem Meyerstein das überhaupt bewusst war, aber der Effekt ist einfach …“ Ihr fehlen die Worte.

Pompejanisches Rot zu schwarzem Marmor

Den Effekt habe sie fast sinnlich gespürt, als sie die Berichte der Zeitzeugen von der Einweihung der Synagoge 1931 gelesen habe. Von einem regelrechten Farbrausch hätten diese gesprochen. „Es muss eine Farbmagie gewesen sein, wenn das Licht durch das Glasdach eingefallen ist und sich die Cremefarbe der Frauenempore mit dem Blau der Wände verbunden hat. Unten bei den Männern färbten sich die Wände dann plötzlich türkis.“

Das Spiel der Farben habe bereits begonnen, wenn man ins Foyer mit seinem kräftigen pompejanischen Rot und dem schwarzgrundigen Marmorsockel getreten sei. „Das ist schon mal ein Knaller. Und dann das Türkis im Inneren des Betraumes, bei dem auch noch etwas gelbes Pastell mitspielt. Und dann die wunderbaren, mundgeblasenen Leuchtkörper! Also, das wird der modernste Sakralbau Deutschlands.“

In jedem Fall ist es ein Raum mit einer ganz besonderen Geschichte: 1931 hat Meyerstein die Synagoge errichtet. Meyerstein war ein Architekt am Anfang seiner Karriere. Er stammte aus Halle, hat aber in München studiert. Münchens Hauptsynagoge befand sich zu der Zeit noch in der Herzog-Max-Straße, gleich hinterm Stachus. Das Gotteshaus in der Reichenbachstraße war nun in erster Linie für jüdische Menschen gedacht, die aus Osteuropa geflohen waren – vor Armut und Antisemitismus. Ausgerechnet nach Deutschland.

Alles wie damals: Pläne, Material, Werkstätten Foto: Thomas Dashuber

Die Synagoge war der letzte Sakralbau, der in München vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gebaut wurde. Das Anwesen hatte die Israelitische Kultusgemeinde damals einer Brauerei abgekauft. „Die Pläne sind 1930 entstanden“, berichtet Rachel Salamander. „Im April 1931 wurde der Bau begonnen und im September abgeschlossen. Fünf Monate. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“

Steine mit Seele

Meyerstein orientierte sich am Stil von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. „Er hat aus einer Not eine Tugend gemacht“, sagt Salamander. „Ihm kam damals der hoch im Kurs stehende Stil der ausgehenden zwanziger Jahre, besonders des Bauhauses mit seiner funktional minimalistischen Bauweise zugute. Und so hat er da einen radikalen, minimalistischen Bau hingestellt.“ Der minimalistische Ansatz kam natürlich auch dem bescheidenen Budget entgegen, das zur Verfügung stand.

Als „Religion ohne Schnickschnack“ bezeichnet der Historiker Michael Wolffsohn in der Jüdischen Allgemeinen das Werk des Gustav Meyerstein, als „rationale und emotionale Religiosität mit Intellektualität verbindend“. Es sei ein Beweis des jüdischen Baumeisters und seiner Auftraggeber gewesen, „dass auch Gebäude eine Seele haben und mehr sein können (und sollen!) als die Anhäufung von Steinen“.

Und doch waren es dann in erster Linie die Steine, die den Judenhass der Nazis überlebten. Und auch das hatten sie einem Zufall zu verdanken: der Hinterhoflage der Synagoge. Als SA-Männer in der Pogromnacht im November 1938 auch hier Feuer legten und das Innere der Synagoge schändeten und zerstörten, griff umgehend die Feuerwehr ein und löschte den Brand. Nicht, um das Gotteshaus zu retten – sondern um zu verhindern, dass die Flammen auf die umliegenden Häuser übergriffen.

Gustav Meyerstein war zu der Zeit bereits nicht mehr in München. Er war schon nach Britisch-Palästina geflohen. Später gehörte er zu den Architekten, die mit ihren Bauten das Stadtbild Tel Avivs prägten. Im Bauhaus-Stil.

Auf der Durchreise

Die ehemalige Synagoge wurde indes als Lagerhalle und Werkstatt genutzt. Erst am 20. Mai 1947 konnte die jüdische Gemeinde sie wieder einweihen. Auch jetzt waren es wieder überwiegend Menschen, die aus Osteuropa kamen, die sie nutzten: Überlebende der Schoa. So wie die Salamanders. Als einzige Münchner Synagoge, die nicht komplett von den Nazis zerstört worden war, war sie fortan die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern – bis 2006 die große neue Hauptsynagoge am Jakobsplatz, nur rund 500 Meter entfernt, eröffnet wurden.

Und so wurde die Synagoge in der Reichenbachstraße auch zu einem prägenden Ort für Generationen von Münchner Jüdinnen und Juden. Menschen wie Anita Kaminski. Man trifft sich mit ihr im Café der Bäckerei Paul Isaak in Nymphenburg, und natürlich setzt sich bei dem Namen Isaak sofort das Assoziationskarussell in Gang. Die Isaaks sind aber eine alte katholische Familie. Schwierigkeiten wegen ihres Nachnamens, so kann man auf der Website der Bäckerei nachlesen, hätten sie in der NS-Zeit dennoch gehabt. Und auch heute müssten sie immer wieder Kundinnen und Kunden enttäuschen, die nach koscheren Lebensmitteln fragen.

Anita Kaminski, blonde Locken, Jeansjäckchen, ist mit dem Fahrrad gekommen. Sie sitzt auf der Terrasse. Für sie ist das Café Kindheit. Eine Institution. Innen sehe es noch genauso aus wie damals. „Da ist nichts Modernes, das ist eine richtig schöne Atmosphäre.“ Bei den Isaaks bestellt Anita Kaminski immer einen Kuchen zu ihrem Geburtstag.

Die Familie Kaminski gehört auch zu jenen jüdischen Familien, die nach dem Krieg aus dem Osten kamen. Die Eltern stammten aus Polen, die Mutter überlebte das Warschauer Ghetto, der Vater schlug sich als Partisan durch. Nach dem Krieg kamen sie nach Deutschland, in München blieb die Familie dann hängen, wo auch Anita Kaminski 1953 zur Welt kam. Nicht weit von hier, im Rotkreuz-Krankenhaus.

Das war schon etwas Verstecktes – so, als ob man etwas verbergen musste

Anita Kaminski, Tochter von Shoa-Überlebenden, besuchte die Synagoge als Kind

Versteckter, heiliger Raum

Ihr Eltern hätten ein traditionelles jüdisches Haus geführt, erzählt Kaminski. Ihr Vater kam aus einer religiösen Familie, ihre Mutter war säkularer eingestellt. Die jüdischen Feiertage wurden gefeiert, die Regeln des Sabbats eingehalten, aber auch nicht zu streng. Natürlich, sagt sie, habe sie als Kind realisiert, dass ihre Familie nicht zur Mehrheit gehörte. Spätestens als der Nachbarbub ihr unvermittelt vorhielt: „Ihr Juden habt unseren Jesus Christus umgebracht.“ Fünf Jahre war sie damals alt, musste erstmal die Mutter fragen, ob sie Juden seien und ob man diesen Jesus Christus kennen müsse.

An die Reichenbachstraße – wie man die dortige Synagoge kurz nannte – kann sich Anita Kaminski sehr gut erinnern. Zu den Feiertagen ging man dorthin, und der Gottesdienst an einem jüdischen Feiertag kann schon auch mal ganz schön lang werden. „Wir Kinder gingen dann zwischendrin immer mal raus in den Hof zum Spielen.“ Dort floss noch der mittlerweile längst eingefasste und unter die Erde verlegte Kaiblmühlbach vorbei. „Das plätscherte dann immer so. Das fanden wir schön.“

Kaminskis Gefühle waren jedoch schon damals gemischt. Von ihren „schönsten Erinnerungen“ spricht Kaminski einerseits, andererseits erinnert sie sich auch an die besondere Hinterhofsituation der Synagoge. „Das war schon etwas Verstecktes – so, als ob man etwas verbergen musste. Das hat sich nicht integriert angefühlt.“

Das Gebäude hat sie mit Ehrfurcht wahrgenommen. „Das war schon ein heiliger Raum.“ Das Sakrale, das Spirituelle habe sie immer gespürt. „Es war aber jetzt nicht so, dass ich reingekommen bin und gesagt habe: Wow, ist das schön.“

Ein Identifikationspunkt

Als die prächtige neue Synagoge am Jakobsplatz eröffnet worden sei, habe sie sich sehr gefreut, zugleich aber auch Wehmut wegen dem Bethaus in der Reichenbachstraße gespürt. „Das war ja meine Kindheit, und später war ich selbst mit meinen Kindern dort. Mein Sohn hat dort seine Bar Mitzwa gefeiert.“

Vor allem aber sei die Reichenbachstraße ganz eng mit ihrer Elterngeneration verbunden gewesen. „Mit den Überlebenden. Das gab es dann natürlich in der neuen Synagoge nicht mehr. Ich finde den Jakobsplatz wunderschön, aber es wird dort nie diese geschlossene Gemeinschaft geben wie in der Reichenbachstraße. Diese Synagoge war ein Identifikationspunkt für uns.“

Diese Nachkriegssynagoge von 1947, in der Anita Kaminski und Rachel Salamander so viele Gottesdienste gefeiert, so viele Gebete gesprochen haben, hatte freilich kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Werk Meyersteins. „Es sah ja nichts mehr nach Bauhaus aus“, sagt Rachel Salamander. „Andere Fenster, andere Lampen, zusätzliche Applikationen an den Wänden. Das Ganze hatte schon fast Wohnzimmercharakter. Mit der ursprünglichen reizvollen Ästhetik hatte diese Fassung nichts gemein.“

Jüdisches Leben in München

Mittelalter bis Reichsgründung

Schon kurz nach der Stadtgründung im Jahr 1158 ließen sich Juden in München nieder. Nach der Reichsgründung 1871 begann eine Phase der Emanzipation. König Ludwig II. ließ die prächtige Hauptsynagoge mitten in der Stadt errichten.

Weimarer Republik und NS-Zeit

Ab den 1920er Jahren waren die Münchner Juden erneut Diskriminierungen ausgesetzt. Während des Nationalsozialismus wurde die jüdische Bevölkerung nahezu vollständig vernichtet. Von rund 9.000 jüdischen Münchnern blieben bis direkt nach Kriegsende weniger als 100 übrig. Wer nicht geflohen war, wurde deportiert und in den meisten Fällen ermordet. ↓

Nach 1945 
Nach Kriegsende wurde München zu einer wichtigen Station für „Displaced Persons“. Viele wanderten von hier nach Amerika oder Palästina aus, einige blieben jedoch in der Stadt. Bis zur Wiedervereinigung wuchs die Gemeinde auf etwa 4.000 Mitglieder.

Gegenwart Heute zählt die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern rund 9.500 Mitglieder und ist damit die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. Präsidentin ist Charlotte Knobloch, die von 2006 bis 2010 auch dem Zentralrat der Juden in Deutschland vorstand. 2006 wurde am St.-Jakobs-Platz die neue Hauptsynagoge „Ohel Jakob“ eingeweiht. Seit 1995 gibt es noch die liberale Gemeinde Beth Shalom.

Es gab auch keine Bemühungen der Gemeinde, die Synagoge wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, die Ästhetik von 1931 wiederzubeleben. Zum Einen kannten die neu nach München gezogenen Juden diesen Zustand gar nicht, zum anderen hatten die wenigsten von ihnen am Anfang den Plan, hier sesshaft zu werden. Der Aufenthalt in München war meist nur vorübergehend gedacht – auf der Durchreise in ein besseres Leben irgendwo anders. Da beschäftigt man sich nicht mit der Architektur von Synagogen.

Dem Verfall überlassen

Selbst Rachel Salamander, ein bekennender Bauhaus-Fan, machte sich damals keine Gedanken darüber, wie die Synagoge vielleicht mal ausgesehen haben mag.

Aber dann gab es ihn, diesen einen Schlüsselmoment, als Salamander entschied, dass jetzt etwas passieren müsse: Es war im Jahr 2011, als sie den Hinterhof betrat, um zu einem damals dort untergebrachten Begräbnisinstituts zu gelangen. Sie wollte sich um die Beerdigung einer mütterlichen Freundin kümmern. „Und da habe ich neugierig durch die Fenster geschaut und gesehen, dass dieses Haus dem Verfall überlassen war.“

Sie habe nicht lang überlegt, schon auf dem Heimweg im Kopf den Verein gegründet. „Mir war klar: Da muss was geschehen.“ Zu Beginn der Renovierung habe der Keller teilweise 20 Zentimeter unter Wasser gestanden, die Stahlträger waren angerostet, und das Dach drohte einzustürzen.

Je mehr sie sich in die Geschichte der Synagoge einarbeitete, desto klarer wurde: Sie sollte wieder exakt in den Zustand von 1931 versetzt werden. Das große Glück: Es gab alles noch. Alle Pläne, alle Informationen. Sogar die Firma, die damals die Wände gestrichen hat. Und sie haben noch die exakten Farbtöne, die damals zum Einsatz kamen. Dieselbe Werkstatt, die 1931 die Fenster gebaut hat, das einzig ornamentale Element, hat diese nun nach demselben Verfahren wie damals identisch nachgebaut. Die Leuchtkörper, das Parkett, das Gestühl – alles wird so sein wie damals. „Wir geben dem Haus die Würde von 1931 zurück.“

Jüdische Geschichte ist hipp

Der Weg dorthin war allerdings steinig. Bürokratische Hürden, Denkmalschutz, Finanzierung – weniger hartnäckige Menschen hätten wohl früher oder später aufgegeben. Am Ende hat alles geklappt. Salamander hat Bund, Freistaat und Stadt ins Boot geholt, die jeweils knapp ein Drittel der Kosten übernehmen. Für den Rest musste Salamander Spender finden. Auch das gelang ihr.

Die Synagoge wird wieder als Synagoge benutzt werden. Sie soll aber auch viele andere Funktionen erfüllen und nicht nur Anlaufpunkt für Juden sein. Vorträge könnten hier stattfinden, Konzerte. Es werde etwa ein bildungspolitisches Programm geben. „Schulklassen sollen auch mal andere Bilder vom Judentum sehen. Man muss nicht ins KZ gehen, um jüdische Geschichte zu lernen.“

Für die Stadt werde das Gebäude jedenfalls „eine Attraktion ersten Ranges“ sein, prophezeit Salamander. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, da werden massenweise Touris kommen, um diese einzigartige Architektur zu erleben.“ Gern bezeichnet sie ihn auch als den künftig „hippsten“ Raum der Stadt. Aber ist das nötig? Muss eine Synagoge wirklich hipp sein?

Ja, findet Rachel Salamander. Man sei in Sachen Judentum viel zu sehr in bestimmten Sichtweisen festgefahren. Da habe sich ein Berg von Kitsch angehäuft. „Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es so viel anderes gab, das durch den Nationalsozialismus einfach von der Bildfläche verschwunden ist. Die Wiederherstellung der Synagoge ist eine gute Gelegenheit, den Blick wieder zu ändern, Vorurteile aufzubrechen und zu zeigen, wie reich die jüdische Kultur ist.“ Hipp eben.

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