Umweltschutz in Griechenland: Schwimmen in Müll und braunem Schlamm
In Griechenland hält die Infrastruktur beliebter Inseln dem Touristenansturm nicht stand. In vielen Orten fließt das Abwasser ungereinigt ins Meer.

Chochlakas war nicht der einzige Ort, der heimgesucht wurde. An vielen Stellen auf Patmos floss brauner Schlamm statt Trinkwasser aus den Wasserhähnen, berichtete die Athener Tageszeitung Kathimerini. Bürgermeister Nikitas Tsabalakis bestreitet dies allerdings mit Nachdruck. Fest steht, dass sich inzwischen die Staatsanwaltschaft in den vermutlichen Öko-Fall Patmos eingeschaltet hat.
Die Athener Wassergesellschaft EYDAP hat ein achtköpfiges Team auf die Insel entsandt. „Die biologische Kläranlage ist vollständig verstopft, die Membranen sind beschädigt“, stellte Kostas Vougiouklakis, der EYDAP-Direktor für Abwasserentsorgung, fest. Bislang habe die Kanalisation mit einer „Umgehung“ funktioniert, die das Abwasser in einen eigenen Schacht leitete, der zum Unterwasserkanal führt. „Dieser Kanal ist verstopft. Daher ist der Schacht an der Küste übergelaufen und alles an der Oberfläche ins Meer geflossen“, so der Abwasserexperte.
Patmos gilt als „Perle der Dodekanes-Inselgruppe“ in der Ostägäis und ist längst vom Geheimtipp zu einem beliebten Urlaubsziel von Reisenden aus aller Welt avanciert. Das Gros der 3.283 ständigen Bewohner lebt inzwischen vom Tourismus. Mitten in der Saison ist der übel riechende Schaden für sie der Super-GAU.
Fette, Babywindeln, Abfälle
Die biologische Kläranlage von Patmos war eine von vielen, die Mitte der Zehnerjahre in ganz Griechenland gebaut wurden. Sie sollte das sehr problematische Vorgängersystem aus den 1980er Jahren ersetzen. Das mit EU-Geldern finanzierte Projekt ging mit deutlichem Verzug 2018 in Betrieb. Wegen mangelnder Wartung seien in den letzten Jahren immer wieder Probleme aufgetreten, räumt Patmos’ Bürgermeister Tsabalakis ein. „Nichts hat richtig funktioniert.“ Vor einigen Tagen sei die Situation indes eskaliert.
Notgedrungen musste die EYDAP Maßnahmen ergreifen. Improvisieren auf Griechisch. Man müsse verhindern, dass weiter Müll ins Meer gelangt, sagt Vougiouklakis. „Wir haben eine Vorbehandlung eingeführt, um Fette, Babywindeln und Abfälle, die in die Kanalisation gelangen, zurückzuhalten.“ Zusätzlich soll eine Unterwasserleitung in Betrieb gehen. Vougiouklakis sagt dazu mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Falls wir das schaffen, wird das um diese festen Bestandteile bereinigte, immer noch belastete Abwasser etwa 210 Meter von der Küste entfernt in einer Tiefe von 25 Metern gesammelt.“ Das sei natürlich keine ideale Lösung – „aber es ist viel besser als das, was derzeit passiert“.
Allein der Austausch der Membranen in der Kläranlage würde etwa 100.000 Euro kosten. Das kann die Gemeinde offenkundig einfach nicht bezahlen. „Genauso ist die Situation auf vielen Inseln, wo die Anlagen ohne Fachpersonal, Wartung, Ressourcen und ohne Planung betrieben werden“, erklärt Vougiouklakis.
Geplatzte Wasserleitung, verdutzte Touristen
Patmos ist also kein Einzelfall. Auf der Kykladeninsel Mykonos, die im Winter nur gut 10.000 Einwohner zählt, dafür im Sommer von Touristenmassen geradezu überlaufen wird, platzte zuletzt am Strand von Plati Gialo vor den Augen verdutzter Touristen eine 33 Jahre alte Abwasserleitung. Für die Urlauber hieß das: schwimmen im Dreck.
Einer aktuellen Studie der Universität der Ägäis zufolge sind von den 53 Kläranlagen in der Ägäis und im Ionischen Meer 15 vor dem Jahr 2000 gebaut worden. Ferner erfüllen 25 Anlagen die Umweltauflagen nicht oder nicht mehr. Bei 16 der 53 Anlagen wurden Schadstoffwerte bei den Einleitungen ins Meer gemessen, die die EU-Höchstgrenzen überschreiten.
Doch nicht nur auf den Inseln ist die Lage ökologisch bedenklich. 40 der erfassten 281 Kläranlagen in Ortschaften über 2.000 Einwohnern in ganz Griechenland funktionieren nicht – das ist jede siebte Kläranlage. Die meisten davon liegen in touristischen Regionen. Zugleich ist vorgesehen, dass bis 2035 auch Orte mit mindestens 1.000 ständigen Einwohnern über biologische Kläranlagen verfügen müssen – für Hellas eine Herkulesaufgabe.
Doch nicht nur in Sachen Abwasser ist das Land an der Grenze der Belastbarkeit. Ob Stromausfälle, Probleme in Häfen, Flughäfen oder Staus – die Infrastruktur leidet immer mehr unter den Touristenmassen. Die Kleininsel Symi, zwei Fährstunden von Rhodos entfernt, versucht es jetzt anders. Bürgermeister Eleftherios Papakalodoukas will von jedem Tagesbesucher eine Gebühr von drei Euro kassieren, um das Geld in die strapazierte Infrastruktur zu investieren.
Der auch in diesen Tagen andauernden Hitze, extremen Dürre und verheerenden Waldbränden zum Trotz steuert der griechische Reisesektor 2025 auf ein neues Rekordjahr zu. In diese Richtung weisen jedenfalls die Zahlen vom ersten Halbjahr. Jüngsten Angaben der Athener Notenbank zufolge stieg die Anzahl der touristischen Ankünfte aus dem Ausland in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 0,6 Prozent auf 11,69 Millionen.
Für den Tourismussektor lief es schon im Vorjahr so gut wie nie zuvor. Knapp 36 Millionen ausländische Touristen besuchten Griechenland 2024 – Reisende auf Kreuzschiffen noch nicht eingerechnet. Deutschland lag in der Rangliste der Herkunftsländer der Griechenlandurlauber dabei unangefochten auf Platz eins.
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