Bahn droht ein Machtvakuum: Zurücktreten, bitte
Der Chef der Deutschen Bahn muss gehen, eine Nachfolge gibt es noch nicht. Die Strategie der Bundesregierung für den Konzern ist nebulös.

Unternehmen, die in einer Krise stecken, brauchen entweder einen starken Chef, der sie da rausholt, eine neue Führung mit neuen Ideen oder wenigstens irgendjemanden, der etwas zu sagen und einen Plan hat. Die Bahn hat derzeit weder das eine noch das andere. Denn am Donnerstag hat Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) Bahnchef Richard Lutz rausgeworfen, allerdings noch keine Nachfolge für den nur noch geschäftsführenden Vorstandschef präsentiert. „Mit Blick auf die dramatische Lage bei der Bahn und die anstehenden Sanierungsmaßnahmen verbietet sich ein Führungsvakuum“, kommentierte das sogleich der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert.
Der Staatskonzern Deutsche Bahn steht also auf dem vorläufigen Tiefpunkt seiner Krise ohne echten Chef da. Und nicht nur das: Was die neue Bundesregierung mit dem Unternehmen vorhat, ist bisher nur grob bekannt. Erst am 22. September will Schnieder seine Agenda für die Bahn vorstellen. Die Grundzüge seien bereits erarbeitet, sagt er. Nun könne das Personal gesucht werden, das diese auch umsetzen kann.
Laut Koalitionsvertrag soll in Vorstand und Aufsichtsrat mehr Fachkompetenz einziehen. Auch eine Verkleinerung der bisher mit acht Managern besetzten Konzernspitze zeichnet sich ab. Entsprechend groß ist deshalb auch bei den noch verbleibenden Vorständen die Unsicherheit. Angekündigt hatten die Koalitionäre auch strukturelle Veränderungen.
Wenig überraschend ist die Zielvorgabe des Ministers, der er den schönen Namen „Agenda für zufriedene Kunden“ gegeben hat: Pünktlicher soll die Bahn werden und überhaupt besser. Das allerdings hatten vor ihm schon viele versprochen: Der frühere Bahnchef Rüdiger Grube verkündete die „Agenda für eine bessere Bahn“, Schnieders Vorgänger Volker Wissing (parteilos, früher FDP) versprach, dass die Uhren bald wieder nach der Bahn gestellt werden können.
Der „zweitverrückteste Job“
Aber nun muss ja auch erst einmal ein neuer Chef oder eine neue Chefin gefunden werden. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte den Job einmal als den „zweitverrücktesten Job der Republik“ bezeichnet. Die Entscheidung über diese Personalie wird in der Regel im Kanzleramt getroffen. Über potenzielle Kandidaten wird schon spekuliert.
Die Anforderungsliste ist vielfältig: Neben der Führung eines Großunternehmens mit mehr als 200.000 Beschäftigten muss ein Bahnchef mit Politikern in Bund und Ländern umgehen können, sich medial präsentieren und mit öffentlicher Kritik umgehen können. Dafür gibt es immerhin ein Millionengehalt plus Erfolgsboni. Bis zum 22. September soll die Personalfrage geklärt sein.
Ein heißer Kandidat ist René Obermann, der frühere Vorstandschef der Telekom und aktuelle Vorsitzende des Aufsichtsrats von Airbus. Er bringt in jedem Fall alle wichtigen Qualitäten mit, die es für den Job braucht.
Der Manager Michael Peter wiederum ist seit 2017 Vorstandschef bei Siemens Mobility. Insofern ist der 59-jährige Ingenieur mit der Bahnbranche bestens vertraut. Sein Name fällt am häufigsten, wenn über geeignete externe Besetzungen spekuliert wird.
Ein anderer externer Name: Jörg Kukies. Er wurde einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als er nach dem Aus der Ampelregierung das Amt des Finanzministers übernahm. Gegen ihn spricht, dass er SPD-Mitglied ist, über die Besetzung aber in der Union entschieden wird.
Mit Evelyn Palla könnte Kanzler Friedrich Merz erstmals eine Frau an die Spitze der Bahn setzen. Die Südtirolerin ist derzeit Vorstandschefin des DB-Regionalverkehrs. Die Sparte hat sie aus tiefroten Zahlen in die Gewinnzone geführt. Um ihr Geschäft besser zu verstehen, hat sie sogar den Lokführerschein erworben. Palla gilt als durchsetzungsstarke Managerin.
Eine andere Vorständin, die infrage kommt, ist Sigrid Nikutta. Die frühere Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe leitet den Güterverkehr der Deutschen Bahn. Ihr wurden schon häufig Ambitionen auf mehr nachgesagt. Doch zwei Makel wird Nikutta nicht los. Die wirtschaftliche Bilanz der Cargo-Sparte war in den vergangenen Jahren verheerend. Und über die Strategie zur Sanierung des Geschäftszweigs ist es zum Bruch mit der Gewerkschaft EVG gekommen – die sich wohl gegen einen Karrieresprung Nikuttas nach oben stemmen würde.
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