Rechtsextremist Horst Mahler gestorben: Ein deutsches Leben
Horst Mahler war Anwalt, linker Terrorist, Maoist und Neonazi. Jetzt ist er tot. Sein Leben war wie erfunden für Anhänger der Hufeisenthese.

Als Student ist Mahler in einer rechtsextremen schlagenden Verbindung. Ein paar Jahre später fliegt der hochbegabte angehende Anwalt wegen Linksabweichung aus der Berliner SPD. Von rechts nach links, und immer extrem. Dieses Muster prägte sein Leben von Beginn an.
Mitte der 60er Jahre ist Mahler ein erfolgreicher arrivierter Wirtschaftsanwalt in Westberlin, der im offenen Sportwagen über den Ku’damm fährt. Ein paar Monate später gründet er mit einem Freund (der nebenher für die Stasi spitzelt) den Republikanischen Club und wird Verteidiger und Fürsprecher der revoltierenden Studentenbewegung. Und dann zum Brandbeschleuniger der Militanz. Mahler gründet nicht nur mit Christian Ströbele das Sozialistische Anwaltskollektiv, gleichsam Blaupause für viele linke Anwälte, sondern 1970 auch die RAF.
Eine politische Ich-AG
Wenn man Mahlers Leben als Drehbuch für einen Film einreichen würde, könnte man kaum auf ein positives Echo hoffen. In diesem Skript gibt es entschieden zu viel Unwahrscheinliches, zu viel Überdeutliches, zu viel Extremes. Mahler wird auch der erste RAF-Dissident, der sich im Gefängnis weigert, gegen einen entführten CDU-Politiker ausgetauscht zu werden. Mahler rechnet scharf mit dem Gewalt-Avantgardismus der linken Terroristen ab, den er selbst erfunden hat. Und schließt sich einer maoistischen Sekte an.
Dies ist ein Leben im Zickzack, von rechts- nach linksextrem, von der saturierten Westberliner Oberschicht in den Knast. Aber es gibt einen roten Faden: Wo Mahler ist, da weht anscheinend immer der Mantel der Geschichte. Mahler ist bizarr, extrem, aber immer bedeutend. Er ist eine politische Ich-AG, rastlos auf der Suche nach Sinn, Effekten, Rampenlicht. Die produktiven Ideen von 1968, antiautoritäre Erziehung, Feminismus, Emanzipation, spielen für ihn keine Rolle. Mahler will, egal welche Rolle er gerade im politischen Spektrum bekleidet, Einfluss, Aufmerksamkeit, Macht. Ein ewiger Leninist.

Auch die Rückkehr aus RAF und Knast in das bürgerliche Leben nach 1980 verläuft nicht leise, sondern geräuschvoll. Der bekehrte Ex-Terrorist ist ein idealer Partner für jenen Teil der politischen Elite, der beim Linksterrorismus weniger auf die Härte des Staates denn auf Versöhnung und Diskurs setzen will. Der damalige FDP-Innenminister Gerhard Baum macht mit Mahler ein Interviewbuch. Der aufstrebende SPD-Mann und Anwalt Gerhard Schröder setzt sich erfolgreich für ihn ein. 1988 darf Mahler wieder als Anwalt arbeiten. Die bundesrepublikanische Demokratie ist liberal und tolerant genug, auch ihre Todfeinde von gestern zu reintegrieren. Mahler sympathisiert mit der FDP und verschwindet aus dem öffentlichen Scheinwerferlicht.
Hier hätte die politische, öffentliche Geschichte von Horst Mahler enden können. Aber er kann nicht einfach abtreten. 1997 betritt er als rechtsnationaler Aktivist wieder die öffentliche Bühne, bezeichnet die Bundesrepublik als „besetztes“ Land, das von „Schuldknechtschaft“ in Geiselhaft gehalten werde. Das ist der Sound der neuen Rechten. Mahler ist einer von ein paar Ex-Linken wie Bernd Rabehl und Reinhold Oberlercher, die auf ihrem Ideologie-Altar das internationale Proletariat durch die Nation ersetzt haben.
Mahler wird zum extremistischen Antisemiten
Dass Mahler die Wende nach rechtsaußen 1997 publik macht, ist vielleicht kein Zufall. Das Ende der Ära Kohl kündigt sich an – und damit die Machtübernahme von Rot-Grün und den Repräsentanten der 68er. Schröder wird Kanzler, Otto Schily wird Innenminister. Schily war schon in den 60er Jahren Mahlers Konkurrent als Anwalt. Es geht 1998 wieder um Macht – da kann Mahler nicht stumm abseits stehen. Und übernimmt einen vakanten Platz in der generationellen Spielanordnung: den des rechtsextremen Kritikers.
Das verschafft ihm 2002 einen letzten Auftritt im strahlenden Rampenlicht: ein Duell mit Otto Schily vor dem Bundesverfassungsgericht. Mahler verteidigt die NPD im Verbotsverfahren und wettert gegen rot-grüne Vasallenregierung. Beeindrucken will er damit auch seinen Kontrahenten, Innenminister Schily.
Die letzten 25 Jahre im Leben von Horst Mahler erscheinen als eine grotesk verzerrte Spiegelung seiner Vita zuvor. Er wird zum extremistischen Antisemiten, ganz Kind seines Vaters, dessen Tod es zu rächen gilt. Er begrüßt in einem Interview einen jüdischen Deutschen mit „Heil Hitler“, wird wegen Holocaustleugnung verurteilt und nutzt Auftritte vor Gericht für antisemitische Tiraden, die bösartig zu nennen eine bodenlose Untertreibung wäre.
Deutsche Gerichte verurteilen ihn wegen Holocaustleugnung zu jahrelangen Haftstrafen. Und man mag die Weisheit dieser Urteile bezweifeln: Sie ermöglichen es Mahler, sich als Märtyrer in Szene zu setzen, verfolgt von der bigotten Demokratie, als deren Opfer er sich sein halbes Leben inszenierte. Wegen Meinungsdelikten im Gefängnis zu sein, das bekräftigte seine Lieblingsrolle: Er ist bedeutsam. In der rechtsextremen Szene spielt er indes keine große Rolle.
Echokammer der deutschen Katastrophengeschichte
Es ist naheliegend, dieses Leben als Beispiel für die Hufeisenthese zu deuten, der zufolge Rechts- und Linksextremismus in ihrer Verachtung der Demokratie ununterscheidbar werden. Die Geringschätzung von Rechtsstaat und Verfassung, der vitale Antiamerikanismus und die Erwartung eines nahen revolutionären Umsturzes verbindet in der Tat die rechts- und linksextremen Phasen in dieser Biografie.
Aber es ist gleichsam zu naheliegend, dieses extreme, deformierte Leben als Beweis für „links gleich rechts“ zu benutzen. Mahler ist eher eine Art Echokammer der deutschen Katastrophengeschichte im 20. Jahrhundert. Die plane Hufeisenthese verfehlt das Individuelle, das Rätselhafte, Schräge, den Sinn für die dramatische Selbstüberhöhung. Denn im Zentrum des Links- und Rechtsextremisten, des Maoisten und Neonazis Horst Mahler stand immer – er selbst.
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