Jäger und Sammler: Tiere wie wir
Die Fotografin Laurence Kubski erforscht in ihrer Fotoarbeit „Sauvage“ nicht nur die Wildtiere des Schweizer Kantons Freiburg, sondern auch den Menschen.
Wenn in Laurence Kubskis Fotos dicke Schnecken über die Glasscheibe vorm Himmel subschen, wenn zerbrechliche runde Vogelkörper wie atmende Federkugeln an ihren Streichholzbeinen in haarig-dickbefingerten Menschenfäusten gehalten werden, wenn feuerrot bebauchte Molche in stahlgrauem Wasser schweben, die Seiten besetzt mit tausend augengleichen Punkten, dann sind sie vor allem eins: sinnlich.
„Seit ich den Gang eines Gepards sah, ist dieser Rausch des Gehens über mich gekommen. Alles leiblich Schöne erlebt man erst an Tieren. Wenn es keine Tiere gäbe, wäre niemand mehr schön“, schreibt Elias Canetti in „Die Provinz des Menschen“.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Betrachtet man Kubskis Aufnahmen, überkommt einen leicht der Rausch des Sehens. Auch hier erlebt an den Tieren, in der „Provinz“ des Schweizer Kantons Freiburg, für den die 1986 in der Schweiz geborene Künstlerin die 14. Ausgabe der Reportage „Fotografische Ermittlung“ anfertigte. Ihr Titel? „Sauvage“ – Wild.
Das Wilde ist ein viel konnotiertes Wort. Mystisch und mythisch enthält es Versprechen, Begehren, Furcht. Blickt man auf die Wesen in Kubskis Bildern, kann sich die Wildheit nicht lange halten. In der Interaktion des Menschen und seiner Kultur wird sie beobachtet, vermessen, bewertet, vermehrt, geschützt, gejagt, erlegt und ausgestellt. Sie wird eingesperrt und überwacht, kontrolliert, begrenzt, ausgewildert und getötet. Wild sind die Tiere in Kubskis Aufnahmen nur im Sinne der Überlebenden, die sich der entfesselten Besiedlung des Homo sapiens widersetzen konnten. Und obwohl sie die Praktiken der Kultur zelebrieren, sind es die Menschen, die wir hier als Wilde erleben.
Die Fotoarbeit „Sauvages“ wird noch bis zum 5. Oktober beim Fotofestival Rencontres d’Arles in Südfrankreich ausgestellt.
Trotz aller Faszination und vom Kontrolldrang getrieben erdrücken sie die Natur, wie ein überbordendes Kind, das vor Erregung den Käfer zerquetscht, statt ihn einfach nur zu betrachten.
Getrieben von ihrer Neugier
Auf Kubskis Fotografien sehen wir also auch ebenjene Menschenkinder in Interaktion mit den von ihnen begehrten Tieren. Während die Künstlerin Insekten, Vögel, Amphibien im Bild inszeniert, ist es am Ende doch der Mensch, der dabei wie zufällig in ihren Aufnahmen dokumentiert wird. Der sich unter Kubskis gutmütiger Linse in seinem Umgang mit der Natur entfaltet, enthüllt und selbst entlarvt.
Die Fotografin hat kein Interesse am moralischen Urteil, das sagt sie selbst: es ist die schiere Neugier, die sie treibt. Ihr Blick fängt das vielgeschäftige Treiben all dieser Wesen ein. Dabei fallen uns die Augen ins Auge. Die echten und die als solche getarnten der Tiere. Die hinter Ferngläsern verborgenen der Menschen. Die gläsernen Attrappen auf dem Tisch eines Präparators. Während wir sie betrachten, blicken sie stechend fragend aus Laurence Kubskis Bildern zurück auf uns selbst – und wir begreifen: die wilden Tiere sind auch wir.
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