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Vermüllung in UgandaDer Preis des Mülls

Ein Jahr nach der Mülllawine hat Shadia Nanyonjo weder ihr Zuhause zurück noch eine Entschädigung erhalten. Die Stadt lädt ihren Abfall in einem geschützten Gebiet ab.

Bagger im Einsatz am Müllberg von Kiteezi: Direkt neben Wohnhäusern suchen Einsatzkräfte 2024 nach Verschütteten Foto: Simone Schlindwein

Ihre Lippen zittern leicht, als Shadia Nanyonjo auf den Müllberg schaut, der vor einem Jahr ihr Haus unter sich begrub. „Hier habe ich mit meinen drei Kindern gelebt“, sagt sie leise und ringt um Fassung.

Die 29-jährige Uganderin steht an der Flanke eines der zahlreichen Hügel von Ugandas Hauptstadt Kampala. Oberhalb von dort, wo sie steht, erhebt sich ein gewaltiger Berg aus Müll. Fliegen schwirren umher. Es stinkt nach Abfällen. Vor genau einem Jahr hatte sich ein Teil des Müllberges gelöst und war wie eine Lawine den Abhang hinuntergedonnert. Mehr als 70 Häuser wurden darunter begraben. 34 Tote wurden später geborgen, noch immer werden mehr als 20 vermisst. Insgesamt wurden mehr als 220 Menschen obdachlos. Viele Familien haben ihre Angehörigen oder Nachbarn, die sie dort im Unrat vermuteten, nie wieder gefunden.

Die alleinerziehende Mutter Nanyonjo hatte riesiges Glück: „Ich war an jenem Morgen früh aufgestanden, um den Haushalt zu machen, bevor ich meine Kinder zum Kindergarten bringen wollte und ich selbst zur Arbeit musste,“ berichtet sie und seufzt. Der Morgen des 9. August 2024, als die städtische Müllhalde im Morgengrauen kollabierte, ist eine Erinnerung, die Shadia Nanyonjo nur schwer erträgt.

Die UN-Plastikkonferenz

Teilnehmer:innen der letzten Verhandlungsrunde für UN-Plastikabkommen berichten laut der Nachrichtenagentur AFP von schwierigen Verhandlungen. Die Länder, die sich schon im Vorfeld gegen einen starken Vertrag gewandt haben, „arbeiten mit Verzögerungstaktiken, mit denen sie auch vorherige Verhandlungen blockiert haben“, sagt Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut.

Erdölproduzierende Länder wie die USA, Russland und die Golfstaaten verteidigen den Status quo. Laut Reuters hat die US-Regierung mehrere Staaten aufgefordert, Produktionslimits für Plastik zu verweigern.

Derzeit werden jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik produziert, die Hälfte davon für Einwegprodukte. Weniger als 10 Prozent des Plastikmülls wird recycelt.

In Genf verhandeln 184 Länder, voraussichtlich bis kommenden Donnerstag. Im Dezember waren die Verhandlungen im südkoreanischen Busan gescheitert. (hol)

Die Kinder waren gerade aufgewacht. „Zuerst hörte ich ein dumpfes Grollen, dann hörte ich meine Nachbarn laut schreien“, erzählt sie. „Da habe ich meine Kinder geschnappt und wir sind davongerannt.“ Dort, wo einst ihr kleines Haus mit den zwei Zimmern stand, türmt sich heute der stinkende Müll. Nanyonjo hat alles, was sie je besaß, verloren: Möbel, Kleidungsstücke, Haushaltswaren. Übrig geblieben waren nur die Schlafanzüge, die die Kinder am Leib trugen. „Am meisten weine ich um die Fotos meiner verstorbenen Mutter“, sagt sie leise. „Und um meine Nachbarn, die das Unglück nicht überlebt haben – wir waren eng befreundet.“

Nanyonjo musste nach der Mülllawine wegziehen

Shadia Nanyonjo überlebte die Mülllawine von 2024 Foto: Simone Schlindwein

Während die junge Frau ihre Tränen wegwischt, blickt eine Nachbarin aus einem Haus, das noch steht. Die Mülllawine hat es gerade so um wenige Meter verfehlt. Die beiden Frauen grüßen sich. Bis vor einem Jahr haben sie nur einen Steinwurf voneinander entfernt gelebt, ihre Kinder spielten jeden Tag zusammen, berichten sie.

Nach dem Kollaps der Mülldeponie musste Nanyonjo wegziehen. Die 31-jährige Zamhall Nansamba hingegen hatte Glück, ihrem Haus ist nichts passiert. „Doch wir haben unsere ganze Rinderherde verloren“, sagt die junge Frau und zeigt auf den Unrat, der wie eine Lawine direkt neben ihrem Haus zum Stillstand gekommen war. Dort hatten auf einer Wiese einmal ein paar Dutzend Kühe gegrast – das ganze Vermögen ihrer Familie, so Nansamba: „Mein Mann hat diesen Verlust nicht gut überwunden“, sagt sie leise: „Er leidet an einem Trauma und ist seitdem in der Psychiatrie.“

Die rundliche Frau im langen blaugrünen Kleid und mit rosa Kopftuch trägt ihren einjährigen Sohn Habib auf dem Arm. Die Tochter sei im Kindergarten, berichtet sie. „Wir können bis heute nachts nicht gut schlafen“, erzählt sie und blickt auf den Jungen: „Sobald wir nur ein Flugzeug am Himmel hören, fangen die Kinder an zu weinen vor Angst.“ Sie selbst schlafe meist tagsüber, weil sie nachts „Wache hält“, wie sie sagt. „Man weiß ja nie, wann die nächste Lawine kommt.“

Die Stadtverwaltung hatte nach dem Unglück im vorigen Jahr die Anwohner im Umkreis angewiesen, umzuziehen, weil die Gefahr groß sei, dass die Müllhalde noch weiter abrutsche. Doch die Menschen, die in diesem Armenviertel am nördlichen Stadtrand von Kampala leben, haben kein Geld, um sich anderswo anzusiedeln, so Nansamba: „Wir leben jetzt in stetiger Angst.“

Immerhin, Kampalas Stadtverwaltung (KCCA) hat direkt nach dem Unglück die städtische Deponie im Stadtteil Kiteezi, wo seit über 27 Jahren der ganze Unrat der Zwei-Millionen-Metropole unsortiert abgeladen wird, geschlossen, so Daniel Nuweabine, Sprecher der Stadtverwaltung KCCA. Er erklärt: Um die Halde zu befestigen, hat die Regierung Japans jetzt eine Million Dollar zugesagt. Nun werden Maschinen und japanische Ingenieure eingeflogen.

500.000 Tonnen Müll sollen verdichtet werden

Sie sollen die rund 500.000 Tonnen Müll, die sich seit der Eröffnung der Deponie 1998 zu einem gewaltigen Berg aufgetürmt haben, so verdichten, dass weitere Unglücke verhindert werden. „Es geht konkret um Arbeiten in den hochriskanten Teilen des Deponiegeländes, denn dort rechnen wir mit erneuten Explosionen“, erklärt Nuweabine: „Da Methangas unter der Deponie vorhanden ist, führt die Erhöhung des Drucks dazu, dass sich die Risse weiter öffnen und einen weiteren Erdrutsch verursachen können.“ Die Japaner würden dies nun profes­sionell angehen.

Parallel dazu habe KCCA im März dieses Jahres 27 Kilometer westlich von Kampala, nahe dem Ort Buyala, rund 90 Hektar Land erstanden, um dort eine neue Deponie anzulegen, berichtet Nuwabine. Die Stadtverwaltung habe hinsichtlich der Müllverarbeitung große Pläne, sagt er: „Wir planen ein Kompostierungsprojekt, das Biogas erzeugt“, so Nuweabine. Und betont, dass noch immer mehr als 80 Prozent der Haushaltsabfälle kompostierbarer Müll sei, weil die Ugander nur selten verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen. Was nicht kompostierbar sei, werde in Zukunft recycelt.

Bereits im vergangenen Jahr hielt die deutsche Außenhandelskammer zum Thema Kreislaufwirtschaft und Müllverarbeitung eine Konferenz in Kampala ab, deutsche Firmen wie Siemens waren anwesend, um sich die Pläne von Ugandas Umweltministerium anzuhören, mehr Wertstoffe wie Plastik zu recyclen – ein Prozess, der bislang in Afrika fast gar nicht stattfindet. Die neuen Deponien sollen deswegen keine klassischen Müllhalden mehr darstellen, sondern Wertstoffhöfe, wo der Unrat sortiert, getrennt und möglichst weiterverarbeitet wird – ganz nach deutschem Vorbild, so die Idee.

Doch die Umsetzung kostet Zeit. Denn bis dafür tatsächlich auch Investoren beauftragt werden und Geld bereitgestellt wird, geht das Abladen von unsortiertem Unrat auch in Buyala weiter. Dabei ist das neu erworbene Land umstritten: „Nach unserem Kenntnisstand handelt es sich hierbei um ein Waldschutzgebiet“, so Aldon Walukamba, Sprecher von Ugandas Forstbehörde, die für den Erhalt von Ugandas Regenwäldern zuständig ist. Die neue Mülldeponie liege eindeutig innerhalb eines Waldschutzgebietes, durch das ein Fluss fließe, der in ein Sumpfgebiet nahe des gewaltigen Victoriasees münde, das „einen wichtigen Beitrag zum Viktoriasee, seinen Ökosystemen und der davon abhängigen Artenvielfalt leistet“, so Walukamba.

Streit zwischen den Behörden

„Wir haben Ende Dezember erfahren, dass Kampalas Stadtverwaltung dort Müll ablädt“, berichtet der Sprecher der Forstbehörde im Interview mit der taz. Er klingt wütend. „Wir sind sofort dorthin gefahren und mussten feststellen, dass Soldaten dort stationiert waren und uns nicht einmal Zutritt auf das Gelände gewähren wollten“, berichtet er.

Kampalas Müll­abfuhr lädt in Buyala fast täglich über 2.000 Tonnen Unrat ab – unsortiert

Seitdem streiten sich nun die Behörden. Mehrere Gerichtsverfahren wurden von beiden Seiten angestrengt, einige sind noch nicht abgeschlossen. Die Stadtverwaltung KCCA besteht im Interview mit der taz darauf, dass das Grundstück bei Buyala, auf dem nun Müll abgeladen wird, zwei Privatpersonen gehöre, von welchen KCCA das Land im März rechtmäßig erworben habe. Das Landministerium habe zuvor durch erneute Vermessungen „eindeutig festgestellt“, dass das umstrittene Gebiet nicht Teil des Waldschutzreservats sei, so KCCA-Sprecher Nuwabine: „Wir haben die Forstbehörde sogar zum Gerichtsprozess eingeladen, damit sie ihre Bedenken vortragen können“, betont Nuwabine. „Doch sie sind nicht gekommen, also wurde entschieden.“

„Wir haben das Schreiben hinsichtlich des Gerichtsprozesses erst nach der Entscheidung erhalten“, wettert hingegen Walukamba von der Forstbehörde. „Die Stadtverwaltung hat sich mit Kriminellen zusammengetan, um das Land illegal an sich zu reißen“, stellt er gegenüber der taz klar. Die Forstbehörde warte nun ihrerseits darauf, dass das Verfahren vor Gericht neu aufgerollt wird. Denn, so Walukamba: „Was hier vor sich geht, ist eindeutig überhastet und illegal.“

Müll wird in Buyala abgeladen

Während sich die juristischen Prozesse lange hinziehen, werden in dem Waldstück in Buyala Tatsachen geschaffen. Kampalas Müllabfuhr lädt dort fast täglich über 2.000 Tonnen Unrat ab – unsortiert.

„Buyala ist zu weit weg, um dort zu arbeiten“, sagt Shadia Nanyonjo während sie in Kiteezi auf den Müll blickt, der vor einem Jahr ihr Haus unter sich begrub. Die alleinerziehende Mutter hat einst auf der Müllhalde gearbeitet, berichtet sie. „Ich habe mit bloßen Händen Plastik sortiert und Metallgegenstände wie Kupferkabel eingesammelt, um sie an Schrotthändler zu verkaufen“, sagt sie. Damit habe sie täglich umgerechnet knapp drei Euro verdient. „Das hat ausgereicht, um meinen Kindern eine warme Mahlzeit zu kochen und sie in den Kindergarten zu schicken.“

Heute hat sie kein Haus und keine Arbeit mehr und lebt mit ihren drei Töchtern sowie ihrem behinderten kleinen Bruder in einer Einzimmerwohnung, deren Miete sie sich kaum leisten kann.

Noch immer wartet sie auf Entschädigung von der Regierung. „Wir haben bis heute nichts erhalten, obwohl es uns versprochen wurde“, so Nanyonjo. Dann macht sie sich auf den Weg zu ihrer kleinen Wohnung einige Straßen entfernt. Seit über einem Jahr hofft sie jeden Tag vergeblich, dass die Entschädigungszahlung endlich auf ihrem Konto eintreffe, um sie aus dieser Misere zu befreien, in der sie lebt. „Heute kann ich meinen Kindern nur wässrigen Haferbrei vorsetzen“, seufzt sie. Zu mehr reiche das Geld nicht aus.

Auf taz-Anfrage stellt Nuwabine von der Stadtverwaltung klar: „Wir planen, die Entschädigungen nun im September auszubezahlen.“ Nanyonjo freut sich zwar etwas, als sie dies hört. Dennoch seufzt sie tief: „Sie vertrösten uns mittlerweile seit einem ganzen Jahr.“

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6 Kommentare

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  • Man holt sich, wie üblich, viel viel viel zu spät, Hilfe ins Land, in diesem Fall von Japan, aber nicht, um das Problem an der Wurzel zu bekämpfen, nein, sondern um die bestehende Müllkippe zu "sichern".



    Weder wird damit der Umwelt, noch den Bewohnern, die beide weiterhin der Verschmutzung ausgesetzt sind, ein Gefallen getan.



    Als Sahnehäubchen oben drauf ist eine neue Müllkippe längst etabliert, in einem Naturschutzgebiet, Stichwort 'schlimmer geht immer', wo nach alter Manier wieder alles wie gehabt einfach in die Natur gekippt wird, nur halt ein paar Kilometer weiter, damit es nicht so auffällt.



    Aus den Augen, aus dem Sinn.



    Lerneffekt null.



    Sinnbildlich für diesen Kontinent.



    Ich muss es leider in dieser Deutlichkeit sagen.



    Zum verzweifeln.

    • @Saskia Brehn:

      Mit Lernfähigkeit hat der im Artikel dargestellte Missstand nichts zu tun, sondern mit Korruption, wie unten LeKikerikrit ja schon geschrieben hat. Fälle von haarsträubender Korruption lassen sich auf jedem Kontinent finden, so zum Beispiel Ungarn unter Orbán, Russland unter Putin usw. Auffällig ist, dass das Ausmaß der Korruption anscheinend mit dem Grad an Autoritarismus/Totalitarismus korreliert. Verwunderlich ist das nicht, denn wo Macht nicht beschränkt und kontrolliert wird, stehen die Türen zum Missbrauch weit offen.

  • Der Bericht sagt mir wieder mal, dass manche Länder es eben nicht können.

    • @Der Cleo Patra:

      Da muss man aber bei uns nur mal 50 bis 60 Jahre zurück gehen. Hier hatte jeder Ort irgendwelche Löcher in denen der Haus- und Sperrmüll sowie Schrott abgekippt wurde und in den 1960ern wurde in westdeutschen Gemeinden noch über das Für und Wider einer Müllabfuhr diskutiert.



      Heute sind die meisten der "Löcher" gnädig mit Boden abgedeckt. Wirkt idyllisch und man merkt erst wenn man zufällig dort gräbt was dort alles liegt.



      Da muss man nicht auf so ein hohes Ross setzen, den Umweltschutz wie wir ihn heute kennen ist doch erst seit den 1980er Thema, vorher lagen die Prioritäten woanders.

  • Eigentlich müsste es in einem Land mit so vielen Arbeitssuchenden möglich sein, ein effektives kostengünstiges Sammel- und Trennsystem ohne hohen Investitionsbedarf aufzubauen und damit nachhaltig für Arbeitsplätze und Umweltschutz zu sorgen. Da wundert es schon, dass die Verantwortlichen vor Ort selbst solche relativ einfachen Systeme nicht hin bekommen.

    • @vieldenker:

      Auch so ein Geschwafel: ... Da wundert es schon ---



      Eyh, die "Verantworlichen" sind bestochen und gekauft. Von wem denn nur, da im Land selbst nichts zu holen ist.



      Und dann taz: die "... rundliche Frau" ...



      Fehlt nur noch "nichtweißer Haut" ...