: Bitte!
Betteln ist in Bremen seit einem Jahr verboten, wenn es zu aufdringlich geschieht. Die Wirtschaft und SPD wollten es so, Linke und Grüne haben es durchgewinkt. Über ein Verbot, das niemandem hilft und trotzdem bleibt
Aus Bremen Friederike Gräff
In Bremen hat man vor einem Jahr das aufdringliche Betteln verboten. Seitdem können Bettelnde, die zu nachdrücklich um Geld bitten, von öffentlichen Plätzen verwiesen werden. Bremen ist eine arme Stadt mit ein paar Reichen dabei wie Kirschen auf dem Kuchen und es sind immer mehr Menschen, die dort betteln. Es gibt hier einige, die das Bettelverbot sinnvoll finden und einige, die sich dafür schämen. Einig sind sie sich nur darin: Geändert hat sich dadurch nichts. Aber zurücknehmen will man es trotzdem nicht.
Es gibt so vieles am Bremer Bettelverbot, das kaum zu verstehen ist, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll mit dem Fragen. Vielleicht am besten bei einem, der selbst bettelt. Ein schmaler Mann vor einer Drogerie fragt nach Geld, undeutlich, weil er nicht mehr alle Zähne hat. Vom Bettelverbot hat er gehört, aber was ihn mehr beschäftigt, ist das Unglück, das schon an seinen Eltern gehaftet habe und nun an ihm. Vor Stimmen ist er weggelaufen und nun auf jeden Cent angewiesen. „Ein kleiner Rausch, irgendetwas zu trinken, irgendetwas braucht man“, sagt er. „Aber es ist schwieriger, weil es mehr Leute gibt, die betteln.“ Heute Nachmittag entscheidet sich sein Antrag auf betreutes Wohnen, dann könne er auch bei der Drogensubstitution mitmachen. „Geister um zwölf“, sagt er, „und dann 20 Jahre Unglück.“
Es gibt noch etwas, worauf sich alle in Bremen beim Bettelverbot einigen können: dass die Handelskammer Bremen den Anstoß dazu gegeben hat. Das bestreitet dort auch niemand, warum auch, denn die Handelskammer hält das Bettelverbot für einen Erfolg. Sie ist damit eher in der Minderheit, aber in Bremen ist sie eine gut hörbare Minderheit. Karsten Nowak, der Sprecher der Handelskammer, sagt, dass sie bei ihren Mitgliedern nach den größten Problemen gefragt hätten und dass die Antwort sie nachdenklich gemacht habe. Die größten Probleme seien Sauberkeit, Sicherheit und öffentliche Ordnung. Der Rest ist schnell erzählt: Die Handelskammer hat einen engen Draht zur Politik, die sie zu einem Runden Tisch einlud, und nur wenig später gab es ein neues Ordnungsgesetz.
Das verbietet, anders als das alte, nicht nur das aggressive, sondern auch das aufdringliche Betteln. Aufdringlich bedeutet laut dem Bremer Gesetz, dass „Personen angefasst, festgehalten, bedrängend verfolgt oder ihnen der Weg versperrt wird“. Außerdem ist nun das aktive Betteln im Nahverkehr verboten und das Betteln im Außenbereich der Gastronomie, es sei denn, die Betreiber erlauben es ausdrücklich.
Fragt man den Sprecher der Handelskammer nach Zahlen, um das Ausmaß des Bettelproblems zu erkennen, ist da wenig zu finden. „Durchaus Beschwerden“ ist die Maßeinheit, und auch jetzt, beim Bilanzziehen, reicht der Kammer ihr Gefühl. „Wenn ich höre, es hat sich entspannt, brauche ich keine Zahlen mehr“, sagt Nowak. „Der Stein, den wir ins Wasser geworfen haben, war sehr wichtig. Auch wenn das weniger mit Betteln zu tun hat als mit Drogen- und Bandenkriminalität.“ Die Bettler, so klingt es, sind der Kollateralschaden im Kampf gegen etwas ganz anderes, aber so kann es passieren, wenn der Hanseat seine Stube fegt. Oder genauer: Die Bettler sind etwas mehr als kollateral, ein nebengeordnetes Problem.
Wirkung kaum nachweisbar
Was das verschärfte Bettelverbot gebracht oder nicht gebracht hat, wollte die Linke kürzlich in einer parlamentarischen Anfrage erfahren. In der Vorbemerkung dazu heißt es: „Was vorher durch das Hausrecht bereits geregelt war, wird nun mit einer Geldstrafe bis 500 Euro geahndet, was für die bettelnden Menschen kaum aufzubringen ist und die Gefahr mit sich bringt, Menschen aufgrund ihrer Armut im Rahmen einer Ersatzfreiheitsstrafe ins Gefängnis zu bringen.“ Das klingt nicht so, als sei die Linke ein Fan des neuen Ortsgesetzes – was bemerkenswert ist, schließlich gehört die Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt, die das Gesetz mitgetragen hat, selbst zur Linkspartei.
Das Ergebnis des Bettelverbots ist laut Bremer Senat sehr überschaubar. Im Jahr vor der Verschärfung des Bettelverbots gab es 137 Platzverweise, bei denen allerdings unklar ist, ob sie wegen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung ausgesprochen wurden. Das Gleiche gilt für die 51 Platzverweise, die nach der Verschärfung verhängt wurden. Es gab elf Anzeigen wegen aggressiven Bettelns, zehn davon auf öffentlichen Plätzen. Zweimal wurden Bußgelder verhängt, eines davon wurde gezahlt.
Wenn man bei der Linken anfragt, um herauszufinden, wie sie heute zum Bettelverbot steht, heißt es, dass der Zuständige anrufen werde. Er ruft aber nicht an. Vielleicht liegt das an der Urlaubszeit und vielleicht auch daran, dass man im Urlaub noch weniger Lust hat, über Fragen zu sprechen, für die man keine Lösung gefunden hat. Aber das ist Spekulation.
Betteln ist Gewerbe in der Krise
Das verschärfte Bettelverbot kommt zu einer Zeit, in der das Betteln ohnehin in der Krise steckt. Inzwischen hat auch Bremen die Crackwelle erreicht. Die meisten Suchtabhängigen, so sagen die Streetworker, konsumieren inzwischen Crack. Ob sie den Stoff durch Betteln oder mit anderen Mitteln finanzieren, darüber gehen die Meinungen selbst in der Drogenhilfe auseinander. Sicher ist: Wer Geld für Drogen braucht, braucht es sehr dringend. Dabei haben inzwischen immer weniger Passant:innen Bargeld in der Tasche. Und die, die welches haben, sehen die Bettelnden nicht mehr. „Sie gucken auf ihr Handy“, sagt ein Bettler, der bemerkenswert gut gelaunt neben einem Kollegen steht.
Der Bettler hat sehr blaue Augen und spricht über das Bettelverbot mit einem philosophischen Blick, der den Urheber:innen des Verbots weitgehend abgeht. „Ich habe vor einem halben Jahr wieder angefangen zu betteln“, sagt er. „Es Ist übel geworden. Man muss etwas zu bieten haben, sonst ist man einer unter vielen.“ Er sieht auf den Kollegen, der neben einem Hund sitzt und La-Fontaine-Fabeln liest. „Er ist Südländer, er hat Ausstrahlung“, sagt er. Viele der obdachlosen Straßenzeitungsverkäufer seien dagegen oft ziemlich aufdringlich. „Ich finde diese Übergriffigkeit nicht okay, schließlich bin ich ja nicht unsichtbar, die Leute sehen mich doch.“ Der Bettler überlegt ein bisschen, dann sagt er: „Es sei denn, man hat Umgangsformen. Wenn man keine Umgangsformen hat, finde ich ein Verbot in Ordnung. Aber man kann es nicht einem erlauben und dem anderen nicht. Es gibt ja keinen Führerschein für Bettler.“ Dann lacht er ein bisschen.
Die Frage der Nichtunsichtbarkeit ist unter den Bettelnden umstritten. Gleich um die Ecke sitzt ein Mann auf einer zusammengerollten Isomatte, sein Haar steht ihm zu Berge, ein Becher mit einem kleinen Plastikpapagei vor ihm. Der Papagei war ein Geschenk, aber im Becher liegt kaum etwas. Das neue Bettelverbot macht den Mann zornig, aber Grund dafür ist nicht das Verbot, sondern, dass das Ordnungsamt so selten kontrolliere. „Ich hab die Arschkarte“, sagt er. Er habe sie, weil er die Leute nicht anspricht, und diejenigen, die es tun, vergeblich zurückpfeift. „Macht man es selbst, kriegt man eins aufs Dach.“ Betteln ist ein Gewerbe, in dem die Einzelnen genauso miteinander konkurrieren wie in jedem anderen auch. Der Unterschied ist nur, dass sie prekärer sind als diejenigen, die sich in Handwerks- und Handelskammern organisiert haben. Kein Wunder, dass man die Konkurrenz im Blick hat.
„Die Leute geben mehr, wenn man sie anspricht. Sonst ist es, als wäre man ein Gespenst, man ist eh nur ein Penner“, sagt der Mann mit dem Papagei. Aber wieder ein paar Ecken weiter sitzt eine Frau mit kurzen blondierten Haaren und Brille, die das Gegenteil erklärt. „Die Leute wollen nicht angesprochen werden“, sagt sie. “„Moin“ ist schon zu viel. Wenn man ruhig dasitzt, finden sie es angenehmer. Sie gucken sich an, wem sie etwas geben.“ Zum Beispiel Leuten wir ihr und ihrem Partner, „weil wir auffallen, weil wir so sauber sind. Kein Alkohol, keine Junkies.“ Während sie das erzählt, kommt ein schmaler alter Mann vorbei. „Über Sie hat doch die Zeitung geschrieben“, sagt er und es stimmt, in der Lokalzeitung gab es einen Text über das Paar, sie Verkäuferin und er Koch. Bis vor ein paar Wochen, als sie ihre Wohnung verloren, überlegten sie selbst, wem sie auf der Straße Geld gaben.
Bundesverfassungsgericht
„Mein Engel ist im Himmel“, sagt der alte Mann vor dem bettelnden Paar etwas unvermittelt und küsst eine Kette, die er um den Hals trägt. „Alles Gute Ihnen.“ Wer ist unsichtbar und wer nicht? Hunde scheinen ein gutes Mittel gegen die Unsichtbarkeit zu sein. Oder ein Erscheinungsbild, das die anderen daran erinnert, dass man selbst fallen könnte, ganz plötzlich.
In Bremen regiert eine rot-grün-rote Koalition, eigentlich keine Konstellation, von der man eine verschärfte Gangart gegen die Ärmsten erwarten würde. Und fragt man bei den Grünen nach, so klingt es, als sei das Gesetz hinterrücks durch Handelskammer und SPD durchgeboxt worden. Dabei haben die Grünen es mit verabschiedet. „Ich hätte gern eine andere Debatte geführt“, sagt Michael Labetzke, grüner Sprecher für Innenpolitik. Und: „Die Strafzahlungen hätten da nie reingedurft.“ Labetzke ist sehr klar darin, dass er das Gesetz unglücklich findet, „ein Zeichen an die Bevölkerung“, bei dem man „vielleicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen“ habe. Der Polizist Labetzke sagt, dass man durchaus seine Sichtweise rückwirkend reflektieren könne, dass er sich als Bremerhavener zum Sozialpolitiker entwickelt habe, weil er täglich die Armut sehe. Aber der allzu weite Schuss gegen die Bettelnden ist trotzdem nicht zurückholbar, zumindest sehen das die Grünen so.
Abschaffen? „Nein.“ Das sagen auch andere Grüne, für die das verschärfte Bettelverbot reine Symbolpolitik ist, mit einem ziemlich schlechten Symbol. Warum? Weil der Preis zu hoch wäre, ein ausgewachsener Koalitionsstreit, den die Opposition gerne nutzen würde. Gerade hat die CDU angefragt, aufgrund welcher Indikatoren der Senat eigentlich glaube, das Verbot des aggressiven Bettelns als Erfolg werten zu können.
Betteln Teil der Menschenwürde
Dabei gibt es Stimmen, die überzeugt davon sind, dass das Bremer Bettelverbot auf juristisch unsicheren Füßen steht. Felix Würkert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg und glaubt, dass eine Klage gegen das Gesetz durchaus Erfolg haben könnte. Zum einen, weil Begriffe wie „aktives“ Betteln im Nahverkehr zu ungenau seien, um vor Gericht Bestand zu haben. Aber, noch viel grundsätzlicher, weil auch aggressives Betteln ein Grundrecht sein könne. In der Schweiz hat sich eine Bettelnde bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt und dort Recht bekommen. Laut Gericht verletzte das Bettelverbot die Achtung ihres Privatlebens, weil darunter auch die Art ihrer Lebensführung fällt.
„Demos würde man nicht einfach so verbieten“, sagt Würkert. Aber geht es da nicht um gesamtgesellschaftliche Interessen statt um privaten Gelderwerb? Das solle keine Rolle spielen, findet Würkert, zumindest nicht, wenn man die Grundsätze übernimmt, wie sie etwa dem Berliner Antidiskriminierungsgesetz zugrunde liegen. Das soll vor Diskriminierung aufgrund des sozialen Status schützen und genau darum könne es sich handeln, wenn NGOs auf der Straße Leute ansprechen dürften, Bettelnde aber nicht. Würkert treibt das Thema um, das hört man ihm an, und in einem seiner Texte, in denen er die Bettelverbote als rechtswidrig anprangert, zitiert er aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Unerheblich sind folglich Belästigungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden.“
„Unerheblich für uns“, so in etwa sagt das auch Fenna Zok, die Geschäftsführerin des Cafés Papp in der Bremer Neustadt. „Die Gäste finden es meist besser, wenn keine Bettler durchlaufen. Aber das ist uns egal.“ Aber regeln wollten sie es im Café doch, weil es immer mehr Leute wurden, die nach Geld fragten und die Gäste genervt, weil ihre Gespräche ständig unterbrochen wurden. Jetzt gibt es eine klare Regel: Wer betteln möchte, meldet sich am Tresen. Ist gerade schon ein anderer Bettler dagewesen, muss man warten, wenn nicht, kann man direkt sein Glück bei den Gästen versuchen. Die meisten halten sich an die Regeln. Wer nicht, wird verwarnt, bei Wiederholung gibt es Hausverbot. Im Team fanden fast alle die Regel gut – bis auf eine Person, die sagte: Ich lasse mir mein Trinkgeld nicht nehmen. Die Verteilungskämpfe enden nicht auf der Straße. Aber weil das Trinkgeld fürs Personal jetzt auch über die Karte gezahlt werden kann, ist der Kuchen, der verteilt wird, größer geworden. „Ich finde, jeder darf einmal fragen“, sagt Fenna Zok. „Wir wollen die Gäste nicht von der Realität abschirmen.“ Was sie auch sagt: „Wir haben hier die größte Sonnenterrasse in der Ecke“ – das ist wirtschaftlich gesprochen ein Garant, sollte es ein paar Gästen zu viel Realität werden.
Die Realität in Bremen ist, dass man ein Gesetz schafft, das nicht mehr sein soll als ein Symbol der Abschreckung. Das Beste sei, darüber zu schweigen, dann habe es keine Wirkung, sagt ein grüner Politiker dazu. Geschwiegen wird auch über die Alternativen, über das, was man der Armut entgegensetzen könnte. Vielleicht aus Mutlosigkeit. Vielleicht aus Desinteresse. Bremen tue schon viel, heißt es von den Sozialarbeiter:innen und der Diakonie. Man sei nun mal keine reiche Stadt.
In deren Fußgängerzone steht der philosophische Bettler und vielleicht ist die Philosophie das, was er zu bieten hat im Wettbewerb der Bettelnden. „Was ich moralisch finde“, sagt er, ist, den Zehnten zu geben. „Dann kommt der eine oder andere auf die Beine und gibt selbst wieder.“ In Findorff, hinter dem Bahnhof, wo seine Stammkundschaft ist, die ihn kennt, sei es ganz anders als hier in der Innenstadt: „Sie interessieren sich für mich. Sie geben nicht aus Mitleid, sondern aus Überzeugung.“
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