Die Künstlerin Vija Celmins in Basel: Flimmern zwischen Raum und Licht, Ding und Zeichen
Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit trieb die US-amerikanische Künstlerin Vija Celmins um. Die Fondation Beyeler zeigt ihr abgründiges Werk.

Es zeichnet sich eine Trendwende ab in der Kunst: Wahrnehmung, Raum, Idee, Konzept, Farbe und Materialität erfreuen sich wieder einer gewissen Aufmerksamkeit. Der kuratorische Drang zur Welterklärung und Identitätsbeflaggung ist noch immer spürbar, hat aber mächtig Konkurrenz bekommen. So wird die Stimme einer kunsthistorisch soliden, tief in einer Sammlung moderner Klassiker verankerten Institution wie die Sammlung Beyeler erst einmal wichtiger.
Dort versucht man seit einer Weile, amerikanische Positionen, die es in Europa nicht ganz bis zum Markenzeichen geschafft haben, mit aufwändigen Retrospektiven zu verankern. Georgia O’Keefe zeigte sich in voller Blüte, darauf hatte man nur gewartet. Bei Wayne Thiebaud fehlte das Passwort; das Werk kam als angestrengt rüber, obwohl es locker sein will. Der neue Versuch gilt der 86-jährigen Vija Celmins, deren Präsenz im Kunstbetrieb etwas Gespenstisches an sich hat. Sie ist nie ganz weg, ihre Kunst enorm teuer und dennoch ein Fall für Insiderinnen und Connaisseure geblieben.
Früh hat Celmins die Falle erkannt, „abstrakte Expressionistin“ zweiter Generation zu werden, gewissermaßen der Abklatsch von Genie. Als Gegengift hat sie ihrer Arbeit die Handbewegung ausgetrieben oder anders gesagt, sich auferlegt, nach Fotografien zu arbeiten. Dabei werden der Reflex eines Blitzes oder eine dramatische Unschärfe bisweilen demonstrativ ausgestellt. Mehr als zehn Jahre war sie ausschließlich Zeichnerin, mit Kohle, Grafit und Bleistift. Ihren berühmtesten Zeichnungen begegnet man im dritten von neun Sälen, 1969–1975: Sie zeigen die Oberfläche des Pazifiks, von einem Pier aus gesehen. Die Bewegung des Wassers wird so akribisch dargestellt, als würde sie im nächsten Akt in Stein gehauen.
Etwas Elementares hat sie umgetrieben in der Frage von Kunst und Wirklichkeit. Fast wäre sie eine Kopistin geworden. Es gibt zwei Werkgruppen, die am Ufer des Rio Grande gefundene Steine und auf Flohmärkten gekaufte Schiefertafeln (im kleinen Format) betreffen. Es ist so gut wie unmöglich, die gefundenen Objekte von ihren Nachahmungen zu unterscheiden, jedenfalls nicht, solange sie unter Glas sind.
Vija Celmins. Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis 21. September. Katalog
(Hatje Cantz): 58 Euro
Ihre Kollegin Elaine Sturtevant hat eine eigene Gattung aus der perfekten Anverwandlung durchgesetzter Kunstwerke gemacht. Celmins ist mit ähnlichem Geschick in eine Sackgasse geraten. Auch unter den Stilllebenmalern des 17. Jahrhunderts sind nicht die in Erinnerung geblieben, die die Sinne am besten täuschen konnten.
Blicke aus dem Autofenster
Begonnen hatte ihr kühles Werk mit häuslichen Stillleben („Heater“, 1964) und abgasgetönten Blicken vom Fahrersitz auf den Freeway („Porsche“, 1966/67). 1985 ist Vija Celmins zum Malen zurückgekehrt, eher im kleinen Format, was mit der Mühe im Detail zu tun haben mag. Sitzend vor der Staffelei tupfte sie sich zusammen: Bilder vom Erdboden in der Wüste, von Sternenhimmeln, von fallendem Schnee, von Spinnennetzen.
Ozean, Wüste und vielleicht der Schnee stammen, fotografisch, von ihr selbst; die Vorlagen der Nachthimmel holte sie sich von der Sternwarte in Los Angeles. Die astrophysischen Aufnahmen bekommen mit dem Hubble-Teleskop in den 90er Jahren einen technologischen Schub. Es entsteht ein psychedelisches Flimmern zwischen Raum und Licht, Ding und Zeichen.

Beim Betrachten ihrer Gemälde ergibt sich ein bildtheoretisches Problem: Wollte man alle Details anschauen, würde man irre; nimmt man das Bild als grafisches Ganzes, hat man es verpasst. Celmins’ Nachtbilder sind opake All-overs, die – als Gemälde – mehr über den Gegenstand sagen als die ihnen zugrunde liegenden Fotografien: Emanationen von Licht, aber eben nicht als Empirie, sondern als leibhaftige Erfahrung. Diese sickert tief ein in die irrlichternde Oberfläche. Dabei kippt der Status der Gemälde ins Objekthafte.
Erfolgreich bei Sammlern
Dies mag der Grund sein, dass sie bei den Sammlern so erfolgreich ist. Nahezu jede ihrer Zeichnungen, jedes ihrer Gemälde steht Pars pro Toto, expliziert allein den Gedanken, auf dem das Werk beruht. Schaltet man zurück in die große Übersicht, ergibt sich so etwas wie ein Perfektionierungsproblem.
Es ist viel geschrieben worden über die Rolle der Fotografie in der Kunst. Gerhard Richter hat aus ihr einen Kult gemacht. Die meisten bildenden Künstler(innen) leben in einer Art stillem Streit mit der Fotografie, der sie nie verlässt. Hier aber sieht es anders aus. Die Fotografie wird überführt in ein schwebendes Etwas. Sie wird nicht benutzt und nicht verleugnet, sondern verwandelt. Es gibt nur ein Werk der Gegenwart, komplett unterschieden von Celmins in Gegenstand und Wirkung, aber ihr in dieser transformativen Beziehung gleich: das von Thomas Demand.
Der zehnte Saal der Ausstellung in diesem glücklichen, atmendem Kunstbau bei Basel ist dunkel und gehört der 32-Minuten-Fassung eines Films von Ila Bêka und Louise Lemoine. Das Duo hat eine Filmgattung erfunden, die aus einem fabulierenden Diskurs über Architektur herrührt. Beauftragt von der Fondation Beyeler, hat es die Künstlerin besucht. Zur Vorbereitung der Ausstellung (in der wir uns befinden) steht in ihrem Atelier in den Hamptons ein Modell dieses Museums in der Schweiz, das einst von Renzo Piano gezeichnet wurde. In einer Nahaufnahme sieht man einen Kater von hinten, der als Riese lautlos durch die Räume stapft.

In diesem Film, der „Vija“ heißt, spricht Celmins plötzlich – und elliptisch – über ihre Erfahrung mit Gewalt. Sechsjährig, angekommen als Flüchtling aus Lettland: „Berlin 1944. Ich hatte keine Ahnung, worum es überhaupt ging. Nicht so sehr die Körper.“ Sie macht eine konstruktive Geste mit beiden Händen. „Aber die Häuser. Ein Haus, eine komplette Ruine, darin ein Bett. Darauf haben wir dann geschlafen, alle vier, mit unseren Mänteln an.“
Durchdrungen von Los Angeles
Zur Ruhe gekommen ist diese Familie in Indianapolis; der mittlere Westen eine Kornkammer der Effizienz. Als junge Frau, schon ein bisschen in Kunst ausgebildet dort, wanderte Celmins weiter nach Los Angeles. Erst in der Mitte des Lebens, längst etabliert, geht sie nach New York, bekommt zunächst Barbara Krugers Atelier in der Wooster Street, kauft später ein Loft in Crosby Street, dann das Häuschen auf Long Island, bald ergänzt durch ein großes Atelier, eine ausgebaute Scheune in einer weiten Landschaft. Ihre Lebenspartner waren und sind, offenbar, Hunde und Katzen.
Ihre Kunst aber ist durchdrungen von Los Angeles, dem „Sunshine & Noir“. So hieß eine Ausstellung vor dreißig Jahren, an der sie beteiligt war. Demnach ist Los Angeles ein Sinnbild von Hell und Dunkel, von der Erfüllung aller Wünsche durch einen Pakt mit dem Teufel: „You can check out any time you like, but you can never leave.“ Vija Celmins’ Kunst zielt nicht auf Eigentlichkeiten, sondern ist Zeugnis einer Reise in etwas Unaussprechliches. Vielleicht entstammt sie einem gewaltigen Akt von Verdrängung oder Sublimation. Im englischen Sprachgebrauch ist das Sublime das Erhabene.
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