CSD in Berlin: Werden wir das Pinkwashing noch vermissen?
Zum CSD hissen viele Unternehmen die Pride-Flagge – und werden dafür kritisiert. Aber was, wenn sie sich nicht mal mehr bemühen, progressiv zu wirken?
D ie BVG läutet schon Mitte der Woche das Pride-Wochenende ein. „Also UNSER Bundestag ist dann jetzt bereit für den CSD“, schreiben Berlins Verkehrsbetriebe auf Instagram. Das Foto zeigt den Eingang des U-Bahnhofes am Bundestag – geschmückt in der Pride-Flagge. Darüber steht in gelben Schriftzug: „Wir helfen gerne beim Flagge zeigen.“
Es ist ein Seitenhieb gegen die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), der queere Liebe wohl zu politisch ist. Sie entschied, dass an diesem CSD keine Pride-Flagge über dem Bundestag wehen wird. Seit Wochen sorgt sie damit für heftige Empörung.
Selbst aus ihrer eigenen Partei gab es Widerspruch. Berlins Senatschef Kai Wegner hisst trotzdem die LGBTQIA+-Flagge über dem Roten Rathaus und stellt sich damit klar gegen Klöckner: „Ich bin auch der Regierende Bürgermeister der Regenbogenhauptstadt“.
Tatsächlich hat Wegner aber auch nicht wirklich eine Wahl. Berlin ist die queere Hauptstadt Europas. Die Stadt wirbt international mit diesem Image. Selbst ein CDU-Regierender kann sich dem nicht entziehen. Wegners Glaubwürdigkeit leidet, wenn sein Parteivorsitzender Friedrich Merz die queere Flagge mit einem Zirkuszelt vergleicht. Gleichzeitig gehen seine eigenen Bekenntnisse auch nicht allzu tief, wenn seine Regierung etwa bei queeren Jugendprojekten und der queeren Bildungsarbeit kürzt.
Die Community will keine leeren Worte, sondern Taten
Nicht nur in der Politik werden Dinge vornerum beworben, die hintenrum nicht eingehalten werden. Jedes Jahr im Pride Month ändern Unternehmen ihr Sortiment – je mehr Regenbogen, desto besser. Was gut gemeint sein mag, kommt jedoch bei Teilen der LGTBQIA+ Community gar nicht gut an.
Im Gespräch mit der taz sagt Marcel Voges, Vorstandsmitglied des Berliner CSD e.V.: „Symbole müssen immer auch mit politischen Handlungen verbunden sein.“ Die Community will keine leeren Worte, sondern Taten. Der Vorwurf, der den Unternehmen und der Politik gemacht wird, hat einen Namen: Pinkwashing. Denn während Konzerne wie BMW in den vergangenen Jahren hierzulande Regenbogenflaggen hissten, taten sie es in Ländern wie Russland nicht, wo es tatsächlich ein wichtiges politisches Statement wäre. Viele finden deshalb, dass es Unternehmen nicht um gleiche Rechte ginge, sondern nur um eins: Profit.
Und auch für die BVG gibt es neben vielen freudigen Kommentaren für die Pride-Flagge auch Kritik. Der Account „springer_raus“ kommentierte unter dem Post: „Vorm Hohen Haus Flagge zeigen und im Untergrund den queerfeindlichen Springer-Medien eine Plattform bieten.“ Es ist eine Anspielung auf das Berliner Fenster in U-Bahnen, in dem Nachrichten der Welt und B.Z. zu lesen sind.
Diese Kritik an Pinkwashing zeigt Wirkung. In Zeiten des Rechtsruck geht sie mitunter auch nach hinten los. Statt sich ernsthafter zu positionieren, ziehen sich Unternehmen zurück. In den sozialen Medien tauscht kaum noch eine Marke ihr Profilbild mit dem Regenbogen-Logo aus. Sponsoren ziehen ihre Gelder ab. Der Berliner CSD etwa bekam in diesem Jahr 200.000 Euro weniger Sponsorengelder als im vergangenen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, viele haben auch Angst vor einem Rufverlust in den USA.
Es braucht mehr Akzeptanz von Gleichzeitigkeiten
Aber was passiert, wenn sogar die Fassade wegfällt, wenn Firmen sich nicht mal mehr bemühen, den Anschein zu erwecken, dass ihnen etwas an der queeren Community liegt? Die Sichtbarkeit geht verloren. Was es braucht, ist mehr Akzeptanz von Gleichzeitigkeiten. Man kann sich über eine Pride-Flagge der BVG vorm Bundestag freuen und dennoch zur selben Zeit mehr strukturelle Unterstützung für queere Menschen fordern.
Kritik ist wichtig und Missstände müssen auch weiterhin benannt werden. Aber die Konsequenz der Pinkwashing-Debatte sollte nicht sein, dass die Unterstützung wegfällt. Wenn jemand Queerness unterstützt, ist das erst mal gut und ein Pride-Logo ist ein erster Schritt. In Jugendsprache sagt man: „A win is a win“, frei übersetzt heißt das: Besser als nichts.
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