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Protest gegen Gentrifizierung in MexikoWenn Starbucks zur Zielscheibe wird

Israel-Bokyott-Aufrufe und „Gringos raus“-Plakate: In Mexiko-Stadt nimmt der Protest gegen die Gentrifizierung beliebter Viertel bedenkliche Formen an.

Proteste gegen Starbucks: Gentrifizierungskritik oder Antisemitismus? Foto: Gerardo Vieyra/imago

N atürlich traf es mal wieder Starbucks. Irgendwas mit Genozid sprühten De­mons­tran­t*in­nen Anfang Juli in Mexiko-Stadt auf die Scheiben einer Filiale der Kaffee-Shop-Kette, bevor sie den Laden dann entglasten. Was ja an sich schon nicht so zielführend ist. Egal. Seit jemand mal in die Welt gesetzt hat, Starbucks habe etwas, was auch immer, mit Israel zu tun, ist der Konzern zum beliebten Angriffsziel vermeintlicher Ver­tei­di­ge­r*in­nen der palästinensischen Sache geworden. Dass das Quatsch ist, lässt sich einfach nachlesen, etwa auf der regierungskritischen israelischen Plattform Ha’aretz. Nun ja, aber Juden spielen in der Firmengeschichte eine wichtige Rolle. Reicht ja, oder? Vielleicht handelt es sich aber auch nur um infantile Dummheit. Hoffentlich.

Aber eigentlich war die „Israel-Kritik“ sowieso nur das übliche linksradikale Beiwerk einer Demonstration, die sich gegen die Gentrifizierung richtete – ein Thema, das in der mexikanischen Hauptstadt so wichtig ist wie in Berlin und anderen Metropolen. In angesagten Stadtteilen wie Roma oder La Condesa sind die Mieten um ein Mehrfaches gestiegen und für viele Alteingesessene nicht mehr bezahlbar, Ferienwohnungen jagen die Preise in die Höhe, teure Restaurants vertreiben Taco-Buden, lokale Händler müssen schicken Boutiquen weichen.

Leider bewegten sich aber einige der Ak­ti­vis­t*in­nen in ihrer Gentrifizierungskritik auf demselben Niveau wie in Sachen Starbucks. Sie zerstörten die Scheiben von Restaurants, während drinnen Menschen arbeiteten oder aßen. Und sie plünderten Läden, die ihren revolutionären Kriterien zufolge nicht in die Viertel gehören. „Gringos raus“ oder „Scheiß-Gringo-Arschlöcher“ hieß es auf Pappschildern. In den Stadtteilen, so die Forderung, sollten heimische Dialekte und keine ausländische Sprache gesprochen werden.

Also auf jeden Fall sind Fremde schuld, genau genommen natürlich US-Amerikaner*innen. Dass in dem komplexen Geflecht, das Gentrifizierung ausmacht, auch Menschen eine Rolle spielen, die aus ungerechten Gründen mehr Geld haben als andere, ist natürlich richtig. Dazu zählen Amis ebenso wie Deutsche, Italiener*innen, Ar­gen­ti­nie­r*in­nen oder wohlhabende Mexikaner*innen. Wie in Berlin-Neukölln oder dem Hamburger Schanzenviertel. Viele internationale digitale Nomaden, die für eine Wohnung mehr zahlen können als Einheimische, sind nach Mexiko-Stadt gezogen. Das hat übrigens die damalige Hauptstadt-Bürgermeisterin und heutige mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum gefördert: 2022 freute sie sich noch über das große Interesse des Ferienwohnungsportals Airbnb und lud „alle fernen Arbeiter in der Welt ein, nach Mexiko-Stadt zu kommen, diese Stadt, die alles hat“.

Nein zur Fremdenfeindlichkeit

Jetzt sieht das anders aus. Sheinbaums linke Morena-Partei fördert Initiativen gegen Mietpreissteigerung, ein Touristengesetz limitiert, wenn auch zu wenig, die Geschäfte von Airbnb und Co. Die heutige Bürgermeisterin Clara Brugada, ebenfalls Morena, betont, man wolle mit günstigen Krediten bezahlbaren Wohnraum für Familien schaffen. Tatsächlich ist neben Spekulation und Korruption auch eine verfehlte Baupolitik für die Misere verantwortlich.

„Wir wissen, dass Gentrifizierung Menschen ausschließen kann, die ihr ganzes Leben in ihren Vierteln verbracht haben“, sagte Brugada. Zugleich stellte sie nach der Demo klar: „Wir weisen kategorisch jeden fremdenfeindlichen Ausdruck gegen Migranten zurück, egal woher sie stammen, wie ihr Aufenthaltsstatus aussieht und warum sie in die Stadt gekommen sind.“ Auch Sheinbaum forderte: „Nein zur Diskriminierung, nein zum Rassismus, nein zum Klassismus, nein zur Fremdenfeindlichkeit, nein zum Machismus.“

Beruhigend, dass bei den regierenden Frauen in Mexiko die Vernunft dominiert. Denn wer glaubt, dem Problem mit nationalistischen und antiamerikanischen Ressentiments begegnen zu können, hat die kapitalistische Dynamik der Gentrifizierung nicht begriffen. Oder ganz anderes im Sinn. So wie die, die angeblich mit Steinen auf Starbucks-Scheiben gegen das Leiden in Gaza kämpfen wollen.

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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4 Kommentare

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  • Na toll, 3 Monate bevor ich nach Mexico auswandern will. Na dann suche ich mir was in Playa del Carmen anstelle im Landesinneren ;-)



    War ja klar, dass der internationale Rückgang der Gastfreundschaft irgendwann in Land in dem Milch und Honig fließt ankommen wird. Zum Glück spreche ich ein-zwei Wörter Spanisch.



    Arrividerci Ragazzi!

  • Ja zu Angriffen auf Starbucks, McDonalds und Co. Gentrifizierung ist unwillkommen, es steigen die Mieten, ungesunde Lebensmittel sollen zur Normalität werden, Amerika ist spätestens mit Trump eh nicht mehr Willkommen.

    NEIN, wenn die Angriffe einen antisemitischen oder sonstigen menschenfeindlichen Hintergrund haben.

  • Ja das Problem sind natürlich generell Reiche, die halt mit ihrer Zehntwohnung in Mexiko oder sonstwo der dortigen Bevölkerung den Wohnraum wegnehmen und dafür sorgen, dass für sie ein Wohnungsangebot geschaffen wird, statt für die örtliche Bevölkerung.

    Von daher ist die Einschränkungen "die aus ungerechten Gründen mehr Geld haben als andere" vollkommen überflüssig.



    Denn der ausufernde Reichtum einiger weniger ist im Grundsatz allein für sich schon ungerecht und erzeugt massive soziale Verwerfungen.

  • „Denn wer glaubt, dem Problem mit nationalistischen und antiamerikanischen Ressentiments begegnen zu können, hat die kapitalistische Dynamik der Gentrifizierung nicht begriffen.“

    Da kann man dem Autor die Frage stellen, wo, wie und wann man der kapitalistischen Dynamik mit ihrer zerstörerischen Kraft noch richtig begegnen kann, wenn immer und überall so penetrant das Trugbild ihrer glücksverheißenden Befreiungsbotschaft verbreitet wird. Dieses „Du musst nur wollen (und können), dann kannst auch du dir das Konsumglück auch leisten“ hat mindestens 3 negative Seiten: Da sind die, die für das Glück der anderen zu Hungerlöhnen schuften müssen. Dann noch die, denen die Grundlagen ihres Lebens und ihrer Rechte geraubt werden. Und immer wieder auch die Natur, die mindestens in Mitleidenschaft wenn nicht nachhaltig zerstört wird.

    Angriffe auf Starbucks, Mc Donalds, Supermarktketten oder Klimakleber usw. mögen nur symbolisch sein, das liegen sie aber auf einer Linie mit Symbolpolitik und hochgelobter symbolischer Kunst.