Debüt-Roman von Publizist Sascha Ehlert: In den Washington-Palmen nisten die Ratten
Hollywood als Zuflucht, Pop als Frage. Publizist Sascha Ehlert holt in seinem Debütroman „Palo Santo“ Billy Wilder ins Jetzt zurück. Funktioniert das?
„Berlin ist nicht Los Angeles.“ Das ist zeitlos wahr, und doch sucht seit einigen Jahren ein interessanter Strang junger deutscher Gegenwartsliteratur neue Möglichkeitsräume unter den „heimelig rühreifarben illuminierten Palmenwipfeln“ (Stuckrad-Barre) von Malibu, Miami und dem Chateau Marmont.
Der Debütroman des Pop-Publizisten Sascha Ehlert (Korbinian Verlag, Zeitschrift „Das Wetter“) reiht sich hier ein, politisiert die Suche nach einem ästhetisch gelingenden Leben, aber vor dem Horizont der gegenwärtigen Wiederkehr des Faschismus in Deutschland.
Die Verzweiflung darüber lässt Golo und Hedi, ein junges Berliner Paar von Kreativen, sozusagen um einen Billy Wilder von innen bitten, und prompt geraten sie in eine Raum-Zeit-Schleife, in der sie dem Regisseur und seiner Frau tatsächlich begegnen. Wir lernen Billy, geboren als Samuel Wilder in Galizien, zunächst als Berliner Journalisten bei einer Friedrich-Blunck-Lesung vor dem Krieg kennen, bevor er seinem Vorbild Ernst Lubitsch ins amerikanische Exil folgt.
Eine gute Idee
Später hat er die Deutschen sehr genau bei der Entnazifizierung beobachtet, zwischen dem Reeducation-Atrocity-Film „Die Todesmühlen“ und der Komödie „One, two, three“, und jetzt spielt er Tischtennis mit Golo. Als „überzeugter Vertreter der These, dass man böse Geister mit schlechter Moral und Hass im Herzen immer auch an einem falschen ästhetischen Gespür erkannte“, erweist sich Wilder aber auch für die Jungregisseurin Hedi als idealer Führer durch das künstlich-utopische Palmenreich und aktualisiert zugleich einen vernachlässigten Traditionsstrang des Pop – eine schöne Romanidee!
Ehlert kennt die Tropen der Popliteratur und zitiert sie alle. Man liest das gern, auch weil dem Autor neben überraschenden Wendungen der Story immer wieder memorable Formulierungen gelingen; so kehrt das Paar einmal nach Stunden intimer Zweisamkeit „in die Realität der Bildschirme zurück“. Überhaupt überzeugt das Projekt, die ethisch-ästhetischen Fragen des Pop vor dem düsteren politischen Hintergrund von 1933 bzw. 2027 noch einmal neu zu stellen – an Wilder und an uns.
Sascha Ehlert: „Palo Santo“. Claassen, Berlin 2025, 240 Seiten, 22 Euro
Geht Pop überhaupt auf Deutsch und in Deutschland? Wie verhält sich Widerstand zu unserer Freude an Konsum und Mode? Welches ist das beste Led-Zeppelin-Album? Und vor allem: Was ist die Maschine, die Nazis tötet – reicht es aus, dass man sie (die Nazis) lächerlich macht?
„Eine gute Rebellion müsse innerlich wie äußerlich schön sein“, befindet Hedi. „Sie müsse auch ästhetisch eine Alternative zum Bestehenden bieten. ‚Veränderung beginnt an der Oberfläche‘“. So sprach Pop zu allen Zeiten. Einen unverwechselbaren Stil wie, sagen wir, Leif Randt oder Joshua Groß hat Ehlert selbst dabei vielleicht noch nicht gefunden; in der erzählerischen Aufbereitung wie dem Umgang mit historischen Fakten („All dieses Wissen hatte Hedi im Internet erworben“) kommt seine Prosa gelegentlich noch etwas hölzern daher.
Die Romanästhetik reflektiert Melancholie
Es zeichnet sich jedoch ab, dass die ästhetische Lösung des Romans letztlich nicht in Richtung der Wilder’schen Komödien zielt, sondern eher zur reflektierten Melancholie von „Sunset Boulevard“ tendiert. Die meditative Musik von Alice Coltrane oder das titelgebende Räucherholz bezeichnen die Grundstimmung besser als poppige Knalleffekte, und in einer Szene läuft – was könnte uncooler und schöner sein? – das „Rote Album der Beatles“.
Ein ebenso achtsamer wie leicht depressiver Dandyismus prägt insbesondere die unaufdringliche Liebesgeschichte, in der Golo eher zur Onno Viets’schen Einkapselung tendiert, während Hedi zeitweise dem organisierten Widerstand zuneigt. Denn Hollywood und Amerika, das weiß der Roman natürlich, sind dank Trump und Trockenheit auch nicht mehr, was sie einmal waren – wenn sie es denn überhaupt je waren. Lauerte der Faschismus nicht schon in den Stummfilmen von D. W. Griffith? Und wie viel Misogynie steckt in Wilders Komödien? In den Washington-Palmen nisten die Ratten.
Und so war es vielleicht immer schon mehr die „Idee namens Los Angeles“ als seine Wirklichkeit, die das Pop-Versprechen trug. Entsprechend stellt sich am Ende nicht nur Golo die Frage, „wie das richtige Leben im Falschen aussehen könnte“ – und im Falschen, das heißt dann wieder auch hier, bei uns, in Deutschland, gerade eben jetzt. „What would Lubitsch do?“
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