Neues Album von Ozan Ata Canani: Aufrührerischer Agitprop für Saz und Staat
Das neue Album „Die Demokratie“ des deutsch-türkischen Musikers ist ein Plädoyer für Grundrechte. Seine Songs sind nahbar, glaubwürdig und tanzbar.

Seltsam defensiv ist das politisch progressive Lager in den vergangenen Jahren geworden. Linke Staatskritik kennt man mittlerweile fast nur noch aus den Geschichtsbüchern. In dem allgemeinen rechtspopulistischen Klima muss nun sogar Rechtsstaatlichkeit gegen die Neuen Nazis – und neuerdings auch gegen Söders CSU – verteidigt werden.
Da passt es nur zu gut, dass der deutsch-türkische Musiker Ozan Ata Canani dieser Tage ein neues Album unter dem Titel „Die Demokratie“ veröffentlicht. Ähnlich wie einst Ton Steine Scherben spielt auch er darauf eine Art aufrührerischen Agitprop.
Doch anders als die Westberliner Band um Rio Reiser und ihre Songs aus den 1970ern tritt Canani heute in seinen Songtexten nicht gegen, sondern für das demokratische System ein. Ergo sucht man Zeilen wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ auf seinem Album vergeblich. Stattdessen heißt es im Auftaktsong „Den Anfängen wehren/ Wenn nicht jetzt/ Wann dann“.
Es geht um Grundsätzliches
Zwar haben Parolen wie diese mit Rock'n'Roll und Eskapismus ungefähr so viel zu tun, wie die neue schwarzrote Bundesregierung mit einer humanitären Asylpolitik. Doch darf man getrost annehmen, dass es Canani um etwas Grundsätzliches geht. Außerdem sind seine Songs nahbar, auf berührende Weise glaubwürdig, und vor allem: außerordentlich tanzbar.
Ozan Ata Canani: „Die Demokratie“ (Fun In The Church/Bertus/Zebralution). Das Album findet man auch bei bandcamp.
Tour: 6.7. 2025, Edelweißpiraten, Köln; 21. 9. 2025, Bunt oder Blau, Dortmund; 24. 9. 2025, Bumann & Sohn, Köln; 25. 9. 2025, UT Connewitz, Leipzig; 26. 9. 2025, Quasimodo, Berlin; wird fortgesetzt.
Musik macht Canani schon lange. 1975 kam er als Sohn eines türkischen Gastarbeiters nach Deutschland, damals war er 11 Jahre alt. Was er denn haben wolle, damit Canani mit in das fremde Land komme, fragte sein Vater ihn damals. Die Antwort: Eine Saz. Das Saiteninstrument ist das anatolische Äquivalent zur Gitarre, fester Bestandteil türkischer Volksmusik, aber auch das Signaturinstrument vom inzwischen gehypten Anadolurock.
Bald komponierte Canani ab den 1980er Jahren Songs, die Titel trugen wie „Alle Menschen dieser Erde“ und „Deutsche Freunde“, er sang diese auf deutsch und türkisch. In letzterem reimte er in Anlehnung an Max Frisch: „Arbeitskräfte wurden gerufen/Aber Menschen sind gekommen“.
Zwischen allen Stühlen
Zwar spielte Canani damals einige Konzerte und gastierte sogar in einer Talkshow von Alfred Biolek, doch war das allgemeine Interesse an seiner Musik eher gering. Für bundesdeutsche Ohren, so sagte er später einmal, sei sein Sound zu orientalisch gewesen. Und viele der Gastarbeiter*innen wiederum hätten seine deutschen Texte nicht verstanden.
So gab er die Musik wieder auf. Erst 2013 wurden seine Songs durch den Sampler „Songs of Gastarbeiter“ wieder entdeckt. 2021 dann erschien sein Debütalbum „Warte mein Land, warte“. Und „Die Demokratie“ ist nun das zweite Soloalbum des 61-jährigen Künstlers. Aufgenommen hat er es mit der Kölner Indieband Locas In Love.
Empfohlener externer Inhalt
Ozan Ata Canani „Die Demokratie“

Ozan Ata Canani „Die Demokratie“
Ein Glücksgriff, bewegt sich das Quintett – ähnlich wie Canani mit seinen Songs – doch seit vielen Jahren an der Schnittstelle zwischen Pop, Krautrock und psychedelischen Sounds. Die Spielfreude der versammelten Musiker*innen ist den Songs über weite Strecken anzuhören.
So etwa im groovigen Stück „Freund/ Dost“, das präzise treibenden Funk mit anatolischer Harmonik verbindet. Ursprünglich stammt das Stück aus dem Frühwerk des Musikers. Für die Albumversion hat der Istanbuler DJ Bey die Stimme Cananis aus einem alten, 1979 aufgenommen Video gezogen und zur Neuaufnahme hinzugefügt. So gehen Vergangenheit und Gegenwart ineinander über. Und damit wird auch deutlich, dass die Probleme und Sorgen von vor 50 Jahren bedauerlicherweise nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.
Manche Textzeilen des Albums wie „Wenn man Gutes bewahren will/Nimmt man vieles in Kauf“ und „Die Vielfalt macht alles so bunt und auch schön“, mögen dabei grenzwertig moralinsauer daherkommen. Doch schmälert das den Gesamteindruck kaum. Wenn die Band in Songs wie „Gel Gel“, „Was keiner braucht“ sowie dem alles überragenden „Papierkramland“ zur Höchstform aufläuft. Denn selten klang staatsbürgerschaftlicher Agit Pop so sexy wie hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!