piwik no script img

Mikel Mesías GutiérrezEr trommelte gegen Ganggewalt und wurde erschossen

Noch im Frühjahr begleitete die taz den 13-Jährigen in der Küstenstadt Guayaquil in Ecuador – dem Land mit der höchsten Mord­rate Lateinamerikas. Nun ist er tot.

Mikel Mesías Gutiérrez ist 13 Jahre alt geworden Foto: Xavier Moreira

Mikel war ein langer, fröhlicher Kerl, ein Hoffnungsträger. Seit einem Jahr spielte er in der Batucada Popular, einer Trommelgruppe, die die taz im April für eine Reportage begleitet hatte und die in den armen Vierteln der ecuadorianischen Küstenstadt Guayaquil aufspielt, die Jugendlichen mit dem Rhythmus der Musik und der Lebensfreude anzieht – weg von den Gangs, die es besonders auf die Jungs abgesehen haben.

Mikels Oma traf vergangenes Jahr eine Kugel ins Bein, während sie in ihrem Hof gerade Wäsche wusch. Seitdem ist sie behindert. Am Samstag erwischte es dann Mikel. Er war mit einem Freund auf der Straße seines Viertels Flor de Bastión unterwegs, als er die Schüsse hörte. Sie rannten los, um sich neben Mikels Haus zu verstecken. Doch die Gang verfolgte sie und schoss.

Da war es etwa 17.30 Uhr. Verwandte brachten den Verletzten in mehrere Krankenhäuser, doch in keinem gab es Betten, Ausrüstung und Spezialisten. Im dritten Krankenhaus, gegen 0.30 Uhr starb Mikel Mesías Gutiérrez. Auch sein Freund erlag den Schüssen. Am selben Tag erschoss die Gang noch zwei Erwachsene.

Mikel war wissbegierig

Mikel ist 13 Jahre alt geworden. „Er war so wissbegierig, wollte unbedingt lernen“, sagt Xavier Moreira, der Direktor der Batucada. „Er war der erste in seinem Viertel, der das schwierigste Instrument erlernte – die Paradetrommel.“ Wenn Mikel zur Probe kam, ertönte schon von Weitem sein langgezogenes „Taaaaa Locoooo“ – „Is das irre!“. Zur Freude aller.

Sein Tod breche ihm das Herz, sagt Xavier Moreira. Mikel war in einem neuen Programm der Batucada: „Träume, die erklingen, Batucadas, die verändern.“ Die Jugendlichen hatten dafür einen Wettbewerb gewonnen, finanziert von den Vereinten Nationen. Und er war der Jüngste im Programm der Batucada für jugendliche Führungskräfte.

Vielleicht liegt das in der Familie: Seine Mutter ist eine Anführerin im Viertel, wie so viele Mütter dort hat sie Mikel und seine Schwester alleine großgezogen. Sie arbeitet als Pflegerin in einem staatlichen Zentrum für die Entwicklung von Kindern. Doch hat das Ministerium für wirtschaftliche und soziale Inklusion seit Monaten keine Löhne gezahlt. Mikels Familie muss nun Spenden für sein Begräbnis sammeln. Für Soziales, Schulen und Kultur in den Vierteln fehlt hier Geld, ebenso wie Arbeitsplätze.

30 Todesopfer an einem einzigen Wochenende

Präsident Daniel Noboa gibt das Geld lieber für seine Sicherheitspolitik aus, für noch mehr Militär, Polizei und Megagefängnisse. Die Jugendlichen in den Vierteln, besonders die Schwarzen wie Mikel, sind in den Augen der Sicherheitskräfte vor allem eins: Kriminelle, für die es immer härtere Gesetze braucht, und deren Menschenrechte verletzt werden können. Die Gangs genießen oft mehr Vertrauen in den Vierteln als die Polizei. Das Ergebnis: Schießereien und Massaker. Allein 30 Todesopfer im Bandenkrieg zwischen Tiguerones Fénix und Igualitos an einem einzigen Wochenende im Mai.

Ecuador hat mittlerweile die höchste Mord­rate Lateinamerikas und die dritthöchste Zahl an Binnenflüchtlingen: 101.000 Menschen im Jahr 2024. Schuld ist der Drogenhandel, der Kampf um Gebiete und Schutzgelderpressungen. Seit heftigen Massakern im Frühjahr flüchten Menschen erstmals innerhalb der Stadt. Eltern schicken ihre Kinder weg, damit sich weder Polizei noch Gangs die Jungs holen oder sie ermorden. Doch Grundlegendes hat sich nicht geändert. Mikels Mutter hatte deshalb geplant, kommende Woche aus dem Viertel wegzuziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!