BSW nach der Wahlniederlage im Bund: Wer zieht künftig den Wagenknecht-Wagen?
Nach anfänglichen Erfolgen ist die Zukunft des Wagenknecht-Bündnisses ungewiss. Stimmungsbilder aus dem sächsischen Landesverband zeigen: Das Profil fehlt.

„Wann haben Sie denn mal einen Kompromiss gemacht?“, fragt er Wagenknecht in der ersten Hälfte der Diskussion. Und als es im zweiten Teil um den russischen Überfall auf die Ukraine geht, verlieren zwischenzeitlich sowohl er als auch Teile des Publikums ihre Contenance.
Die Schuldzuweisungen Wagenknechts an Europa und die USA und ihre Liebesbekundungen an den Kreml münden in den Satz: „Wir sollten nicht so tun, als ob in Moskau ein wahnsinniger Diktator am Werk sei!“ Worauf Kretschmer konterte: „Es gibt auch keinen vorgeschobenen Grund für den Angriff auf ein anderes Land!“
Den inneren Zustand des BSW erhellen dagegen Wagenknecht-Äußerungen zum Abbruch der Sondierungen für eine sächsische Brombeer-Koalition im vorigen Herbst und zum knappen Scheitern bei der Bundestagswahl. Im Vergleich zu den drei erfolgreichen Landtagswahlen 2024 verlor das Bündnis im Februar ein Viertel bis ein Drittel der Stimmen. Feierstimmung herrscht nicht mehr. Im Gegenteil, in Thüringen hat ein Landesparteitag Ende April gerade noch eine offene Spaltung in linientreue Wagenknechte und Landesautonome abwenden können.
Ob in Regierung oder Opposition – wofür steht das BSW?
Sahra Wagenknecht ist intelligent genug zu erkennen, dass es um die Identität ihres zusammengewürfelten Bündnisses geht. Diese drohe bei zu frühen Regierungsbeteiligungen verloren zu gehen. Deshalb der Abbruch von Koalitionsgesprächen wie in Sachsen, wenn nicht alle Maximalforderungen erfüllt sind. Als warnendes Beispiel gilt Wagenknecht dagegen der interne BSW-Konflikt um die Regierungsbeteiligung in Thüringen. Dort machte die Landesspitze gegen ihren Willen Kompromisse mit CDU und SPD.
Die Parteichefin macht die Thüringer sogar für das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl verantwortlich. „Vielleicht hätte ich noch mehr darauf achten müssen, dass unser Profil erkennbar bleibt“, antwortete Wagenknecht auf die Schlussfrage nach ihrem größten Fehler.
In Sachsen und Dresden lässt sich dieses Dilemma illustrieren. Kaum ein BSW-Mitglied will aber namentlich zitierbar auf die Frage antworten, ob die junge Partei ihren Zenit bereits überschritten habe. Intern kursiert auch hier hinsichtlich des Bundestagswahlergebnisses der Vorwurf: „Der Osten hat´s verkackt“.
Warten auf den nächsten Schritt
Ein Teil schiebt wie die Große Vorsitzende die ausgebliebene Planerfüllung auf wahlorganisatorische Pannen und eine Verschwörung von Meinungsforschungsinstituten und Medien. Andere machen es sich weniger leicht. Wenn vor einem Jahr noch Einigkeit bestand, dass das BSW eine so genannte Repräsentationslücke im Empfinden der Wählerschaft fülle, so räumen manche inzwischen Unklarheit über diese Lückenfüllung ein.
„Konservatismus gepaart mit sozialen Gerechtigkeitsidealen, wirtschaftsliberal, aber kritisch gegen Großkonzerne, familienorientiert, pazifistisch“, ist auf die Frage nach Schlagworten zum eigenen Profil zu hören. Viele Gegensatzpaare, die ausbalanciert werden müssen.
Auslöser der Erfolgswelle 2024 waren unbestritten die persönliche Ausstrahlung von Sahra Wagenknecht und das Friedensthema. „Aber diese Wirkung schwindet“, konstatiert der Landtagsabgeordnete und Quereinsteiger Ralf Böhme, der auch der BSW-Fraktion im Dresdner Stadtrat vorsitzt. „Der nachfolgende Schritt ist uns noch nicht gelungen, dass Leute uns wegen unseres Profils wählen.“
Erst mal als selbständige Partei konstituieren
Wie genau das eigene Profil aussehen soll, ist eben schwer erkennbar. Wenig greifbar sprechen Wagenknecht und die sächsische Landesvorsitzende Sabine Zimmermann meist nur von allgemeiner „Veränderung“. Ein sympathisierender sächsischer Beobachter diagnostiziert daher, dass die Wagenknecht-Sturzgeburt einen „Selbstfindungsprozess“ brauche: Bernd Rump, der zu PDS-Zeiten bis 2008 als Oberstratege galt. Rump ist formal noch Mitglied der Linken. Er beteiligt sich aber rege an den lokalen Gesprächszirkeln, die das Vorfeld der wenigen offiziell zugelassenen BSW-Mitglieder sind und das eigentliche Parteileben ausmachen. Viele Anfangssympathisanten seien schon nicht mehr dabei, registriert er.
„Es war alles zu viel“, blicken Rump und andere auf ein turbulentes und durch viele Wahlen auch sehr anstrengendes erstes BSW-Jahr zurück. Interne Probleme bremsten die überzeugende öffentliche Ausstrahlung. Rump teilt die Mitglieder in zwei Gruppen, nämlich „ganz normale, aber sehr engagierte Leute“ und eine „Kadertruppe“, die westlich dominiert werde von Akteuren wie Klaus Ernst oder Sevim Dagdelen. Überhaupt sei nach wie vor die Parteiabspaltung von der Linken evident. Das BSW müsse sich erst einmal als selbstständige Partei konstituieren und nicht als modifizierte Linke.
Das heterogene BSW-Klientel erleichtert diesen Prozess nicht gerade. Von ehrlichen Politikeinsteigern oder Wechslern von der Linken über Karrieristen bis hin zum Altstalinisten mit dem Mitgliedsbuch der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft ist beim BSW alles zu finden. „1989 war der Anfang vom Ende“, erklärte ein betagter Ordner bei einer Wahlveranstaltung auf dem Dresdner Schlossplatz.
Das straff limitierte Aufnahmeverfahren, das Trojaner und Trittbrettfahrer gleichermaßen fernhalten sollte, hat diese teils skurrile Mischung nicht verhindert. In ihr fehlt allerdings eine stürmische Jugend, wie sie jetzt zu Tausenden in die Linke drängt. Das Verfahren soll, ja muss sich ändern, hört man auch in Sachsen, wo die organisierte Basis gerade mal aus 90 Mitgliedern besteht. Im Erzgebirge zum Beispiel gibt es nur drei bestätigte Mitglieder, aber bis zu 50 potenzielle Unterstützer. Eine nichtöffentliche Parteikonferenz in Glauchau befasste sich im April ohne erkennbares Ergebnis auch damit.
Was bleibt von den großen Zielen?
Die weitere Profilierung mit dem Friedens- und Verhandlungsthema erscheint angesichts des offenkundigen Friedensunwillens im Kreml wenig aussichtsreich. Mit steigender Tendenz befürworten inzwischen mehr als drei Viertel der Deutschen höhere Verteidigungsausgaben. Bei der Bedienung der Massenhysterie gegen angebliche Überfremdung wird das BSW die Originale von AfD und CDU/CSU kaum rechts überholen können. Und die Sehnsucht nach mehr sozialer Gerechtigkeit bedient inzwischen eher die wiedererstarkte Linke.
Worin aber bestünde dann eine originelle Marke? Wo sind die Initiativen, zu denen sich andere positionieren müssen? In der sächsischen Oppositionsrolle ist eher das Gegenteil der Fall. Seit der eitlen Verweigerung einer mehrheitsfähigen sächsischen Brombeere mit CDU und SPD fühlen sich manche geradezu „verhöhnt“ im Parlament. Die Minderheitskoalition wird wahrscheinlich eher versuchen, den anstehenden Krisenhaushalt 2025/26 mit Grünen und Linken durchzubringen, als mit dem Sahra-Bündnis.
Diesen Eindruck bestätigt die Fraktionsvorsitzende Sabine Zimmermann zwar nicht. Ob das BSW mit seiner „Doppelstrategie“ aber ernst genommen wird, steht dahin. Die verlangt einerseits eine Zukunfts-Zusatzmilliarde in dem ohnehin mit zehn Prozent unterfinanzierten Haushalt, setzt aber zugleich auf die üblichen kosmetischen Korrekturen beim Reparaturbonus, den Dorfkümmerern oder einigen Sportmillionen.
Bislang waren die „Neuen“ im Landtag seit Oktober eher durch gemeinsame Abstimmungen mit der AfD aufgefallen. Schon in der zweiten Sitzung stimmten sie dem AfD-Antrag auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses zu. Im November befürworteten 14 der 15 Abgeordneten einen AfD-Antrag gegen die geplante US-Raketenstationierung in Deutschland. Der Kreisverband Görlitz scheute sich nicht, gemeinsam mit den rechtsextremen „Freien Sachsen“ zu demonstrieren. Im Februar stimmte wiederum nur die AfD-Landtagsfraktion einem BSW-Antrag zur diplomatischen Beendigung des Krieges gegen die Ukraine zu. Breitere Resonanz könnte eine Initiative vom März zur deutlichen Senkung der Quoren bei Volksanträgen finden, ein uraltes Thema.
Trockenbrot nach Gründungsrausch
Verspricht eine zumindest mittelfristige Abnabelung von der Parteigründerin und Namensgeberin Erholung für die Partei? „Eigentlich nicht“, wiegen die meisten bedächtig den Kopf, ohne unterwürfig zu wirken. Mit ihr stehe und falle das Projekt, der Unterschied wäre „gigantisch“, der intellektuelle Hauptinput komme von ihr. Früher oder später müsse die Partei aber sich selbst tragen, hört man dann leise.
Der Gründungsrausch ist zwar verflogen, aber ganz auf die Brechtschen Mühen der Ebene will man sich noch nicht herunterziehen lassen. Manche ziehen Vergleiche mit den Startproblemen der Grünen vor mehr als 40 Jahren. „Wir haben keine Krise, wir sind nur in einem Entwicklungsprozess“, beschreibt Ralf Böhme den gegenwärtigen Zustand.
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