Arbeitsbedingungen bei Tesla: „Es herrscht eine Kultur der Angst“
Tesla steht nicht nur durch die politischen Aktivitäten von Elon Musk in Verruf. Zwei Investigativreporter stießen durch ein Leak auf eine fragwürdige Konzernkultur.

taz: Herr Verfürden, Herr Iwersen, Sie sind Journalisten und haben im November 2022 mehr als 100 Gigabyte Daten aus dem internen IT-System von Tesla erhalten und ausgewertet. Darunter Adressen und Sozialversicherungsnummern sämtlicher Mitarbeiter, Präsentationen, Memos und sogar die Rechnungen von Musks Leibwächtern. Was hat Sie am meisten überrascht?
Michael Verfürden: Ganz grundsätzlich, dass wir überhaupt an diese Daten kommen konnten. Das war auf so viele Arten unwahrscheinlich. Tesla geht offenbar sehr schludrig mit dem Datenschutz um, obwohl es ein so großer Tech-Konzern ist.
taz: Ein einfacher Wartungsmitarbeiter hat die Daten heruntergeladen und dann an Sie weitergeleitet. Wie konnte das passieren?
Verfürden: Tesla hat eigentlich sehr strenge Regeln für den Umgang mit Daten. Es ist in der Theorie genau geregelt, wer auf was zugreifen darf. Aber in der Praxis hat man sich offenbar nicht daran gehalten. Die Sicherheitseinstellungen waren nicht so, wie sie hätten sein sollen. Und das, obwohl Leute genau davor gewarnt haben – schon lange vor unserem Whistleblower.
taz: Was zeichnet das für ein Bild vom Unternehmen?
Sönke Iwersen: Es herrscht eine Kultur der Angst. Wenn jemand auf Fehler hinweist, wird er nicht gehört. Aber wenn das Problem öffentlich wird, wird er dafür gehängt. Unser Informant Lukasz wurde im März 2019 noch von seinem Vorgesetzten als Held gelobt…
taz: Er hatte damals bei einer Autoshow einen Brand verhindert.
Iwersen: Und sein Chef in Norwegen schrieb dann an Elon Musk, er solle doch mal eine freundliche Mail an Lukasz schicken. Musk tat das auch und fragte: Gibt es noch was zu verbessern? Lukasz machte den Fehler zu sagen: Allerdings, Chef. Ich mache dir mal eine Liste. Nur zwei Wochen später fand Lukasz die Spyware Code42 auf seinem Laptop. Seine Vorgesetzten in Norwegen waren richtig wütend auf ihn. Sie meinten, er würde den ganzen Standort schlecht aussehen lassen mit seinen Verbesserungsvorschlägen und müsste weg.
taz: Findet sich dieser Umgang mit Mitarbeitern auch in den deutschen Tesla-Standorten, allem voran im Tesla-Werk in Grünheide?
Verfürden: Ob Code42 auch in Grünheide eingesetzt wird, wissen wir nicht. Aber wir haben schwarz auf weiß Rechnungen über zehntausende Lizenzen, die Tesla von dieser Spyware eingekauft hat. Zu meinen Quellen gehören viele Leute, die das Unternehmen eigentlich sehr gut finden. Selbst die meinen: Du musst schon aufpassen, wem du hier was sagst. Man müsse immer damit rechnen, dass man die Quittung dafür bekommt, wenn der Supervisor davon erfährt.
taz: Im Buch schreibt ihr über ein Security-Intelligence-Team aus ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern, die auf euren Informanten angesetzt wurden. Gibt es das auch in Grünheide?
Verfürden: Ja. Es gibt Stellenanzeigen, in denen Tesla Ex-Polizisten, Ex-Soldaten und Ex-Geheimdienstleute sucht. In einer steht wortwörtlich drin: Die sollen Informationen zu Bedrohungen für Tesla nicht nur innerhalb der Werksmauern sammeln, sondern auch außerhalb. Das ist das Klima, das dort herrscht. Big Brother Tesla – dieser Begriff ist ganz oft gefallen in Gesprächen mit Insidern.
taz: Warum fällt es Gewerkschaften so schwer, dort Fuß zu fassen? Die IG Metall stellt zwar aktuell die größte Liste im Betriebsrat, ist aber immer noch in der Minderheit und kann kaum ein Anliegen durchbringen.
Iwersen: Das Werk in Grünheide gibt es erst seit 2022. Für die Autobranche ist das sehr jung. Hinzu kommt: Der normale Mitarbeiter war, als er bei Tesla angefangen hat, ein absoluter Fan von Elon Musk. Die Leute liebten Tesla, die Leute liebten Elon Musk. Da gibt es eine Loyalität, die fast schon so etwas Sektenartiges hat.
taz: Sektenartig?
Iwersen: Wenn du dich bewerben willst, musst du schon vorher eine Verschwiegenheitserklärung abgeben. Dann bekommst du gesagt: Alle sind gegen uns. Die Öl-Lobby, die Diesel-Lobby, die Medien, die Politik. Wir haben eine Mission, wir verbessern die Welt. Das gefällt nicht jedem. Also sag niemandem irgendetwas. Wenn du das tust, dann fühlst du dich vielleicht besser, aber dann wirst du entlassen. Amerikanisch gesagt: Make the world a better place. But speak up and we will fuck you. Ich würde angesichts dessen fast sagen, es ist erstaunlich, wie schnell die deutsche Gewerkschaft das in Grünheide überwunden hat.
taz: Ist das amerikanische Unternehmenskultur oder ist das selbst für die USA ein Sonderfall?
Iwersen: Ich habe noch nie gehört, dass bei IBM oder Apple so ein Ton herrscht.
Verfürden: Elon Musk nennt es ja immer „Ultra Hardcore“. Ich glaube, er selbst möchte das auch so verstanden wissen, dass das die Tesla-Kultur ist und nicht die, die in US-Unternehmen üblich ist. Es ist halt in vielerlei Hinsicht besonders. Im Buch schreiben wir auch über die Fluktuation, die phasenweise bei 40 Prozent pro Jahr lag. Normalerweise macht so eine hohe Fluktuation gar keinen Sinn. Es ist ja teuer, Leute anzulernen. Eigentlich kann das gar nicht in deinem Interesse sein als Unternehmen.
Iwersen: Elon Musk denkt immer noch, er müsse alles so führen wie ein Startup. Also quasi unterm Schreibtisch schlafen und nur Pizza essen. Das ist super anstrengend. Musk sagt, wenn wir erfolgreich sind, wird sich das mehr lohnen als alles andere. Aber, für wen lohnt es sich denn? Für ihn. Weil er die Aktien hat. Aber wenn ein Unternehmen innerhalb von zweieinhalb Jahren 100 Prozent der Mitarbeiter austauscht, haben die ja gar nichts davon. Die arbeiten 14 Stunden am Tag und sehen ihre Kinder und ihre Partner nicht. Dann werden sie ausgespuckt vom System und sitzen am Ende mit leeren Händen da. Die werden ja auch nicht gut bezahlt. Das ist schon irre, wie Musk das schafft, diesen Moloch als Paradies zu verkaufen.
taz: Seit Elon als Berater für Trump tätig ist, haben einige Tesla-Fahrer den Sticker „I bought this before Elon went crazy“ auf ihrem Tesla kleben. Wann hat das begonnen?
Verfürden: Ich glaube, der war schon immer crazy und ein Stück weit musst du das ja auch sein. Musk ist schon ein bemerkenswerter Unternehmer, der wahnsinnig viel erreicht hat, sonst wäre er jetzt nicht da, wo er eben ist. Aber er ist eben noch ein viel besserer Verkäufer. Und dazu gehört halt auch dieses „Crazy-Sein“. Sein wichtigstes Produkt sind ja eigentlich seine Visionen.
taz: Zum Beispiel?
Verfürden: Das wirklich autonome Fahren, das fast schon ein Running Gag ist. Musk hat vor wenigen Tagen wieder geschrieben: „Bald kann der Tesla euer Chauffeur sein.“ Das sagt er seit zehn Jahren. Die Leute haben ihm das einfach abgekauft.
taz: Die Absätze brechen ein, trotzdem ist Tesla an der Börse mehr wert als jedes andere Autounternehmen. Warum?
Iwersen: Zynisch gesagt ist das Musks größte Leistung. Dieses Produkt, das er seit zehn Jahren verspricht, aber nicht liefert. Gleichzeitig sagt er, ob Tesla eine Billion wert ist oder null, entscheidet der Autopilot. Das ist eigentlich selbstentlarvend.
taz: Sie nennen Musks Prinzip, absurde Versprechungen zu machen, sie nicht zu halten, und sie dann wieder mit neuen Versprechungen zu machen, den „Musk’schen Kreislauf“. Wie lange geht das noch gut?
Verfürden: Teslas technischen Vorsprung haben andere schon aufgeholt. Das Narrativ der Weltrettung bröckelt auch, nicht zuletzt durch Elon Musks politische Ambitionen, deren Folgen jetzt jeder live im Fernsehen sehen kann. Und rein betriebswirtschaftlich sieht es düster aus für Tesla. Das Unternehmen hat kaum etwas in der Produktpipeline. Die Frage ist, wie man aus diesem Dilemma wieder rauskommen will. Musk geriert sich als Schutzpatron der Redefreiheit und der Rechten rund um den Globus. Ob das reicht, um die Schäden zu reparieren? Ich habe Zweifel.
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