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Wasserstofffabrik statt VogelschutzDie Rohrdommel im „Green Energy Hub“

Im Wilhelmshavener Voslapper Groden-Nord soll ein wertvolles Vogelschutzgebiet einer Wasserstoffabrik weichen. Naturschützer kritisieren die Pläne.

Eingezwängt zwischen Raffinerie (vorn) und Chemiewerk: Im Voslapper Groden-Nord leben viele bedrohte Brutvögel Foto: Ra Boe/Wikipedia Commons/CC-BY-SA

Hannover taz | Wenn Niedersachsens neuer Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) und der ehemalige Umweltminister Christian Meyer (Grüne) an diesem Montag nach Wilhelmshaven reisen, um das zweite LNG-Terminal einzuweihen, werden sicher wieder diese Stichworte fallen: „Deutschlandgeschwindigkeit“, „Niedersachsengeschwindigkeit“, „Chancen der Energiewende“, „Drehscheibe für die Energie der Zukunft“. In der niedersächsischen Landesregierung ist man stolz darauf, wie schnell und umfassend man auf die Gaskrise reagiert hat.

Bei einem anderen Projekt war das Tempo allerdings so hoch, dass die Stadt Wilhelmshaven sprichwörtlich über ihre eigenen Füße gestolpert ist. Ausgerechnet im Naturschutzgebiet Voslapper Groden plant die belgische Firma Tree Energy Solutions (TES) den Bau einer gewaltigen Wasserstofffabrik auf einer Fläche von 145 Hektar. Daran gab es von Anfang an Kritik, wie die Nordwest-Zeitung (NWZ) berichtet. Aktuell dreht das Verfahren zur Bauleitplanung eine Ehrenrunde, da die Unterlagen und Gutachten beim ersten Mal nicht vollständig waren. Da half auch die extra kurz gehaltene Auslegungsfrist zwischen dem 2. Oktober und dem 15. November 2023 nichts.

Der Nabu Niedersachsen hat – anlässlich des Natura-2000-Tages am 21. Mai – seine Kritik an dem Vorhaben jüngst erneuert. Denn die Naturschützer befürchten einen Dammbruch: Denn das Gebiet, in dem TES seinen „Green Energy Hub“ plant, liegt nicht in irgendeinem Naturschutzgebiet, sondern in einem der „wertvollsten EU-Vogelschutzgebiete Deutschlands“. Wenn selbst so hochwertige Natura-2000-Schutzgebiete zur Disposition stehen, fragt der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann, wo soll Naturschutz dann überhaupt noch Bestand haben?

Einzigartiges Biotop-Mosaik

Der Voslapper Groden-Nord ist ein international bedeutendes Brut- und Rastgebiet bedrohter Vogelarten. Hier tummeln sich unter anderem Rohrdommeln, Tüpfelsumpfhühner, Blaukehlchen, Rohrschwirle, Schilfrohrsänger und Wasserrallen. Das war nicht immer so: Das Gebiet war ursprünglich als Industriegelände angelegt, es liegt eingezwängt zwischen einem Chemiewerk im Norden und der Raffinerie im Süden und liegt schon so lange brach, dass sich hier ein einzigartiges Biotop-Mosaik entwickeln konnte. Seit 2007 steht es unter Naturschutz.

Die Firma TES verspricht, Ausgleichsflächen zu schaffen. Die Naturschützer halten diese jedoch kaum für adäquat – weil es sich um Arten handelt, die sich nicht so leicht umsiedeln lassen.

Für die TES ist die Lage allerdings ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Die Belgier haben nämlich große Pläne. Aktuell geht es in Wilhelmshaven zwar „nur“ um den Import von LNG-Gas als Ersatz für russisches Gas. Langfristig wollen sie hier aber „e-NG“ nutzen. Das ist der schicke Name für mittels Wasserelektrolyse hergestelltes Methan, das – wenn dazu erneuerbare Energien genutzt werden – klimaneutral, also grün ist.

Stadt hofft auf Prestigegewinn

Im Gegensatz zu Wasserstoff kann es ohne große Umrüstungen genauso transportiert und verbraucht werden wie herkömmliches, fossiles Erdgas. Damit kann also die bestehende Infrastruktur weitergenutzt werden. Gleichzeitig plant das Unternehmen, am Standort grünen Wasserstoff zu erzeugen und das dabei anfallende CO2 in verflüssigter Form zu exportieren. Wilhelmshaven bietet mit seinem Tiefseehafen und dem Anschluss ans Erdgas- und Schienennetz dafür optimale Voraussetzungen, so die Firma in ihren Projektbeschreibungen. Außerdem liefern Offshore-Windparks günstige Energie.

Für die chronisch klamme Stadt klingt das natürlich reizvoll: Man spekuliert auf Gewerbesteuereinnahmen, bis zu 700 neue Arbeitsplätze und einen nicht unerheblichen Prestigegewinn. Allerdings ist es auch eine Wette auf die Zukunft, denn niemand weiß, ob dieses bisher unerprobte Geschäftsmodell aufgeht. Der Ansatz ist umstritten, da bei den Umwandlungsprozessen viel Energie verloren geht. Außerdem befürchten einige, dass die Nutzung von E-Methan die Umrüstung auf Wasserstoffnetze verzögert oder gar verhindert. Möglicherweise, unken manche, funktioniert dieses Geschäftsmodell auch nur, solange damit gleich mehrere Subventionsprogramme angezapft werden können.

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