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Filmfestspiele CannesDie Geschichte der besten Freundin

Mehrere Schauspielstars stellen bei den Filmfestspielen ihr Regiedebüt vor. Scarlett Johansson erzählt ungewöhnlich von Holocaust-Erinnerung.

Eleanor (June Squibb) in Scarlett Johanssons „Eleanor the Great“ Foto: Festival de Cannes

Wenn jemand zum ersten Mal einen Film macht, erwartet man in der Regel nicht auf Anhieb einen großen Wurf. Im Zweifel bleibt der Film sogar unbemerkt, da es nicht einmal sicher ist, ob er den Weg in die Kinos oder auf Streamingportale finden wird. Wenn Schauspielstars hingegen sich entscheiden, selbst Regie zu führen, sind die Voraussetzungen etwas anders. Die Aufmerksamkeit ist praktisch garantiert. Auch wenn dazu reflexartig die Frage aufkommen mag: Kann der das? Kann die das?

In Cannes sind die Namen der Regiedebütanten dieses Jahr besonders klingend: Die US-amerikanischen Stars Kristen Stewart und Scarlett Johansson treten in der Nebenreihe „Un Certain Regard“ mit eigenen Werken an, ebenso wie ihr britischer Kollege Harris Dickinson. Den größten Rummel gab es um Kristen Stewarts Romanverfilmung „The Chronology of Water“, doch auch an Johansson und Dickinson gab es einige Erwartungen.

Scarlett Johansson hat sich mit „Eleanor the Great“ den wohl kontroversesten Stoff vorgenommen. Sie erzählt über die Erinnerung an den Holocaust, und dann doch wieder nicht. Oder vielmehr bietet die Erinnerung an den Holocaust ihr den Anlass für eine sehr persönliche Geschichte über Verlust und Andenken.

Die titelgebende Hauptfigur Eleanor Morgenstein, einnehmend resolut von June Squibb gespielt, lebt seit Jahren mit ihrer besten Freundin Bessie zusammen in Florida, nachdem ihre beiden Ehemänner gestorben sind. Bessie hat Auschwitz überlebt und Eleanor immer wieder davon berichtet.

Cannes

Unser Filmredakteur Tim Caspar Boehme berichtet täglich von den Internationalen Filmfestspielen in Cannes

Nach Bessies Tod zieht Eleanor nach New York und beginnt dort die jüdische Gemeinde zu besuchen. Durch Zufall gerät sie in einen Gesprächskreis von Holocaustüberlebenden und bleibt. Sie schildert fortan den anderen in der Gruppe die Erfahrungen von Bessie, allerdings so, als wären es die eigenen. Die Journalistikstudentin Nina, die von Eleanor angetan ist, beginnt sie privat zu treffen und plant ein Porträt über sie. Eleanor wird dieses Interesse irgendwann unheimlich, sie traut sich aber nicht, aus ihrer Rolle zu fallen.

Emotionaler Ansatz

Johansson wählt einen emotionalen Ansatz für ihren Stoff, bei dem sie sich auf die Freundschaft zwischen Eleanor und Nina konzentriert. Letztere wird sehr zugewandt und etwas naiv von Erin Kellyman gegeben. Auch Nina hat mit einem Verlust zu kämpfen, da vor kurzem ihre Mutter gestorben ist. So geht es Johansson eigentlich weniger um den Holocaust als um persönliche Trauer.

Ausgerechnet die Szenen, in denen Bessie (Rita Zohar) von ihrer Vergangenheit im Lager spricht, zählen in ihrer pflichtbewusst wirkenden Direktheit zu den schwächsten Momenten des Films. Als Plädoyer für eine Erinnerung anderer Art vermag der Film dennoch zu berühren, wackeliges Drehbuch hin oder her.

Wenn Schauspielstars selbst Regie führen, ist Aufmerksamkeit garantiert

Eine schlichtere Handlung hat sich Harris Dickinson für seinen Debütfilm „Urchin“ vorgenommen. Mike, ein Junkie, der nach einem Überfall im Gefängnis gelandet ist, kommt auf Bewährung frei und bemüht sich darum, eine echte Chance zu erhalten. Frank Dillane gibt diesen Mike, der verzweifelt nach innerer Stabilität sucht, mit gallertartiger Beweglichkeit und einem körperlichen Höchsteinsatz, der den Film gut zusammenhält.

Ausgebuchte Kinovorstellungen

Und Kristen Stewart? Nun, da man in Cannes, wie auch bei anderen Filmfestivals, die Filme seit einiger Zeit vorab online buchen muss, kann es beim frühmorgendlichen Ritual am Computer trotz schneller Reflexe passieren, dass von den Filmen, die man für einen Tag ergattern wollte, der eine oder andere nach wenigen Sekunden ausgebucht ist.

So geschehen bei Kristen Stewart, um deren Film es einen veritablen Hype gab. Bis zur Premiere blieb er denn auch ausgebucht. Die gute Nachricht: Wegen des ganzen Rummels – und wegen Kristen Stewart – ist es sehr wahrscheinlich, dass er in Deutschland ins Kino kommt.

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