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Schwarz-rote Milliarden für UnternehmenIndustriestrompreis steht auf der Kippe

Das Wirtschaftsministerium fürchtet Widerstand aus der EU gegen den Industriestrompreis. Die Idee verstößt vielleicht gegen Wettbewerbsregeln.

Duisburg, Nordrhein-Westfalen: Industriekulisse mit ThyssenKrupp Steel und dem STEAG-Heizkraftwerk Walsum Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Berlin taz | Er ist eines der Versprechen im Koalitionsvertrag von Union und SPD an die Wirtschaft – der Industriestrompreis. Unter anderem damit will die Regierung Unternehmen aus der wirtschaftlichen Stagnation heraushelfen. Doch nun sieht das Bundeswirtschaftsministerium offenbar größere Schwierigkeiten, die Maßnahme umzusetzen.

Grundsätzlich bedeutet das Konzept, dass manche Firmen eine staatliche Subvention erhalten sollen. Aus dem Bundeshaushalt würde ihnen ein großer Teil der Kosten abgenommen, die sie momentan für Elektrizität bezahlen. Begründung: Strom ist in Deutschland besonders teuer, was hiesige Unternehmen in der internationalen Konkurrenz benachteiligt.

Besonders Firmen, die energieintensiv produzieren, beschweren sich seit Langem über die hohen Strompreise in Deutschland. Dazu zählen vor allem die Chemie- und die Stahlbranche. Dementsprechend alt ist auch die Forderung nach einem Industriestrompreis. Auch Robert Habeck (Grüne) hatte zu seiner Zeit als Wirtschaftsminister eine solche Förderung durchsetzen wollen, scheiterte aber am Widerstand von SPD und FDP.

Das Handelsblatt zitierte jetzt aus einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums, zu dem sich die Pressestelle der neuen Ministerin Katherina Reiche (CDU) auf Anfrage jedoch nicht konkret äußern wollte. „Die Umsetzung des Konzeptes birgt EU-beihilferechtlich erhebliche Herausforderungen“, heiße es in dem Dokument, damit seien „die Aussichten auf eine Genehmigung höchst unsicher“.

Industriestrompreis würde zwei Milliarden jährlich kosten

Darunter ist zu verstehen, dass die EU-Kommission Subventionen eines Mitgliedstaates prüft, damit diese die Unternehmen in anderen europäischen Länder nicht schädigen. Im vorliegenden Fall stünden die Aussichten besonders schlecht, weil Verhandlungen über neue Beihilferegeln fast abgeschlossen seien und die Deutschen mit ihrem Industriestrompreis sehr spät kämen.

Man müsse damit rechnen, „dass der Industriestrompreis Sorgen bei vielen EU-Mitgliedssaaten auslöst“, zum Beispiel bei den Benelux-Staaten, Österreich, Dänemark, Spanien und Italien.

Dem Bericht zufolge denkt das Wirtschaftsministerium daran, ungefähr 2.000 hiesige Betriebe zusätzlich zu entlasten, die viel Elektrizität brauchen. Während sie zurzeit durchschnittlich 16 Cent netto pro Kilowattstunde zahlten, solle der Preis auf etwa fünf Cent sinken. Das werde den Bundeshaushalt ungefähr zwei Milliarden Euro jährlich kosten.

Energieökonomin kritisiert Idee

„Eine Subventionierung des Industriestrompreises ist wettbewerbsrechtlich hochproblematisch und kann in der Tat andere EU-Firmen benachteiligen“, sagte dazu Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. „Die pauschale Senkung der Strompreise bevorteilt auch Unternehmen, die es nicht nötig haben.“

Im Übrigen sei eine solche Förderung „unfair gegenüber nicht privilegierten Privathaushalten“, erklärte Kemfert. Als wirkungsvollste Politik plädierte sie für den schnelleren Ausbau von Wind- und Solarenergie, „denn erneuerbare Energien senken den Börsen-Strompreis“.

Dass der Industriestrompreis bei der EU-Kommission schwer zu verteidigen sein wird, vermuten auch die Beamten im Wirtschaftsministerium, berichtet das Handelsblatt und zitiert aus dem Bericht: „Schwierig dürfte eine überzeugende Rechtfertigung des Marktversagens sein“.

Die allgemeine Gefahr der Abwanderung der Industrie oder das Schaffen von Planungssicherheit für die Unternehmen seien den Beamten zufolge von der Kommission bislang nicht akzeptiert worden.

Sowieso kommen viele Industriefirmen schon in den Genuss umfangreicher Entlastungen bei den Elektrizitätskosten. Für sie betragen Steuern und Abgaben laut Bundesverband der Energiewirtschaft beispielsweise nur gut zwei Cent pro Kilowattstunde, während es bei Privathaushalten fast 13 Cent sind. Besonders stromintensive Firmen bezahlen fast nichts für Kohlendioxid-Zertifikate.

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1 Kommentar

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  • Man könnte sich ja einmal fragen, ob Merz und Co Atomkraft und Gasturbinen deshalb favorisier(t)en, weil es sich dabei um die Anlagen mit den höchsten Stromgestehungskosten handelt? Wobei letztere eben auch bei den Grenzkosten ziemlich mies dastehen (s. dazu "Merit Order" de.wikipedia.org/wiki/Merit-Order ).