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Weitere Verhaftungen in der TürkeiFestnahmen zur Rettung eines Erdoğan-Prestigeprojekts?

50 Mitarbeiter der Stadtverwaltung Istanbuls werden festgenommen. Darunter sind die wichtigsten Gegner des geplanten „türkischen Panamakanals“.

Ungeachtet der Repression setzt die Opposition ihre Kampagne zur Freilassung Ekrem İmamoğlus fort Foto: Umit Bektas/reuters

Istanbul taz | Gut einen Monat nach der Festnahme von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu hat die türkische Regierung jetzt erneut Menschen aus dem Umfeld des populären Oppositionsführers verhaften lassen. 50 Mitarbeiter der Istanbuler Stadtverwaltung wurden am Samstag festgenommen, nach drei weiteren wird gefahndet. Die in der regierungsnahen Presse so genannte Operation II zielt vor allem auf führende Leute aus der Stadtplanung und der Istanbuler Wasserwirtschaft. Daneben wurden aber auch seine Chefsekretärin, sein Leibwächter und sein Fahrer verhaftet.

Offizieller Grund für die Festnahmen ist wie schon bei İmamoğlu selbst der Vorwurf schwerer Korruption. Die Vorwürfe werden nicht weiter ausgeführt und scheinen deshalb genauso vorgeschoben wie beim gesamten Vorgehen gegen İmamoğlu.

Allerdings zeichnet sich bei den jüngsten Festnahmen am Samstag ein Muster ab, das den Verdacht nahelegt, es gehe nicht nur um die Unterdrückung der Opposition allgemein, sondern vor allem um die Ausschaltung wichtiger Gegner eines der größten Prestigeprojekte von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Schon vor Jahren hatte Erdoğan angekündigt, er werde einen „zweiten Bosporus“, einen „türkischen Panamakanal“ zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer bauen lassen, mit dem die Kapazität des Schiffsverkehrs zwischen dem Schwarzen Meer und den Weltmeeren verdoppelt werden könnte.

Die Mehrheit der Istanbuler ist gegen den Kanalbau

Gegner des Projekts warnen jedoch davor, dass das sowieso schon stark verunreinigte Marmarameer durch einen solchen Kanal vollends kollabieren und zu einer Kloake würde. Außerdem würde der Kanal den europäischen Teil Istanbuls von seinem Trinkwasser-Nachschub abschneiden.

Die Mehrheit der Istanbuler ist deshalb strikt gegen den Kanalbau, und İmamoğlu hat alles dafür getan, ihn zu verhindern. Die Erdoğan-Regierung hat jedoch Insidern und reichen Arabern frühzeitig ermöglicht, Land zu kaufen, das mit dem Kanal erheblich an Wert steigen sollte. Da seit mehr als zehn Jahren nichts passiert ist, werden die Investoren langsam ungeduldig und so hat die Regierung nun begonnen, im Wasserschutzgebiet Anlagen mit Luxuswohnungen bauen zu lassen. Etliche der jetzt Festgenommenen waren daran beteiligt zu versuchen, diese illegalen Bauten zu stoppen.

Ungeachtet der Repression der Regierung setzt die Opposition ihre Kampagne zur Freilassung İmamoğlus fort. An diesem Wochenende demonstrierten Zehntausende in der Hafenstadt Mersin für İmamoğlus Freilassung, am kommenden Wochenende ist die AKP-Hochburg Konya dran.

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1 Kommentar

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  • Wenn ich die Ereignisse aus einer neutralen Perspektive betrachte, muss ich sagen, dass die Situation tatsächlich einen unangenehmen Beigeschmack hat. Offenbar hat İmamoğlu nicht ganz sauber gearbeitet. Ich halte es für wahrscheinlich, dass er verurteilt wird. Falls er tatsächlich in Korruption verwickelt ist, wäre das auch gerechtfertigt.

    Was mich jedoch stört, ist, dass er bereits in Haft sitzt. Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass zuerst ein ordentlicher Prozess stattfinden muss. Nur wenn seine Schuld bewiesen wird, darf eine Inhaftierung erfolgen – nicht vorher.