Filmfestspiele Cannes: Deutsche Regisseurin bezaubert Cannes’ Wettbewerb
Mascha Schilinski ist als einzige deutsche Regisseurin mit „In die Sonne schauen“ im Hauptwettbewerb der Filmfestspiele in Cannes nominiert.
Eigentlich ist das mehr als ein cineastischer Hattrick: Dass die Regisseurin Mascha Schilinski ihren erst zweiten Spielfilm als deutsche Frau im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes präsentiert, war vor ein paar Wochen eine Knallermeldung, welche die 41-Jährige in die internationalen Kinoschlagzeilen katapultierte. Dabei ließ sich der hypnotische Zauber, der ihrer furios verschachtelten Traumaverarbeitungsgeschichte „In die Sonne schauen“ innewohnt, auch schon vorher registrieren. Schilinski, die als Tochter einer Filmemacherin und eines Bauarbeiters und Cineasten in Berlin aufwuchs und bereits als Kind kleinere Fernsehrollen übernahm, scheint keine Berührungsängste mit dem Thema Magie zu haben.
Nach dem Abitur reiste sie mit einem Wanderzirkus durch die Gegend, und praktizierte dort Zaubertricks (und „Feuertänze“) auf der Bühne. Auch im Quasidebüt „Die Tochter“, das Schilinski im dritten Jahr an der Filmhochschule Baden-Württemberg drehte, spielte Magie eine Rolle. Der Film feierte 2017 in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ der Berlinale-Premiere und gewann im selben Jahr den Hauptpreis der Filmkunstmesse Mecklenburg-Vorpommern. Die damals knapp neunjährige Hauptdarstellerin Helena Zengel (später bekannt aus „Systemsprenger“) praktizierte darin verschiedene „Schutzzauber“. Ein ähnliches Ritual kam später auch bei den Kinderdarsteller:innen von „In die Sonne schauen“ zum Einsatz. Um ihnen den Einstieg in die Rollen – und vor allem das sichere Hinausgleiten nach dem Dreh – zu erleichtern, entwickelte das Team ein imaginäres „Duschritual“.
Schilinski vereint wichtige Kinoqualitäten
Diese „magische Dusche“ sollte helfen, die intensive emotionale Arbeit der Kinder besser abzufedern, wie Schilinski in einem Interview erklärte. Sogar ihr 2015 entstandener mittellanger Studierendenfilm „Die Katze“ beschäftigte sich im weitesten Sinne mit ihren Lieblingszutaten: einer komplexen Familienbeziehung – und, gleichwohl als Zauberzutat, ebenjener Katze. Zum Faible für das Magische, das einen großen Teil des Kintopps ausmacht, gesellt sich bei Schilinski die handfeste Bildexpertise – die Regisseurin übte sich bereits vor ihrem abgeschlossenen Regiestudium in diversen Filmpraktika. Sie vereint somit wichtige Kinoqualitäten: das Interesse, Dinge mit kindlichen, und damit unvoreingenommenen Augen zu sehen und zu erzählen; die Erfahrung, Traumata und Genderaspekte zu erkennen und zu nutzen. Die Kreativität, all das in einer träumerischen und eigenen Filmsprache umzusetzen – und natürlich die Resilienz und Furchtlosigkeit, in der Ellenbogenbranche dranzubleiben.
Das Drehbuch zu „In die Sonne schauen“ wurde bereits 2023 mit dem Thomas-Strittmatter-Drehbuchpreis ausgezeichnet – die gesamte Produktion habe dann fünf Jahre gedauert. Größtenteils spielen die kunstvoll über Raum und Bande ineinandergreifenden, in jeweils authentischem Dialekt inszenierten Geschichten auf einem leerstehenden Hof in der Altmark. Schilinski und ihre Co-Autorin hatten ihn entdeckt.
„In jeder Etage konnte man ein anderes Jahrzehnt vorfinden“, erzählte sie, man habe sogar ein uraltes Schwarz-Weiß-Foto gefunden, auf dem drei Frauen in die Kamera starren. So sei die Idee zustande gekommen, auf verschiedenen Zeitebenen zu erzählen: „Ich habe mich immer schon für das Konzept der Synchronizität interessiert“, sagte Schilinski Screen Daily.
Schilinski ist zum ersten Mal in Cannes – und dürfte sich dort täglich die Augen reiben. Anfang des Jahres wurde sie Mutter. Mit einem kleinen Baby gibt es viel zu organisieren. Aber Zaubern gehört für Mütter ja ohnehin zum Alltag.
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