piwik no script img

Dann eben Panzer

Der Waggonbau hat in Görlitz Tradition seit 1849, doch jetzt übernimmt ein Rüstungskonzern die Fabrik in Sachsen. Krieg möchte hier zwar niemand, aber der Protest gegen das Panzerwerk bleibt trotzdem überschaubar

Industrie mit Tradition: Die Montage von Waggons in Görlitz 1976 Foto: Ulrich Hässler/akg-images

Aus Görlitz David Muschenich

Eine rote Lok tuckert laut am Zaun vorbei, um Waggons zu verfrachten. Von weit hinten schallt metallisches Hämmern über das Gelände, hier und da stehen Doppelstockwagen im Rot und Weiß der Deutschen Bahn herum. Seit mehr als 175 Jahren bauen sie dort in Görlitz Schienenfahrzeuge. Doch das soll nun zu Ende gehen. Der bisherige Hersteller Alstom verkauft die Fabrik an den Rüstungskonzern KNDS.

Seit die Übernahme bekannt ist, fragen sich einige in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, ob schon im nächsten Jahr Panzer statt Waggons über den Hof rollen. Das Ende der alten Waggonbau-Tradition, die Schienenfahrzeuge abgelöst durch Panzer. Was macht das mit einer Stadtgesellschaft? Anfangs gab es gegen die Übernahme einzelne Demos, zuletzt kleine Aktionen vor dem Werk und in der Stadt. Aber der Protest blieb überschaubar.

Vom Stadtzentrum aus ist das Werkstor zu Fuß keine halbe Stunde entfernt. Aktuell arbeiten dort etwa 700 Menschen, schweißen Straßenbahnen und Waggons zusammen – für die strukturschwache Region ganz im Osten Sachsens ist Alstom ein wichtiger Arbeitgeber. Der französische Konzern gehört weltweit zu den größten in der Bahntechnik. Doch es hatte sich in den vergangenen Jahren angedeutet, dass er den Standort in Görlitz loswerden wollte. Als schließlich im Februar die Verträge zur Übernahme durch KNDS feierlich unterzeichnet wurden, kamen auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

Mit dabei war auch ein Panzer. KNDS hatte ihn für die Pressefotos ins Werk gerollt. In Görlitz sollen die Ar­bei­te­r:in­nen laut KNDS Baugruppen produzieren, die zu den Kettenpanzern „Leopard 2“ und „Puma“ sowie zu Varianten des Radpanzers „Boxer“ gehören. Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze soll erhalten bleiben. Andernfalls wären sie wohl weggefallen.

Währenddessen hatten sich vor der Pforte rund hundert De­mons­tran­t:in­nen in getrennten Grüppchen gegen Krieg und Rüstungsindustrie versammelt. Neben Linken und dem BSW waren auch An­hän­ge­r:in­nen der rechtsextremen Parteien AfD und Freie Sachsen dabei. Bei der Bundestagswahl inszenierte sich die AfD als Partei für Frieden. In Görlitz bekam sie fast die Hälfte der Zweitstimmen: 46,7 Prozent. Aber dort steht sie nicht geschlossen gegen den Panzerbau. Aus der AfD-Stadtratsfraktion heißt es: lieber Rüstungsindustrie in Görlitz als anderswo, das erhalte wenigstens Arbeitsplätze.

Die Stimmung in der Stadt

Doch wie findet der Rest der rund 57.000 Ein­woh­ne­r:in­nen von Görlitz die Übernahme? Nachgefragt bei Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU). Das Büro des 57-Jährigen im Rathaus liegt keine 20 Minuten Fußweg entfernt, entlang der nach dem Gründer des örtlichen Waggonbaus benannte Christoph-Lüders-Straße und vorbei an der historischen Innenstadt, mit ihren bunten Häusern. Bis zur polnischen Grenze an der Neiße sind es keine 300 Meter.

Ursu sitzt an einem dunklen runden Tisch, in der Vitrine ihm gegenüber stehen zwei kleine Eisenbahnmodelle: eine Straßenbahn und ein weißer Doppelstockwagen. Für Letztere ist das Werk in Görlitz bekannt. Das Ende der Tradition seit 1849 sei ein „emotionales Thema“, erzählt Ursu. „Der Waggonbau gehört einfach zu uns.“ Jede Familie habe ein Mitglied, das daran beteiligt ist oder war. Früher arbeiteten mal mehrere Tausend Menschen im Werk. Entsprechend hoch sei das Interesse gewesen, als die ersten Gerüchte aufkamen, Alstom verhandle mit einem Rüstungsunternehmen, erzählt Ursu. Mehrfach wurde er im Stadtrat gefragt, wie weit die Verhandlungen seien. Doch mittlerweile gebe es wenig Diskussionen darüber.

Dass es um Panzerbau gehe, sei nur ein Aspekt, erklärt der Oberbürgermeister. „In den letzten zehn Jahren gab es ganz oft Probleme.“ Bis 2021 betrieb noch das kanadische Unternehmen Bombardier die Fabrik. Doch sowohl bei ihm als auch später bei Alstom blieben Versprechen unerfüllt. Es gab Höhen mit Neueinstellungen und – und am Ende Tiefen mit Entlassungen. „Das hat zu Unsicherheit geführt.“ Mit KNDS werde das anders laufen, ist Ursu sicher. Und die tarifgebundenen Industriearbeitsplätze seien wichtig für die Stadt.

Er selbst sehe in der Rüstungsindustrie eine „Notwendigkeit, leider“. Die Bundeswehr habe massiven Nachholbedarf. Von den angekündigten Investitionen der neuen Bundesregierung könne Görlitz profitieren. Auf dem Werksgelände, das KNDS nun übernehme, sei genügend Platz, um die bislang geplante Produktion zu erweitern, glaubt Ursu.

Zeitenwende am Arbeitsplatz

Im Parteibüro der Grünen in Görlitz sitzen heute Stadtverbandschefin Anja-Christina Carstensen und Monique Hänel, die bei der Bundestagswahl als Direktkandidatin in Görlitz antrat und 3 Prozent der Stimmen bekam. Hänel wurde 1985 in Berlin geboren, zog erst vor neun Jahren nach Görlitz. Trotzdem war auch ein Familienmitglied von ihr im Werk: „Mein Mann hat bei Bombardier gearbeitet, schon in Berlin“, erzählt sie. Als 2016 in Görlitz noch mal groß Personal eingestellt wurde, seien sie zusammen nach Sachsen gezogen. Lange währte seine Anstellung nicht, in Görlitz blieben sie trotzdem.

Seitdem die KNDS-Übernahme bekannt sei, werde Hänel gefragt, wie jetzt die Stimmung in Görlitz zu den Panzern sei. „Aber in meinem alltäglichen Leben begegnet mir dieses Thema gar nicht“, sagt sie energisch. Spreche sie dann mit Freunden, die bei Alstom arbeiten, komme von denen: „Ich weiß noch nicht, wie es für mich weitergeht.“ Die interessiere, ob sie bleiben oder gehen. Aber Straßenbahnen oder Panzer, „für sie ist das kein großes Thema“.

Aber die beiden Grünen haben viel zu erzählen: Über die Abwanderung der Industrie aus Görlitz nach Tschechien oder Polen, dass es in Görlitz zwar viele neue Arbeitsbereiche gebe, dass ein Wechsel dorthin für Ar­bei­te­r:in­nen aus dem Werk kein Selbstläufer sei.

Nach fast einer Stunde Gespräch im Grünen-Parteibüro schneidet Stadtverbandsprecherin Carstensen die schwierige Frage des Pazifismus an. Was bedeute der, in Zeiten, in denen der russische Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine Krieg führt? Wie solle sich die deutsche Gesellschaft verhalten, wenn es deutliche Hinweise gibt, dass der russische Geheimdienst in der Bundesrepublik mit Propaganda und Sabotage Stimmung schürt? Für Carstensen lautet die Antwort: „Ein Frieden, der in Unfreiheit ist, ist kein Frieden.“

Der Oberbürger­meister der Stadt sieht in der Rüstungs­industrie eine „Notwendigkeit, leider“

Beide Grünen haben mitbekommen, dass sich derzeit eine Protestgruppe gegen den Panzerteilebau in Görlitz bilde. Jörg Bergstedt, ein Aktivist aus Hessen, versucht in der Stadt gegen die Übernahme zu mobilisieren. Mit einer Handvoll Un­ter­stüt­ze­r:in­nen versuchte er etwa Ende April vor der Fabrik ins Gespräch mit den Ar­bei­te­r:in­nen zu kommen. Der MDR, das nd und die Sächsische Zeitung berichteten darüber, doch viele Gespräche mit den Werksangehörigen kamen nicht zustande. Für Hänel stehe fest, „dass ich mich an keiner Aktion gegen dieses Werk beteiligen werde“.

Gleich um die Ecke sitzt Jana Lübeck im Parteibüro der Linken. Sie ist Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat und ihr Großonkel arbeitete im Werk. Wenn es nun um die KNDS-Übernahme geht, betont die Linke, es sei nicht leicht und man solle es sich auch nicht leicht machen. Lübeck findet wichtig, zu benennen, was mit den Produkten aus der Rüstungsindustrie passiert. Gerade in Deutschland wisse man doch, was Krieg bedeute: Vor 80 Jahren endete der Zweiten Weltkrieg, im Krieg in der Ukraine töten aktuell täglich Menschen andere Menschen.

Aber als Linke unterstütze sie die Ar­bei­te­r:in­nen des Werks. Jahrelang habe ihre Partei dafür gekämpft, dass Beschäftigte versorgt waren, wenn die Treuhand ihre Betriebe nach der Wende abwickelte. „Aber es ist eben nicht unerheblich, was dort produziert wird“, findet sie.

Die Gruppe um den Aktivisten Bergstedt traf sich schon mehrfach im Büro der Linken, auch Mitglieder der Partei beteiligen sich an Info-Aktionen. Weitere sollen folgen, vielleicht wächst ja der Protest. Nach aktuellem Stand soll die Werksübernahme 2027 abgeschlossen sein. Dass dann Panzer statt Waggons auf dem Gelände stehen, ist aber unwahrscheinlich. Es geht ja nur um einzelne Komponenten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen