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Umgang mit AfD im ÖRRQuoten über alles?

Ann-Kathrin Leclere
Kommentar von Ann-Kathrin Leclere

Niemand im öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss der AfD eine Bühne bieten. Wann werden sich die Kol­le­g:in­nen endlich ihrer Verantwortung bewusst?

Hätte er hier unbedingt sitzen müssen? Studio für das ARD-Sommerinterview 2024 mit Tino Chrupalla (AfD) Foto: M. Popow/imago

S eit dem 2. Mai stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Der Spiegel konnte die 1.108 Seiten Bericht auswerten. Der Verfassungsschutz sieht vor allem den „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“, der in der AfD vorherrsche, als pro­ble­matisch an. Er sei nicht mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, also der Menschenwürde, vereinbar. In einem laufenden Rechtsstreit hat das BfV allerdings inzwischen eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. Das bedeutet: Bis zu einer Gerichtsentscheidung im Eilverfahren wird die AfD öffentlich nicht mehr als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet. Und doch ist die alte Debatte aktuell: Wie sollen Medien es mit der AfD halten?

In den politischen Leitformaten wie „Caren Miosga“, „Markus Lanz“ oder „Hart aber fair“ der öffentlich-rechtlichen Sender (ÖRR) sind AfD-Vertreter:innen regelmäßig präsent. AfD-Chefin Alice Weidel wurde von Caren Mios­ga im Februar gefragt, welches Deutschland sie will, und bekam dabei Raum, zum Auschwitzgedenken die Augen zu verdrehen. Noch am Tag der Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz war der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, zu Gast im „Brennpunkt“, um zu erläutern, wie es zu der Einschätzung gekommen sei. Spoiler: Er ist kein Fan.

Die AfD ist so stark wie nie und verbreitet ihre Positionen auf allen Plattformen. Umso wichtiger wäre es, ihr nicht auch noch zusätzliche Bühnen zu bieten. Denn die mediale Strategie der Partei ist immer: Überwältigung und Ablenkung. Eindrücklich zu sehen bei Markus Lanz am 5. Februar 2025: Auf die Frage, ob er sich von Höckes rechtsextremen Aussagen distanzieren wolle, wich Chrupalla aus – und verwies darauf, dass Lanz sich ja auch nicht von Jan Böhmermann distanziert habe.

Der eigentliche Punkt geht verloren, auch durch Chrupallas ständiges Unterbrechen. Allein das ist fatal. Gleichzeitig bringt die AfD in vielen Formaten ihre Narrative unter: Migration als Feindbild, Verachtung von eta­blier­ten Medien, Kritik an staatlichen Institutionen als einer vermeintlichen politischen Elite.

Weidel nutzte im Wahlkampf den rassistischen Kampfbegriff „Remigration“, der danach Talkshows und Zeitungsseiten prägte. Wo andere differenzieren, schürt die Partei Ressentiments. Wer einlädt, muss wissen, wie man einer solchen Diskursverschiebung begegnet. Zu oft geht das schief, es mangelt an direkten Faktenchecks, guter Moderation und Einordnung.

Ein Ausschluss aus Talkshows wäre da ein guter Start. Denn die politischen Meinungsformate der ARD und ZDF erreichen bei zwar rückgängigen Einschaltquoten täglich immer noch ein Millionenpublikum und werden auch im Nachgang im medialen Diskurs breit diskutiert; und es geht um Formate, die sich besonders zur Selbstinszenierung eignen. Doch wie sollte ein Ausschluss aussehen? Einige argumentieren, man könne die AfD nicht ausladen, da der Medienstaatsvertrag, der Rechte und Pflichten der Rundfunk-, Digitale-Dienste- und Telemedienanbieter in Deutschland regelt, eine ausgewogene und „angemessene“ Darstellung aller Parteien vorschreibe.

Was allerdings „angemessen“ bedeutet, ist Auslegungssache. Eine prominente Stimme gegen die Einladung der AfD ist WDR-Moderator und Rechtswissenschaftler Georg Restle. Gemeinsam mit Andreas Fischer-Lescano zeigte er schon 2021 im Verfassungsblog: Ein rechtlicher Anspruch der AfD auf Sendezeit existiert nicht. Zwar müsse über alle Parteien gemäß ihrer Größe berichtet werden, allerdings obliegt es den Redaktionen zu entscheiden, wie sie das tun.

Grundlage für Kurswechsel

Oft heißt es auch, die AfD sei bei der letzten Bundestagswahl von gut zehn Millionen Menschen gewählt worden, man könne sie also nicht ignorieren. Doch laut Medienstaatsvertrag soll der ÖRR „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ erfüllen. Einer Partei, die die Demokratie gefährdet, eine Bühne zu geben, ist damit schwer vereinbar. Auch Restle sieht sich durch die Einschätzung des Verfassungsschutzes bestätigt und schreibt: „Eine „Gleichbehandlung“ von Rechtsextremisten verstößt gegen den Programmauftrag.“ Auch wenn Medien Behördenurteilen und -veröffentlichungen nicht blind folgen sollten, bietet die Verfassungsschutzeinstufung eine tragfähige Grundlage für einen Kurswechsel.

Redaktionen können also entscheiden, die AfD nicht mehr einzuladen. Diese Entscheidung sollten ARD und ZDF unabhängig treffen – nicht unter politischem Druck, sondern aus ihrer demokratischen Verantwortung heraus. Ausschlaggebend können journalistische Kriterien sein: Relevanz, Sachbezug, Gesprächsfähigkeit.

Die AfD sollte nicht aus der Berichterstattung verschwinden. In Nachrichten, Dossiers oder Reportagen kann sie analysiert und bei Bedarf auch befragt werden. Dort bestimmen Redaktionen die Regeln – Kontrollverlust ist weniger wahrscheinlich. Gleichzeitig böte eine eigene Themensetzung die Chance, wieder stärker gegen die AfD auf Social Media zu bestehen und sie dort herauszufordern, wo sie schwach ist. Wie wäre es zum Beispiel, wieder mehr über hohe Mieten, fehlende Kitaplätze und den Pflegenotstand zu sprechen?

Bislang äußern sich die Sender nur vage zu möglichen Konsequenzen aus der Einstufung. Laut einer Correctiv-Anfrage prüft das ZDF, „in welchem Rahmen Ver­tre­te­r:in­nen der AfD zu Wort kommen“. Die ARD teilte der taz mit, in ihrer „politischen Berichterstattung an geeigneter Stelle darauf hinweisen, dass es sich bei der AfD um eine Partei handelt, die als gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist“. Zugleich betont sie ihre Pflicht zur Abbildung einer demokratisch gewählten Partei – wobei die Partei abbilden ja gerade eben nicht bedeuten müsste, sie in Talkshows einzuladen. Ob sich der Umgang nach der Einschätzung des BfV tatsächlich ändert, werde noch geprüft, so die ARD weiter.

Das klingt nach Stillstand und nach Mutlosigkeit, nach Angst, bei einer solchen Entscheidung Kritik ausgesetzt zu sein: von der AfD, die wie immer eine Opferrolle einnehmen wird, aber auch von anderen Stellen, die dem ÖRR eine Parteinahme vorwerfen werden. Wer mit Blick auf Quote oder Staatsauftrag behauptet, nichts ändern zu können, verkennt: Die AfD profitiert längst vom Status quo. Jeder Auftritt verstärkt das Bild, sie sei eine Partei wie jede andere. Und wer den demokratischen Diskurs schützen und sich eben keiner Parteinahme schuldig machen will, muss das ernst nehmen.

Talkshows sind keine Pflichtveranstaltungen. Sie sind Teil politischer Öffentlichkeit – gestaltet von Redaktionen, von ­konkreten Personen, die Verantwortung tragen. Deshalb: Es reicht beim nächsten Mal vielleicht, die Statements der Weidels und Chrupallas vor der Sendung aufzuzeichnen und jeder Frage voranzustellen: Was sagen Sie als Mitglied einer „gesichert rechtsextremistischen“ Partei zu …?

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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