: Die kämpfenden Frauen von Łódź
Im Polen werden Arbeiterinnentraditionen hochgehalten
Aus WarschauGabriele Lesser
Majówka heißen in Polen die drei Mai-Feiertage, auf die sich alle freuen: 1. Mai – Tag der Arbeit, 2. Mai – Tag der Flagge und 3. Mai – Tag der Verfassung von 1791. Mit etwas Geschick und ausgleichbaren Überstunden kann man also eine ganze Woche zusätzlichen Urlaub abgreifen.
Dabei steht der Tag der Arbeit, der zu realsozialistischer Zeit ein staatlicher Feiertag mit Pflichtteilnahme an Propagandaveranstaltungen der Partei war, bei den Polen eigentlich gar nicht hoch im Kurs. Aber als erster Tag der Majówka ist er für viele der Auftakt für ein erstes Grillfest im Grünen und einen Kurztrip an die Ostsee, in die Tatra oder ins Ausland.
Einige Tausend ArbeitnehmerInnen werden aber auch ganz traditionell am 1.-Mai-Marsch in Łódź, der drittgrößten Stadt Polens, teilnehmen. Łódź stieg im 19. Jahrhundert zur Textilmetropole auf. In den riesigen Fabriken arbeiteten vor allem Frauen, denen die filigrane und kräftezehrende Arbeit an den Webstühlen leichter fiel als den meisten Männern. Diese verdingten sich zumeist auf dem Bau, in der Landwirtschaft und versorgten Haushalt und Kinder.
Da die Arbeitsbedingungen in den Fabriken schlecht waren – der ohrenbetäubende Lärm und die vom Wasserdampf ständig feuchte Luft machte den Arbeiterinnen zu schaffen –, begannen sich die Frauen früh in Gewerkschaften zu organisieren. Anders als in Schlesien, wo die Kohlekumpel auf die Barrikaden gingen oder später an der Ostsee, wo die Werftarbeiter für höheren Lohn streikten, gingen die Textilmagnaten in Łódź meist schnell auf die Forderungen der Weberinnen ein. Die Maschinen mussten Tag und Nacht laufen, sonst lohnte sich das Geschäft nicht.
Auch in 1970er- und 80er-Jahren, als die Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidarność im ganzen Land Triumphe feierte, waren es in Łódź die Frauen, die den Arbeitskampf anführten. Der Systemwechsel 1989 von einer sozialistischen Einparteienherrschaft hin zu einer pluralistischen Demokratie mit freier Marktwirtschaft und der gleichzeitige Aufstieg Chinas zum führenden Billiganbieter von Stoffen und Kleidung, löste in Łódź reihenweise Fabrikschließungen und Massenentlassungen aus. Die Textilmetropole Polens war pleite.
Am Tag der Arbeit wird Łódź 2025 wieder im Rampenlicht stehen. Ganz Polen kann dann sehen, dass die Stadt auf dem besten Weg ist, zur führenden Mode-, Film- und Kunstmetropole des Landes aufzusteigen. Durch das breit angelegte Sanierungsprogramm wird aus der einst dreckigen Industriestadt eine moderne Kulturmetropole, die stolz ist auf ihre vielen Jugendstilhäuser, ihre AvantgardekünstlerInnen und ModedesignerInnen. Und auf ihre selbstbewussten Arbeiterinnentraditionen.
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