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Linke Wochenzeitung verliert gegen AfDWer schützt hier eigentlich wen?

Ein fragwürdiges Urteil gegen die Zeitung „Kontext“ gefährdet investigativen Journalismus – und schüttelt an den Grundpfeilern der Pressefreiheit.

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt ist ein Skandal Illustration: Oliver Stenzel

D a sage noch eineR, Deutschlands Regionalzeitungen würden sich wegen der hier und da nicht mehr ganz so rosigen finanziellen Lage lieber in verhuschter Verzagtheit üben, als klare Kante zu zeigen. „In einem jahrelangen Rechtsstreit mit einem ehemaligen Mitarbeiter zweier AfD-Landtagsabgeordneter hat die Kontext-Wochenzeitung kürzlich vor Gericht eine Niederlage hinnehmen müssen.

Das Urteil ist nicht nur bemerkenswert, es ist ein Skandal. Es sägt an den Grundfesten journalistischen Arbeitens. Bleibt es bestehen, verlieren wir alle“, schrieb letzte Woche nicht etwa Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (was er ruhig mal machen könnte). Sondern Alexander Roth, Redakteur beim Zeitungsverlag Waiblingen im schönen Rems-Murr-Kreis in der Nähe von Stuttgart.

Dort wiederum erscheint Kontext (samstags als Beilage in der taz), das Wochenblatt mit Arsch in der Hose. Der ihnen selbst jetzt nicht auf Grundeis geht.

Worum geht es? In Rechtsstreit mit Kontext hat der ehemalige AfD-Abgeordneten-Mitarbeiter vor dem Oberlandesgericht Frankfurt gegen die Zeitung gewonnen. Sie hatte über Facebook-Chats mit rassistischen und menschenverachtenden Inhalten berichtet, die von dem AfD-Mitarbeiter stammen sollen, und dessen Klarnamen genannt.

Der ging dagegen juristisch über mehrere Instanzen vor, und das Gericht stellte in seinem am 27. März verkündeten Urteil nun fest, die Echtheit der Facebook-Posts sei nicht zweifelsfrei erwiesen, diese hätten manipuliert sein können. Da sie Kontext von eineR Ha­cke­r*in illegal per USB-Stick zugespielt worden seien, hätte die Redaktion sehr hohe Ansprüche an die Überprüfung der Zuverlässigkeit dieser Quelle stellen müssen. Ob sie das getan habe, sei nicht feststellbar, da die Redaktion ihre Quelle nicht nenne.

Streitwert 460.000 Euro

Ja Sapperlot! Quellenschutz nennt sich das und ist das „A“ und „O“ jedes verantwortlichen Journalismus'! „Warum muss denn der Kläger nicht beweisen, dass die Posts manipuliert waren“, fragt die Mitbewohnerin. Das Gericht dreht Kontext jetzt nicht nur einen Strick draus, sondern hat auch gleich den Streitwert des Ganzen nochmal auf 460.000 Euro hochgesetzt, was für die Kol­le­g*in­nen in Stuttgart heftig ist.

Schließlich berechnen sich daraus auch die von der Zeitung mehrheitlich zu übernehmenden Prozesskosten, dazu kommt noch Schadensersatz. Wobei der nicht ganz so hoch ausfiel wie vom Kläger erhofft: „Bei der Höhe der Geldentschädigung mindernd zu berücksichtigen“ sei, dass mit Blick auf die Facebook- Äußerungen „umgekehrt nicht feststeht, dass diese nicht von dem Kläger stammen“. Ach, also wie jetzt?

Das Urteil ist zum Haareraufen. Quellen nennen ist nicht, was nicht nur die nächsten Panama Papers, sondern investigative Recherchen insgesamt und nicht nur bei Datenklau ein bisschen erschweren dürfte. Und was ist eigentlich mit der Beweislastumkehr?

Revision ließen die Frankfurter Richter auch nicht zu, es fehle dem Ganzen die „grundsätzliche Bedeutung“. Das ist genauso absurd wie Tatsache, dass damit eine sieben Jahre alte Prophezeiung der SZ in Erfüllung gehen dürfte.

Damals schrieb das Blatt anlässlich des erstes Verhandlungstags Anfang August 2018, das Verfahren könnte sich hinziehen: „Beim Bundesgerichtshof wäre man mit dem Streit dann etwa im Jahr 2025 angekommen.“ Spätestens dann berichten bitte wieder alle!

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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