Kulturkneipe vor dem Aus: Es ist zum Kotzen
Weil die Immobilienbesitzer nicht mehr wollen, droht dem „Watt“ die Schließung. Mit ihr verschwände einer der letzten Orte Ostberliner Renitenz.
Aber noch haben die Stammgäste, die dort regelmäßig Lesungen, Diskussionen und Konzerte veranstalten sowie ihre Underground-Periodika vorstellen, nicht aufgegeben. Schon mehrfach positionierten sie sich in den vergangenen Wochen mit „Watt muss bleiben!“-Schildern vor dem Lokal, als die neuen Hausbesitzer das Lokal inspizieren wollten.
Zuvor war unter den Stammgästen diskutiert worden, ob man die Eigentümer nicht lauthals beschimpfen oder gar tätlich werden sollte. Schließlich sei die „Kulturspelunke eine der letzten übriggebliebenen Kneipen in Prenzlauer Berg, die diesen Namen verdient“, wie der korsische Schriftsteller Guillaume Paoli in einem Rundbrief schreibt.
Der Presse wollten die Eigentümer keine Auskunft geben. Auf der Webseite ihrer Agentur Yadastar ist von der Förderung von „Graswurzel-Netzwerken und realen Begegnungen“ die Rede und ferner, dass sie die „Red Bull Music Academy“ mitbegründet hätten. Anne Ameri-Siemens veröffentlichte daneben 2017 eine Recherche über die RAF.
Alternative Geschichte in Gefahr
„Ihre de-facto-Kündigung beendet nach zehn Jahren nicht nur die Arbeit einer zentral gelegenen Institution und Nachbarschaftskneipe“, sagte ein Sprecher der Watt-Rettungs-Initiative der taz, der nicht namentlich genannt werden will. Die Initiative setzt sich aus dem harten Kern der Stammgäste und ihren Sympathisanten zusammen. Der Sprecher kritisiert, die neuen Hauseigentümer aus dem Westen schrieben sich die Förderung von Kunst und Kultur auf die Fahnen, um dann aber einen Schlussstrich „unter die renitente Kunst- und Kulturgeschichte im ehemaligen Arbeiterbezirk“ zu ziehen, „der für Jahrzehnte Knotenpunkt und Umschlagplatz der Unangepasstheit war“.
Das Watt wurde 2010 vom Dichter Bert Papenfuß und der Künstlerin Mareile Fellien unter dem Namen „Rumbalotte“ gegründet. Es gab eine Förderung vom Arbeitsamt und einen „Coach“, der ihnen ständig riet, die Kneipe durch das Anlocken von Touristen lukrativer zu machen – etwa mit Mixgetränken, die der Schriftsteller Stefan Schwarz abfällig „Hawaii-Gelumpe“ nennt. Touristen wollten die beiden Betreiber gerade nicht haben.
2015 übergaben sie die Kneipe der quasi professionellen Gaststättenbetreiberin und Künstlerin Sindy Kliche, die sie in „Watt“ umbenannte, auch etwas andere Musik auflegte und die Wandmalereien des radikalen russisch-österreichischen Aktionskünstler-Duos Alexander Brener und Barbara Schurz übermalte. Nach Bert also Sindy – dieses Duo kannte man bisher nur als „Cindy und Bert“ aus dem Westfernsehen, es hatte nicht gerade einen guten Ruf. Mit den beiden im Osten war das anders.
Nachdem sie ihre Kneipe an Sindy abgegeben hatten, mieteten Mareile und Bert einen Raum in einer stillgelegten Pankower Brauerei an – als Rumbalotte II, für die sie einen Unterstützerverein gründeten. Die Rumbalotte I blieb jedoch auch als Watt Stammkneipe und Veranstaltungsraum.
Prenzlberg nach der Wende
Bert Papenfuß starb überraschend am 26. August 2023 mit 67 Jahren. Sein Vater war NVA-Offizier, Bert verweigerte jedoch den Armeedienst und verpflichtete sich als „Bausoldat“. Zuvor war er in Leningrad zur Schule gegangen, was zur Folge hatte, dass er Russisch sprach und einen Hang zum Maritimen hatte. Nach seinem Dienst arbeitete er als Ton- und Beleuchtungstechniker in verschiedenen Theatern. Ab 1980 schlug er sich als freier Schriftsteller durch. Seine Lesungen wurden meist von Rock- und Punkbands flankiert, an eine Buchveröffentlichung war in der DDR nicht zu denken.
Es gab einige wenige Westberliner Stammgäste, die ihn bereits aus Kreuzberg kannten, wo er eine Zeitlang wohnte und eine Chicagoer Punksängerin heiratete. Mit ihr hatte er eine Tochter: Leila. Damals bekamen etliche DDR-Punker Ausreisegenehmigungen nach Westberlin. Sie vermuteten, dass die Regierung hoffte, sie würden dableiben. Dem war aber nicht so: Es waren keine Republikflüchtlinge, sondern Anarchisten, die weiter an den Fesseln des sozialistischen Kulturbetriebs zerren wollten.
Als einige von ihnen nach der Wende in Prenzlauer Berg die Kneipe Torpedokäfer eröffneten, gehörte Papenfuß quasi zum Inventar. Hinter der Theke arbeitete Lothar, ein Philosoph, der lange Gutachten und Einsprüche brauchte, um nicht vom Arbeitsamt zum Gärtner umgeschult zu werden. Ironischerweise verirrte sich dorthin auch einmal ein Gitarrist aus Heidelberg, der ebenso lange (zwei Jahre) gebraucht hatte, um vom Arbeitsamt eine Umschulung zum Gärtner bewilligt zu bekommen.
Eine der Kellnerinnen im Torpedokäfer war Djamila, die so bezaubernd war, dass alle möglichen männlichen Gäste ihr Komplimente und Freundschaftsanträge machten – auf Bierdeckeln, Büttenpapier oder ausgerissenen Kalenderseiten. Sie sammelte diese zum Teil gereimten Geständnisse und stellte sie dann im Torpedokäfer aus – eine ganze Wand voll. Der Name der Kneipe ging auf den ursprünglichen Titel der Autobiografie des expressionistischen Dichters und Schiffsentführers Franz Jung zurück, dessen Buch später „Der Weg nach unten“ hieß – was in gewisser Weise auch auf die Nachwende-Perspektiven der Torpedokäfer-Stammgäste zutraf. Viele von ihnen sahen sich nach der Westerweiterung auf das Territorium der DDR ihrer regelmäßigen Einkünfte beraubt und verloren ihre Wohnungen im Prenzlauer Berg wegen exorbitanter Mieterhöhung oder Eigenbedarf.
Von der Russendisko bis zur Kulturspelunke
Bert Papenfuß war derweil mit dem dissidentischen Verlag Basisdruck liiert und forschte über Piraten. Die Texte wurden im Verlag meist nach dem alten linksradikalen Prinzip „Wer schreibt, der zahlt“ herausgegeben. Im Basisdruck erschienen nacheinander auch die Zeitschriften Sklaven, Sklaven Aufstand, Gegner und nun Abwärts. Papenfuß war bei allen Redakteur.
Als der Torpedokäfer schließen musste (ebenfalls wegen Nichtverlängerung des Pachtvertrags) eröffnete Papenfuß mit zwei Freunden das „Kaffee Burger“ in der Torstraße in Mitte, wo dann regelmäßig eine „Russendisko“ von Wladimir Kaminer stattfand, die massenhaft Gäste anzog. Alle vier wurden damit reich – zumindest vorübergehend. Papenfuß stieg nach einer Weile aus diesem Touristenmagnet aus und bekam dafür ein paar Jahre lang eine Rente von seinen Mitbetreibern. Danach eröffnete er zusammen mit Mareile Fellien, die ihn inzwischen geheiratet hatte, die Kulturspelunke Rumbalotte in der Metzer Straße.
Das Wort Rumbalotte (zuvor eine Papenfußsche Buchreihe) geht auf eine Zote des Westberliner Künstlers Thomas Kapielski zurück: Drei Matrosen vergleichen ihre reichlich tätowierten Schwänze, wobei sie über einen lachen, der nur das Wort Rumbalotte darauf stehen hat. Er bringt sie jedoch zum Staunen, als daraus im erigierten Zustand der Satz „Ruhm und Ehre der baltischen Rotbannerflotte“ wird.
Als Papenfuß starb, war die „Scene“ entsetzt, denn er war ihr bester Integrator und herrlich freimütig: So stellte er zum Beispiel den arbeitslosen und deprimierten Stasi-Offizier, der die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) für die Prenzlauer-Berg-Anarchos betreut hatte, als Türsteher im Kaffee Burger ein und veröffentlichte auch dessen Agitprop-Gedichte im Gegner. Und mit seinem quasi persönlichen IM Sascha Anderson bestritt er Dichterlesungen. Sein Tod beendete auch die Herausgabe der Autobiografie von Norbert „Knofo“ Kröcher, Mitglied der militanten Bewegung 2. Juni, dessen zweiten Band Papenfuß fast fertig lektoriert hatte. „Knofo“ war zuletzt ehrenamtlicher Feuerwehrhauptmann in Brandenburg und hatte sich 2016 erschossen.
Die letzte Bastion
Aber die anderen Watt-Gäste leben. Man sollte sie eigentlich alle hier vorstellen, aber einige müssen genügen: der Philosoph und Katzenfreund Hugo Velarde, der gelegentlich die Ballade von Don Quijote vorträgt und gerade einen Roman veröffentlicht hat. Der Dichter Kai Pohl, der oft und gerne Veranstaltungen organisiert. Der Musikkritiker Robert Mießner, der manchmal für die taz schreibt. Der Basisdruck-Verleger Stefan Ret, ein solider Kenner der Arbeiterbewegung.
Die Autorin Su Tiqqun, die als Mitbetreiberin des Tacheles ein Buch über dieses „Kunsthaus“ in der Oranienburger Straße veröffentlicht hat, in dem sie an all die Dramen und skurrilen Tragödien erinnert, die dort geschahen. Ein Rezensent schrieb: „Furchtbar wurde es aber, als das Berlin-Marketing das Tacheles für sich entdeckte und die Stadt schließlich das Areal an Investoren verkaufte, die nun Luxuswohnungen darauf errichtet haben, von denen eine so viel kostet, wie die Stadt für das gesamte Gelände bekommen hat.“
Es ist immer wieder dieselbe Geschichte, die sich hier im Osten seit der Westerweiterung abspielt. Und man kann kaum etwas dagegen tun. Es ist zum Kotzen. Zumal diese Austreibung der „Watt“-Kneipe nach dem seit 1990 immergleichen Schema geschieht: Betuchte Westler wurmen sich im Osten ein und verdrängen die dort lebenden und arbeitenden Ostler. Bald ist nichts mehr da, was sich derart gentrifizieren ließe. Denn in der Kulturspelunke verkehrte „der renitente Rest der Prenzlauer Berg Connection“, wie Bert Papenfuß bereits 2015 bemerkte.
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