: Niemand wollte eine queere Puppe verbrennen
Aum Blankeneser Elbstrand wurde eine Strohpuppe verbrannt, die einige Besucher:innen als LGBTQ+-Symbol sahen. Die Feuermacher:innen wehren sich gegen die Vorwürfe
Von Charlina Strelow
Karsamstag, Blankenese. Julius B. aus Nienstedten besucht gemeinsam mit seiner Familie das Osterfeuer am Elbstrand. Traditionell wird dort auch eine Strohpuppe verbrannt. Sie soll den vertriebenen Wintergeist darstellen, erklärt Jan S. von den Feuermacher:innen. Sie sind eine informelle Gruppe, die das Feuer plant und aufbaut. Jan S. gehört dazu, „seit er laufen kann“.
Für Julius B. war es das dritte Jahr, in dem er das Osterfeuer in Blankenese miterlebte. Beide Male zuvor kam er am Strand an, als die Puppe schon in Flammen stand und nicht mehr zu erkennen war. Dieses Jahr sah er sie noch unberührt an einem Mast auf dem Feuer hängen. Der 32-Jährige war irritiert: Die Haare der Puppe waren regenbogenfarben, sie erinnerten ihn stark an das Symbol der LGBTQ+-Bewegung. Eine queer aussehende Puppe zu verbrennen, erschien ihm falsch.
Er sprach einen Feuermacher an, dass er die Haare „seltsam“ finde und fragte nach einer möglichen Bedeutung. Der Feuermacher habe sofort verstanden, worauf Julius anspielte. Doch mit „Gender“ habe die Puppe nichts zu tun, winkte er ab. Eine in der Nähe stehende Besucherin habe Julius bestätigt, dass sie sein ungutes Gefühl teile.
Auch seine Familie war sich einig: Die Strohpuppe „fühlt sich nicht richtig an“. Es sei „makaber“ gewesen, die Puppe vor der „johlenden Menge“ brennen zu sehen, ärgert sich Julius’ Onkel Hans D. Gerade im aktuellen politischen Klima, das immer queerfeindlicher werden würde, könne man das nicht so einfach hinnehmen, ergänzt dessen Frau Ines B.
Laut einer gemeinsamen Studie des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) und des Bundeskriminalamts (BKA) haben sich Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsbezogene Diversität“ seit 2010 nahezu verzehnfacht. 2023 kam es in Deutschland zu 1.758 Straftaten gegen LGBTQ+-Personen.
Jan S. betont, dass die Feuermacher:innen definitiv nicht die Absicht gehabt hätten, „jemanden zu verärgern oder zu diskriminieren“. Die Kinder der Gruppe hätten die Puppe gebastelt und sie „möglichst bunt gestaltet“, damit sie „lustig aussieht“.
Auch die Male zuvor war die Puppe bereits farbenfroh, hatte etwa neonpinke Haare und trug einen pastellbunten Trainingsanzug. Einem Regenbogen glichen die Exemplare der Vorjahre allerdings weniger als in diesem Jahr. Das geht aus Bildern hervor, die der taz vorliegen.
Auch das Bezirksamt Altona, das eng mit den Feuermacher:innen zusammenarbeitet, war an dem Tag vor Ort. Nach der Beschwerde führten sie Gespräche mit den Feuermacher:innen, erkannten aber „keine diskriminierenden Absichten“. In Zukunft soll trotzdem auf einen „sensibleren und bewussteren Umgang“ geachtet werden.
Ginge es nach dem Historiker und Brauchtumsforscher Gerd Biegel, so sollte nichts mehr verbrannt werden, das einem Lebewesen ähnelt. Er erinnert daran, dass das zunächst positiv konnotierte Osterfeuer im 18. Jahrhundert an manchen Orten unter dem Namen „Judasfeuer“ genutzt wurde, um das vermeintlich Böse zu bestrafen.
Aus seiner Sicht waren diese Feuer eine „begleitende Ideologie der Antisemitismus-Entstehung“. Es seien eben gerade volkskundliche Dinge, die instrumentalisiert würden. Verbrennungen von Strohpuppen könnten „ein Vehikel für Hass auf Gegner“ sein. Es gebe gerade genug Beispiele für Rückschritte im Umgang mit queeren Personen. „Schlimmer geht es doch fast nicht mehr“, sagt Biegel.
Ganz auf die Puppe zu verzichten, kommt für die Feuermacher:innen aktuell nicht in Frage. Es würde einen Großteil der Besucher:innen und Feuermacher:innen verärgern. „Das ist einfach Tradition, wie es bisher gelebt wurde“, sagt Jan S. „Na klar kann man darüber nachdenken, so was wegzulassen. Aber was ist dann im nächsten Jahr? Kommt dann der Mast in der Mitte weg?“ Egal, was man mache, es werde sich immer jemand falsch verstanden fühlen. Das sei leider so. Die Feuermacher:innen versuchten stets, das Feuer „neutral“ stattfinden zu lassen.
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