: Kleinstadt mit Programm für Wohnungslose
Die Diakonie baut mit Fördergeld des Landes eine Housing-First-Unterkunft in Schleswig. Sie soll den Bewohnern dauerhaft den Weg aus der Wohnungslosigkeit weisen

Von Esther Geißlinger
Erst ein Dach über dem Kopf, dann der ganze Rest: In der 26.000-Einwohner:innen-Stadt Schleswig entsteht ein Housing-First-Projekt, in das Wohnungs- und Obdachlose einziehen können. Denn längst ist die Wohnungslosigkeit kein reines Metropolen-Problem mehr. Möglich wird der Neubau durch die Zusammenarbeit von Diakonie, Stadt und Land. Am Montag fand der erste Spatenstich statt.
„Für mich und alle Beteiligten ist das heute ein wunderbarer Tag“, sagte Bernd Hannemann, Vorstand der Stiftung Diakonie Schleswig-Holstein. Die Diakonie betreut landes- wie bundesweit zahlreiche Hilfen für Menschen, die keine feste Wohnung haben.
Deren Zahl steigt, auch in Schleswig-Holstein: Über 10.000 nahmen im Jahr 2024 Angebote der diakonischen ambulanten Wohnungslosenhilfe in Anspruch. Das Statistische Bundesamt zählte in einer Stichproben-Auswertung Anfang Februar 2024 sogar 28.000 Menschen, die in dieser Nacht in Not- oder Sammelunterkünften schliefen. In Hamburg waren es rund 36.000, in Niedersachsen etwa 33.000 und in Bremen 5.600. Darunter waren jeweils etwa ein Drittel Geflüchtete aus der Ukraine.
„Als Stiftung wollen wir das Geld nicht nur zur Bank tragen, sondern unmittelbar investieren“, erklärt Hannemann. Ein weiteres Housing-First-Gebäude mit neun Wohnungen entsteht zurzeit in Kiel in Zusammenarbeit mit der Obdachlosen-Initiative „Hempels“, die unter anderem die gleichnamige Zeitschrift herausgibt. In Schleswig sollen es 15 Wohnungen werden. Ein Teil davon sind Notunterkünfte, die kurzfristig belegt werden. Die Mehrzahl aber wird fest vermietet.
„Die Idee ist, dass die Menschen wieder ausziehen, wenn sie sich stabilisiert haben, aber wir drängen niemanden“, sagt Hannemann. Denn der Ansatz des Housing-First-Konzepts ist, dass Wohnungslose in der Sicherheit einer festen Bleibe andere Probleme wie Schulden, Sucht oder Arbeitslosigkeit angehen können. „Wir sehen diese Projekte als Impuls: Wir wollen zeigen, dass auch ein sozialer Träger in Kooperation mit anderen so einen Bau stemmen kann“, sagt Hannemann.
Lob dafür kommt aus dem Kieler Innenministerium: „Die Diakoniestiftung Schleswig-Holstein ist der erste soziale Träger, der unser Förderprogramm als Bauträger in Anspruch nimmt und selbst Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen schafft“, sagt Arne Kleinhans, Abteilungsleiter für Bauen und Wohnen.
Das Land übernimmt einen Großteil der Baukosten, die sich zurzeit auf 2,55 Millionen Euro belaufen. Über das Förderprogramm „Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen“ stellt die schwarz-grüne Landesregierung 800.000 Euro als Zuschuss zur Verfügung, weitere rund 1,5 Millionen Euro fließen über die Investitionsbank als zinsloses Darlehen. Die Diakonie-Stiftung steuert selbst rund 255.000 Euro bei.
Die Ausgaben kommen im Laufe der Zeit durch die Mieten wieder herein, die die künftigen Bewohner:innen zahlen. Zum Konzept gehört auch eine ständige Beratung und Begleitung der Mieter:innen. Einen Teil der Personalkosten für die Fachkräfte, die beim Diakonischen Werk angestellt sind, übernimmt die Stadt Schleswig.
Bernd Hannemann, Vorstand der Stiftung Diakonie
Der Bau sollte nach der ursprünglichen Planung bereits im Winter 2024 fertig sein, nun steht die Jahreszahl 2026 im Raum. „Die Hürden lagen im Detail“, sagt Hannemann. Baukosten stiegen, es gab vergabe- und EU-rechtliche Probleme, auch die Verhandlungen mit der Stadt über den Bauplatz zogen sich länger als erwartet hin, trotz guten Willens auf allen Seiten, wie Hannemann betont.
Gebaut wird auf einem Hanggrundstück, auf dem sich bereits die heutige Notunterkunft der Stadt befindet – ein Ziegelbau aus den 1950er-Jahren, der nicht einmal eine Heizung hat. Weitere, beheizte Schlafplätze finden sich im historischen Rathaus.
Diesen Standort will die Stadt allerdings mittelfristig schließen. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, kommentierte jemand den entsprechenden Bericht in den lokalen Schleswiger Nachrichten.
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