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Landesamt für Einwanderung in BerlinGefangen in der Abhängigkeit

Noch immer müssen Menschen in Berlin oft monatelang auf einen Termin beim Landesamt für Einwanderung warten. Für manche hat das existenzielle Konsequenzen.

Halyna Sarapina – hier mit ihrem Ehemann Oleksandr Baranchykov – hat auf ihren letzten Termin beim LEA fast neun Monate gewartet Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Halyna Sarapina fühlt sich in Berlin immer weniger willkommen. Die 32-Jährige kam vor acht Jahren aus der Ukraine zum Studieren in die Stadt. Seitdem muss sie immer wieder um ihren Aufenthalt kämpfen. Angefangen damit, überhaupt einen Termin beim Landesamt für Einwanderung (LEA) zu bekommen. Auf ihren letzten Termin habe sie fast neun Monate gewartet und ihn letztlich nur mithilfe einer Anwältin bekommen. „Im vergangenen Jahr habe ich mich immer weniger als Mensch gefühlt“, sagt Sarapina über ihren Kampf mit der Behörde.

Aktuelle Daten zu den durchschnittlichen Bearbeitungszeiten von Anträgen beim LEA liegen nicht vor, auf eine Anfrage der taz reagierte das Amt nicht. Im Oktober 2023 gab es noch eine Wartezeit auf Termine von bis zu sechs Monaten an. Bereitgestellte Termine waren damals in kürzester Zeit ausgebucht.

Die langen Wartezeiten auf einen Termin beim LEA wurden in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich kritisiert. Denn selbst bei rechtzeitiger Beantragung einer Verlängerung des Aufenthaltstitels können Verzögerungen dazu führen, dass Betroffene nicht arbeiten, einen Mietvertrag unterschreiben oder verreisen dürfen. Die langen Wartezeiten hatten 2023 sogar dazu geführt, dass Termine von Drittanbietern abgegriffen und weiterverkauft wurden.

Um dem Terminhandel entgegenzuwirken, hat das LEA Anfang vergangenes Jahr sein Online-Terminvergabesystem vollständig abgeschafft. Seither werden Anträge über ein Kontaktformular gestellt. Wenn eine Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum abläuft, gilt nach Antragstellung die „Fiktionswirkung“: Offiziell läuft ein Aufenthaltstitel nur dann aus, wenn keine Verlängerung beantragt wird – ansonsten gilt der Aufenthaltstitel weiter, bis das LEA über den Antrag entschieden hat. Doch Betroffene berichten, dass einige Ämter und Behörden die Fiktionswirkung nicht anerkennen.

„Die Situation wird zur Katastrophe“

So erlebte es auch Sarapinas Ehemann Oleksandr Baranchykov. Dessen Aufenthalt war an ihr Studienvisum geknüpft. Weil Sarapina ihr Studium im Oktober 2023 abschloss, hätten sie bereits im August online einen Termin beim LEA beantragt, um neue Aufenthaltstitel zu beantragen, berichtet das Ehepaar. Sarapina erhält daraufhin für Februar 2024, also sechs Monate später, einen Termin. Baranchykov hingegen erhält überhaupt keine Rückmeldung auf seine Terminanfrage – über ein Jahr lang. „Und dann wurde die Situation für ihn langsam zur Katastrophe“, sagt Sarapina.

Oleksandr Baranchykov (33) ist ausgebildeter Koch und Barkeeper und arbeitete zu diesem Zeitpunkt in einer Bar, die jedoch im Oktober schließen musste. Im Januar 2024 erhält er ein Arbeitsangebot in der Zahntechnik. „Er war sehr glücklich darüber, weil er sowieso aus der Gastronomie rauswollte“, erinnert sich Sarapina.

Als er seinen Probevertrag bei der Agentur für Arbeit einreichen will, habe diese jedoch die Fortwirkung seines Aufenthaltstitels nicht akzeptiert. „Überall hieß es: Sprechen Sie erst mit dem Landesamt für Einwanderung“, so Sarapina. „Dort erreicht man aber niemanden.“ Letztendlich konnte Baranchykov nicht eingestellt werden.

Für alles, was Geld erfordert, ist Baranchykov daraufhin auf andere angewiesen. Sarapina hält sich mit der Hilfe von Volunteerjobs, Freun­d*in­nen und ihrer Mutter, die in Lübben als Ärztin arbeitet, über Wasser. „Seine Krankenversicherung habe ich in der Zeit mit übernommen“, sagt sie. „Auch seine Freunde haben ihn unterstützt. Aber er hat jetzt unglaublich viele Schulden.“

„Das System funktioniert aber nicht“

Im Juni 2024 erhält Baranchykov erneut ein Jobangebot aus der Gastronomie. Wieder erhält er einen Vorvertrag, wieder wird die Fiktionswirkung von der Agentur für Arbeit nicht akzeptiert. „Irgendwann hört man dann auf, nach Arbeit zu suchen“, sagt Sarapina.

Zwar gibt es offiziell die Möglichkeit, solche Notfälle im Kontaktformular des LEA kenntlich zu machen, um eine schnellere Bearbeitung zu erwirken. „Das System funktioniert aber nicht“, sagt Sarapina. Ihre Bitten um einen Notfalltermin seien allesamt ignoriert worden. Und vor Ort sei ohne Termin nur das Sicherheitspersonal ansprechbar.

Bei ihrem Termin beim LEA im Februar 2024 bemerkt sie dann, dass die Beantragung eines Freelance-Visums, wie sie es eigentlich geplant hatte, kompliziert ist und nicht zu ihren Arbeitsplänen passt. Also will sie stattdessen eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche beantragen. Das bedeutet aber: anderes Gebäude, neuer Termin.

Sie stellt eine Terminanfrage, geht persönlich zum LEA – vergeblich. Bis Ende 2024 hätten weder sie noch Baranchykov einen Termin erhalten, sagt sie. „Das macht dich unglaublich instabil.“ Als ihre Cousine in Indien heiratet, kann sie nicht hin, weil die Fiktionswirkung ihres Aufenthaltstitels sie nicht zur Wiedereinreise nach Deutschland berechtigt. Ihre Bitten beim LEA um einen Termin oder die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung blieben ohne Erfolg. „Das ist ein ganz komisches Gefühl, nicht ausreisen zu können.“

Ombudsstelle und Rechtsberatung eingestellt

Sarapina will sich Hilfe holen. Sie versucht, die Ombudsstelle des LEA zu kontaktieren – doch Ende 2023 wurden Beratungsservice, Ombudsstelle und Rechtsberatung beim LEA eingestellt. Schließlich wendet sie sich an das „Willkommenszentrum“, der Beratungsstelle der Beauftragten für Partizipation, Integration und Migration.

Dort wird Unterstützung beim Zugang zu und der Kommunikation mit Behörden angeboten. Dort hat man Erfahrung mit Menschen, die sich rechtzeitig um einen Termin beim LEA bemüht haben, deren Aufenthaltserlaubnis aber bald ausläuft oder bereits ausgelaufen sei, so Leiterin Marie-Sophie Deuter. Einen schnelleren Zugang zu Terminen könne man jedoch leider nicht erwirken. „Unsere Ju­ris­t*in­nen haben allerdings sehr viel Erfahrung im Migrationsrecht und können den Ratsuchenden mehr Sicherheit geben, was die Erfolgsaussicht ihres Anliegens anbelangt.“

Im Kontakt mit Ar­beit­ge­be­r*in­nen oder Leistungsbehörden könne sich das „Willkommenszentrum“ zudem einschalten, um sicherzustellen, dass ein Job oder eine Wohnung nicht verloren gehe oder Leistungen ausgezahlt werden. Sarapina und Baranchykov erfuhren von diesem Angebot erst, als Baranchykovs Jobs bereits abgesagt wurden.

Auf der Webseite des LEA heißt es, man habe sich zum Ziel gesetzt, „den Bearbeitungsrückstau trotz der anhaltend hohen Antragszahlen möglichst schnell abzubauen, mindestens aber nicht weiter steigen zu lassen“.

Um das zu beschleunigen, hat die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus bereits vor einem Jahr ein digitales Antragssystem beantragt – bislang ohne Erfolg.

Einen Schritt rückwärts

„Vom LEA wurde versprochen, dass die Digitalisierung dieses Jahr schrittweise für alle Aufenthaltstitel eingeführt wird“, sagt der Grünen-Abgeordnete Jian Omar der taz. Stattdessen mache das Amt durch die Abschaffung des Online-Terminsystems einen Schritt rückwärts. „Man hätte eine Lösung für die Übergangsphase schaffen sollen.“ Omar fordert einen verbindlichen Zeitplan, bis wann die Digitalisierung erfolgen soll. Bis dahin müsse es eine Alternative zum Kontaktformular geben, auch vor Ort. „Warum bietet man nicht zwei offene Termine pro Woche an, bei denen Menschen mit dringenden Anliegen vorsprechen können?“

Nach Monaten ohne Rückmeldung vom LEA nahm Sarapina im Oktober vergangenen Jahres schließlich Kontakt zu einer Anwältin auf. Mit deren Hilfe erhielt sie im Dezember dann tatsächlich einen Termin. Dort wurde ihr gesagt, dass sie und ihr Mann nach Ende ihres Studiums im Oktober 2023 noch Anspruch auf 18 Monate Aufenthalt hatten – die Monate, in denen sie anschließend auf einen Termin beim LEA gewartet hatten, zählten bereits dazu. Im April muss Sarapina sich daher erneut um einen Aufenthaltstitel bemühen. „Ich habe gelernt, im Kontakt mit dem LEA weniger zu weinen“, kommentiert Sarapina die neuerlichen Umstände.

Wie es im April weitergeht, weiß sie nicht. Da Baranchykov mittlerweile Arbeit in einem Hotel gefunden hat, hofft sie, dadurch auch eine Verlängerung ihres Aufenthalts zu erhalten. Am liebsten würde sie sich selbstständig machen. „Für Visum und Versicherung brauche ich jetzt aber erst einmal eine Festanstellung.

Hinnehmen will sie das aber nicht so einfach: Sarapina hat mittlerweile mehrere Petitionen gestartet, in denen sie fordert, dass das LEA mehr Personal einstellt und auch Studierende aus Nicht-EU-Ländern in Deutschland freiberuflich arbeiten dürfen.

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