Künstlerresidenzen in Hoxha-Villa: Die Badezimmerkacheln des Diktators
Die Villa von Enver Hoxha blieb in Albanien lange verschlossen. Doch 40 Jahre nach dessen Tod werden nun Künstler in die Residenz einziehen.

Wie gelingt die Erinnerung an einen Diktator? Aktuell wird die Frage in Tirana diskutiert, wo kurz vor dem 40. Todestag von Enver Hoxha am 11. April die Residenz von ihm und seiner Familie eine Nachnutzung erfährt. Die Vila 31 befindet sich im einst für die Nomenklatura abgeriegelten Stadtteil Blloku – heute der Partybezirk der albanischen Hauptstadt. Sie blieb nach dem Sturz des Regimes 1991 jahrzehntelang weitgehend ungenutzt. Aber auch unangetastet.
Im Jahr 2024 wurde das dreistöckige Gebäude mit einer Wohnfläche von 3.400 Quadratmetern in Regie der französischen Stiftung Art Explora zu Künstlerresidenzen umgebaut. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte das mit Albaniens Premierminister Edi Rama in Tirana vereinbart. Bei der Eröffnung vor wenigen Wochen schwärmte Frankreichs Botschafterin in Albanien, Catherine Suard, Tirana habe nun einen festen Platz auf der Landkarte der Metropolen zeitgenössischer Kultur. 2025 werden 22 Künstler:innen aus 15 Ländern jeweils drei Monate in der Villa wohnen.
Die Auswahl der Stipendiat:innen hat eine hochkarätige Jury vorgenommen, zu der auch die beiden Direktoren des Hamburger Bahnhofs in Berlin, Sam Bardaouil und Till Fellrath gehörten. Einer der ersten Künstler, die Mitte Januar einzogen, ist der 1990 in der albanischen Hafenstadt Durrës geborene und seit 2016 in Bremen lebende Armando Duçellari (Foto, Video, Trickfilme, Performance).
Dass er unter an die 1.000 Bewerbungen unter jenen ist, die den Zuschlag bekamen, hat der renommierte Künstler vermutlich auch seiner Tante zu verdanken: Die nämlich arbeitete von 1973 an fast zwei Jahrzehnte lang als Servicekraft in der Hoxha-Villa und hatte unter anderem dafür zu sorgen, dass dort alle gut versorgt waren mit Essen.
Paranoider und brutaler Diktator
Jetzt möchte Duçellari auf Spurensuche gehen – und Video-Interviews mit der Tante anschließend als sein Kunstprojekt präsentieren. Es soll um Erinnerung und Erinnerungslücken gehen, wie er sagt. Manches habe die Tante im Rückblick verklärt. Sie, die als junge Frau in die Dienste trat, habe sich bei den Hoxhas „wie ein Familienmitglied gefühlt“, immer gut aufgenommen, „für mich ist das komisch zu verstehen“.
Denn er kenne aus Erzählungen ja auch die schlimmen Geschichten: die mit einem paranoiden und brutalen Diktator in der Hauptrolle, der sein Land in die Selbstisolation getrieben hatte. Der Bremer lebt nun in der alten Wohnung von Ilir Hoxha, einem der beiden Söhne von Enver Hoxha. „Es ist ziemlich hart, jetzt dort zu wohnen. Ich denke sehr viel nach“, sagt Duçellari.
1974 hatte die Familie die „Vila 31“ bezogen. Diese war organisiert wie eine große Wohngemeinschaft, eine, die immer größer wurde. Der Diktator und seine Frau Nexhmije hatten nach fast 30 Ehejahren nicht nur getrennte Schlafzimmer, sondern getrennte Wohnungen. Jeweils eigene Räumlichkeiten gab es auch für Hoxhas unverheiratet gebliebene Schwester und die drei Kinder mit ihren Familien. 1985 beim Tod Hoxhas, der schon jahrzehntelang gesundheitlich angeschlagen war, wohnten neun Erwachsene und sieben Enkelkinder in der Residenz.
„Denken Sie auch zuerst an Opulenz, Pracht und Kitsch?“, fragt der Berliner Architekturfotograf Philipp Funke im Vorwort zu seinem Bildband „A Dictator’s Home. Inside Enver Hoxha’s Vila 31“, der im März im Berliner Revolver-Verlag erschienen ist (Deutsch, Englisch, Albanisch, 180 Seiten, 42 Euro). Seine Antwort: Um die Villa von Hoxha zu verstehen, wäre es gut, von solchen Vorstellungen Abstand zu nehmen, „erwarten Sie keinen Prunk“.
Aber der Fotograf sieht durchaus die „Großzügigkeit“ des Hauses. Gemessen an der „bitteren Armut“ der Bevölkerung Albaniens und ihren meist äußerst beengten Wohnungen könne „vom ursprünglich vertretenen Konzept des allen Privilegien abgeneigten Führers“ nicht die Rede sein, schreibt er.
Verschlossen wie zur Zeit der Diktatur
Funke hatte 2019 ausverhandelt, dass er das von der albanischen Regierung gepflegte Gebäude einschließlich der Inneneinrichtung fotografieren durfte. Alles stand damals noch an seinem Platz, wie in einem Mausoleum. Regelmäßig wurde Staub gewischt und gereinigt. Nur ab und an wurde die Villa seit 1991 genutzt – mal für den Empfang eines norwegischen Geschäftsmanns, mal für die Unterbringung von Regierungsgästen, später für eine Kunstperformance und eine Buchausstellung. Meist aber blieb das Gebäude so verschlossen wie zur Zeit der Diktatur.
Jetzt werden Zeitzeug:innen umso wichtiger: Für Funkes Bildband hat Christiane Jaenicke die historische Einführung geschrieben – eine Autorin, die in den 80er Jahren Chefsekretärin in der DDR-Botschaft in Tirana war. Und schon vor Funke hat die deutsche Fotokünstlerin Jutta Benzenberg die Vila 31 fotografieren dürfen, die Witwe des albanischen Dissidenten Ardian Klosi. Eine Auswahl ihrer Fotos wurde im 2022 im Marubi-Nationalmuseum im nordalbanischen Shkodra ausgestellt.

Denn dass aus der Vila 31 kein Museum wurde, hat einen Preis: Die Geschichte lässt sich nun vor Ort nur noch eingeschränkt nachvollziehen. Möbel wurden verrückt oder entfernt, neue Wände eingezogen. Hoxhas Schlafzimmer ist nicht mehr, dort steht jetzt ein Konferenztisch. Immerhin andere Dinge blieben: Blaupunkt-Fernseher aus Westdeutschland, eine Porzellanvase mit dem Roten Rathaus in Ost-Berlin.
Das Pop-Art-Design einer Matratze erinnert an die 70er. Im Flur steht eine alte italienische Musiktruhe aus der faschistischen Besatzungszeit – mit Radiostationen wie Königsberg und Memel (Germania). Alles galt 1991 nun wirklich als Volkseigentum – die Hoxha-Familie durfte bei ihrem Auszug nichts mitnehmen.
Kacheln mit Blümchenmuster
Premier Rama philosophierte 2019 in einem Guardian-Interview über Albanien als „das Nordkorea Europas“. Er sprach damals mit Blick auf die Hoxha-Villa von einen „großen Dilemma“: Es wäre „unangemessen, es in seinem jetzigen Zustand als eine Art Schrein zu belassen“. Aber auch, das Haus „vollständig zu zerstören“.
Als der Ministerpräsident, selbst Künstler, jetzt zur Eröffnung der Umwidmung kam, lobte er: „Das Beste, was mit diesem Ort passieren konnte.“ Und zeigte sich überzeugt, dass sich Enver Hoxha im Grab umdrehen würde, sähe er sein altes Haus so umgebaut. Beim Rundgang warf Rama auch einen Blick ins ehemalige persönliche Badezimmer des Diktators.
Die biederen Kacheln mit gelb-weißem Blümchenmuster auf hellgrünem Grund sind dort noch an der Wand. Doch statt Waschbecken, Bidet und Toilette gibt es nun eine Küchenzeile. Wo der Diktator einst sein Geschäft verrichtete, steht eine Kaffeemaschine. Vergangenheitsaufarbeitung, Tirana-Style.
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