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René Hamann PlattenspielerReden wir doch mal über Frustrationstoleranz

Reden wir über Frustrationstoleranz. „Ich bin nicht gut genug“, das waren die Worte, die der deutsche Tennisspieler Alexander Zverev nach seiner dritten Grand-Slam-Finalniederlage fand, im Januar in Melbourne. Konnte man schwachbrüstig finden für einen Mann, der Asche hat wie Heu und die Nummer 2 der Welt in seinem Sport ist. Aber er hatte auch einfach recht. Zverev ist einer, der am Schluss immer einen Besseren finden wird – ihm fehlt das Genialische, das Nackenbeißende, das Dominierende.

Wie ich dem Livechat des World Cups entnehme, der in der Karwoche in Macao stattgefunden hat, hassen Tischtennisfreaks allerdings nichts mehr als Reporter, die den kleinen Schlagsport mit dem großen vergleichen. Der ITTF, veranstaltender Weltverband, hatte die Livestreams über Youtube nämlich zwei Reportern übertragen, die vom Tischtennis noch weniger verstehen als ich und das Geschehen mit Statistikzetteln und Tennisanalogien kommentiert haben. Bis auf Hugo Calderanos beidseitige Rückhand, die er beim Matchball im Halbfinale gespielt hat, hatte das alles nämlich nicht so viel mit Tennis zu tun.

Und doch. Was Zverevs Psyche umtreibt, muss verschlagene Tischtennisspieler erst recht umtreiben. Dafür zwei oder drei Beispiele, die sich in Macao gezeigt haben.

Da wäre erstens die chinesische Dominanz an der Spitze, die bei den Frauen noch eine Spur ärger ist als bei den Männern. Mit Gary Lineker könnte man sagen: Tischtennis ist ein einfaches Spiel; zwei Personen jagen 3 oder 4 Gewinnsätze lang einen Ball übers Netz, und am Ende gewinnen immer die Chinesen.

Zweitens laufen Spiele zwischen gleichwertigen Gegnern oft auf die zwei allerletzten Punkte hinaus – und für eine von beiden Personen ist all die vorher geleistete Arbeit nach einem Flüchtigkeitsfehler im Schlägerumdrehen Makulatur.

So erging es Dimitrij Ovtcharov, der gegen Kumpel Benedikt Duda im Achtelfinale Matchbälle hatte und mit 11:13 im siebten Satz das Spiel verlor. So ging es Duda selbst, der im nächsten Match kurz davor stand, den Weltranglistenzweiten aus China aus dem Turnier zu kicken. Dann ein Annahmefehler und noch zwei vermeidbare und Wang Chuqin war doch wieder der Sieger.

Miwa Harimoto, süße 16 und mit knallharter Vorhand ausgestattet, weinte dem Vernehmen nach in der Kabine, nachdem sie die Weltranglistenzweite aus China schon auf der Pfanne hatte und am Ende dasselbe Schicksal wie Duda erlitt: Aus in der Verlängerung des siebten Satzes.

Gerade im Tischtennis, das mit seinem Zählsystem sehr auf Dramatik gestrickt ist, muss man von jeher eine Menge Frustrationstoleranz mitbringen. Was beim Tennis (sorry) nicht allzu oft passiert, nämlich, dass ein Match nach abgewehrten Matchbällen noch kippt, kommt beim Tischtennis alle Nase lang vor. Auch sonst geht es viel um Fehler, und nicht nur darum, wie man diese vermeidet, sondern auch, wie man sie toleriert – die der anderen, aber vor allem die eigenen.

Macao lieferte allerdings auch gleich die Pointe: Ausgerechnet Hochneurotiker Hugo Calderano drehte im Halbfinale den Moment, schlug Wang Chuqin mit 12:10 im „Decider“ und holte sich im Finale den Cup – ebenfalls gegen einen Chinesen.

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