piwik no script img

Geschichte unter der Glasglocke

Das Georg Kolbe Museum feiert mit einer Ausstellung sein 75. Gründungsjubiläum. Gereicht werden „Tea and Dry Biscuits“

Ryan Gander, „I bee (Ixxx)“, 2024. Ausstellungssansicht „Tea and Dry Biscuits. Eine Jubiläumsausstellung“. Georg Kolbe Museum, 2025 Foto: Enric Duch

Von Martin Conrads

„Tea and Dry Biscuits“, Tee und trockene Kekse habe es gegeben im Januar 1948: Nach der Trauerfeier für den im November 1947 verstorbenen Berliner Bildhauer Georg Kolbe habe sich die Trauergemeinde in sein Atelierhaus begeben und seine Gipsfiguren betrachtet. Auch nun stehen sie wieder dort, in dem hohen, lichtdurchfluteten Ateliersaal; Skulpturen aus allen seinen Schaffensphasen, vor allem aber jene oft überlebensgroßen aus den 1930er und 40er Jahren. Unter dem Titel „Tea and Dry Biscuits. Eine Jubiläumsausstellung“ will Kuratorin Elisa Tamaschke, unterstützt durch Eva Antunes, 75 Jahre nach Eröffnung des „Georg Kolbe Museums“, so einen Eindruck vermitteln, wie die Räume kurz nach dem Tod des Künstlers aussahen. 1950 nämlich war das Atelierhaus von dessen langjähriger Assistentin Margit Schwartzkopff in ein Museum umgewandelt worden – das erste neu gegründete in West-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie ein „Schrein“ für Kolbe wirken sollte es damals, so Kathleen Reinhardt, die das Museum seit 2022 leitet. Als „scheinbar unversehrte Welt“ konzipiert, zur Verehrung Kolbes Werk. Besonders in den 1910er und 20er Jahren leistete der 1877 geborene Kolbe als prägender Künstler seiner Zeit mit modernen Akzenten einen Beitrag zur Erneuerung der figürlichen Skulptur. Dass er bis heute als ein Porträtist der Weimarer Republik gilt, zeigen auch einige der nun im Ateliersaal zu sehenden Werke. Als Museum, das eine Sammlung von Kolbes Arbeiten beherbergt, aber neben Ausstellungen zur Klassischen Moderne auch in den letzten Jahren der zeitgenössischen Kunst großen Raum gibt, hat sich die Institution ausgiebig mit der Rolle Kolbes im Nationalsozialismus beschäftigt. Die Jubiläumsausstellung muss sich also nicht noch einmal grundsätzlich damit auseinandersetzen, sondern kann auf schon geleistete und fortwährende Forschung zurückgreifen.

Dass Kolbe kein NSDAP-Mitglied war, sich seine Arbeiten aber „leicht von der Propaganda des Nationalsozialismus vereinnahmen ließen“, wie es auf der Museumswebsite heißt, ist eine der Gleichzeitigkeiten, mit der die aktuelle Ausstellung arbeitet. Dass sich der figürliche Ausdruck seiner Arbeiten ab 1933 veränderte und fortan eher NS-Idealen entsprach, zeigt etwa der ausgestellte Gips-Entwurf zum Denkmal „Opfer der Arbeit“ von 1938/39. „Tea and Dry Biscuits“ setzt also an dieser Stelle an und lässt – im Sinn einer Thematisierung der „Inszenierung von Erinnerung“ – Arbeiten von 13 meist noch lebenden Künst­le­r*in­nen zu Kolbes Arbeiten hinzutreten. Dies passiert teils im räumlichen Dialog mit Kolbes Skulpturen, teils mit oft generellen persönlichen Erinnerungen der Künst­le­r*in­nen aufgreifenden Arbeiten. Das scheint manchmal umwegbehaftet: Dass Kolbe 1938 nach Spanien reiste, um ein Porträt Francos anzufertigen, von dem Abgüsse an diesen und an Hitler als Geschenk überreicht wurden, ist ebenso interessant wie das in Kopie ausgestellte Dankesschreiben Hitlers an Johannes Bernhardt, Geschäftsmann und SS-Mitglied, der Hitler das Porträt zum Geburtstag schenkte. Dieses befindet sich in der Museumssammlung, wird aber hier nicht gezeigt. Hierfür gibt es nachvollziehbare Gründe kuratorischer Art, ob es aber die beste künstlerische Entscheidung war, auf diese Leerstelle so hinzuweisen, wie es Álvaro Urbano mit seiner Arbeit „Noches en los Jardines de España“ tut, sei dahingestellt. Überall im Ateliersaal finden sich nun schimmlige Orangen aus gefärbtem Beton. Schöne Farbtupfer zwar, aber dass der Titel der Arbeit auf ein Musikstück des spanischen Komponisten Manuel de Falla verweist, der 1939 nach Argentinien emigrieren musste, wirkt als Verknüpfung mit dem Franco-Porträt im Depot etwas lose. Anders und direkter die Verbindung zu Kolbe etwa bei den Bildern von Christian Borchert: Der Ost-Berliner Fotograf hatte 1987 den Auftrag erhalten, Arbeiten des Bildhauers im öffentlichen Raum zu dokumentieren, in West-Berlin und der Bundesrepublik. Die Fotos zeigen indirekte Blicke auf Kolbes Skulpturen – und den Westen. Sie demontieren Heroisches, denunzieren Kolbe aber nicht – ein Blick, der dem kuratorischen Gestus der Ausstellung entspricht.

Andere Arbeiten, wie Itamar Govs Gebäck unter einer historischen Glasglocke, laut Titel „A Replica of Marcel Proust’s Original Madeleine“, sollen darauf verweisen, dass Erinnerung als Konstrukt ungreifbar bleibt – ein Konzept, das etwa auch für Ryan Ganders Spiegel gilt, der fast zur Hälfte von einem Kaltgussmarmortuch verdeckt wird. Auch wenn sich die Institution selbst bespiegelt – alles sieht man nicht. Vielleicht ist das Franco-Porträt ja hier verborgen?

„Tea and Dry Biscuits“. Georg Kolbe Museum, bis 28. September

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen