Fahrradfahren auf Kopfsteinpflaster: Ein Höllenritt zum Träumen
Beim Radrennen Paris-Roubaix spielt Kopfsteinpflaster eine Hauptrolle. Unseren Autor fasziniert das. Jede Buckelfahrt ist für ihn eine Alltagsflucht.
Die Hölle des Nordens ist ein Meer aus Kopfsteinpflaster, das sich rund um die französische Stadt Lille erstreckt. Eine besonders unwirtliche Gegend für Radsportler:innen – und der Grund, warum das an diesem Sonntag stattfindende Rennen Paris–Roubaix so spannend ist. 55 der 259 Kilometer, die die Männer zurücklegen müssen, führen über unebenen Grund. Bei den Frauen sind es 29.
Paris–Roubaix gehört zu den wichtigsten Eintagesrennen im Kalender des Radsports. Zwischen den einzelnen Steinen in der Region um Lille ziehen sich zentimeterbreite Furchen, zu den Seiten hin fällt der Weg leicht ab. Gerade bei Regen kann das gefährlich werden. Nass und rutschig verbindet man zwar nicht unbedingt mit der Hölle, doch angesichts blutig gescheuerter Hände und zerbrochener Räder, wird deutlich, warum das Rennen „L’Enfer du Nord“ genannt wird. Auch wenn der Name ursprünglich auf die Verwüstung der Region im Ersten Weltkrieg zurückzuführen ist.
Für die meisten vielleicht schwer nachvollziehbar, aber mir persönlich bescheren Fahrten über Kopfsteinpflaster kleine Momente der Freude. Denn jedes Mal, wenn ich die Herausforderung der gepflasterten Hölle annehme – in Kombination mit einer anderen Hölle, dem Berliner Verkehr nämlich –, dann vergesse ich kurz den Alltag. Ich bin dann nicht mehr einfach nur auf dem Weg ins Büro, sondern fühle mich wie ein aussichtsreicher Verfolger des niederländischen Vorjahressiegers Mathieu van der Poel.
Der Körper vibriert
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Das ganze Fahrrad wackelt, mein Körper vibriert, bereits nach wenigen Sekunden drohen die Hände taub zu werden. Hört man ganz genau hin, klingen die Reifen auf den Steinen fast wie das Getrappel von Pferdehufen. Gedanklich bin ich dann im Wald von Arenberg, einem der bekanntesten Abschnitte der Rennstrecke.
Über 2,3 Kilometer führt dort besonders holpriges Kopfsteinpflaster leicht abschüssig durch einen Laubwald, für den Ausgang des Rennens ist dieser Abschnitt oft entscheidend. Das Hauptfeld mit mehr als 100 Profis fährt von einer breiten Straße auf den engen Waldweg, Reifen platzen, Schlüsselbeine brechen. Wer Pech hat, hat unweit des ehemaligen Bergbauorts Wallers schon verloren.
So schicksalhaft ist mein Weg zur Arbeit nicht. Selbst platte Reifen passieren eher selten. Umso mehr können wir Amateur:innen diese kurzen Momente der durchgerüttelten Lebendigkeit genießen. Wer den Radsport nicht liebt, weicht auf den Gehweg aus.
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