piwik no script img

Von Softdrinksteuern und Werbeverboten

Die Zahl der Übergewichtigen nimmt weltweit zu. Gründe dafür sind der moderne Lebensstil und fehlende politische Gegenmaßnahmen. Fünf Länderbeispiele zeigen, was helfen kann und wo es strengere Regulierungen braucht

Mutter und Tochter bei einem Dorffest im mexikanischen Zinacantan Foto: Diana Bagnoli/laif

Von Kathrin Burger

Weil immer tollere Abnehmstorys durch das Medikament Ozempic die sozialen Medien fluten, wirkt es fast so, als sei das Thema Übergewicht ein Problem von gestern. Dass dem nicht so ist, verdeutlichen Daten der World Obesity Federation, die kürzlich veröffentlicht wurden. So hat sich die Anzahl der übergewichtigen Menschen innerhalb von 15 Jahren rasant erhöht und soll fast überall bis 2030 weiter steigen, vor allem in ärmeren Ländern. Dabei gebe es vor allem mehr fettleibige Menschen, die einen Body-Mass-Index von über 30 haben, was Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten wahrscheinlicher macht. Traurige Spitzenreiter sind pazifische Inselstaaten wie Amerikanisch-Samoa oder Nauru mit einer Adipositasrate von rund 70 Prozent.

In der Fachwelt ist man sich einig, dass starkes Übergewicht nicht selbst verschuldet ist, sondern dass viele Aspekte, vor allem des modernen Lebens, es schwer machen, Maß zu halten. Dazu zählt etwa, dass Softdrinks und andere hochverarbeitete Lebensmittel teils billiger als gesunde Speisen sind und stark beworben werden, auch adressiert an Kinder. Teils dürfen die Lebensmittel in Schulen verkauft werden.

Darum sei laut World Obesity Federation vor allem die Politik gefragt. Sie hält fünf Hauptmaßnahmen für wirksam: Steuern auf Softdrinks, Steuern auf Lebensmittel, die viel Fett, gesättigtes Fett, Zucker und Salz liefern, Subventionen für gesunde Lebensmittel, Werbebeschränkungen für Kinderlebensmittel sowie Anreize, mehr Sport zu machen. Allerdings hätten zwei Drittel der Länder weltweit entweder keine oder nur eine dieser Maßnahmen ergriffen, klagt die Fachgesellschaft, wobei Einzelmaßnahmen nicht ausreichend seien.

Dass die Politik in vielen Ländern versagt, liegt unter anderem am Einfluss von „Big Food“. Eine Studie der University of Chicago aus 2015 belegte für China und Indien, wie die Lebensmittelindustrie auf immer gleiche Weise agiert, um größere Märkte zu erreichen, etwa indem sie gegen Restriktionen wie die Zuckersteuer lobbyiert, Mitarbeiter der Unternehmen in die Regierung wechseln oder umgekehrt. Das Phänomen wird als „Revolving Doors“ bezeichnet. Auch werden Forschende oder ganze Fachgesellschaften von Big Food mit finanzieller Unterstützung beeinflusst, wie zahlreiche weitere Studien belegen.

Tatsächlich gibt es jedoch Länder, die niedrige Raten haben und denen für die Zukunft auch keine Steigerung prognostiziert wird. Umgekehrt haben Nationen mit mehreren politischen Gegenmaßnahmen weiter steigende und hohe Übergewichtsraten. Woran liegt das? Wir schauen uns die Lage in Mexiko, Indien, Finnland, Frankreich und Deutschland genauer an.

Mexiko: Das Land derCola-Fans

Mexiko ist der größte Softdrinkmarkt weltweit. Bis zu 2,5 Liter Cola, Fanta & Co davon stehen wöchentlich auf dem Speiseplan der Mexicanos. Manche trinken diese Menge sogar an einem Tag. Das hat auch damit zu tun, dass nicht überall sauberes Wasser aus dem Hahn fließt. Cola ist also schlichtweg das sicherere Getränk. Zudem ist in Mexiko die Dichte an Convenience-Läden, die keine frischen Produkte anbieten, besonders hoch. Momentan leiden 2 von 3 Mexikanern an Übergewicht, 30 Prozent an Fettleibigkeit. Im Jahr 2030 sollen es 80 Prozent Übergewichtige sein.

Mexiko wird dennoch gelobt, schließlich hat das Land viele Maßnahmen ergriffen, etwa Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen und bereits 2014 eine Softdrinksteuer von rund 10 Prozent eingeführt. Zwar wurden in der Folge weniger Softdrinks konsumiert, dafür jedoch mehr Fruchtsäfte oder gesüßte Milchgetränke. Dennoch sieht Simón Barquera, Präsident der World Obesity Federation, bereits kleine Erfolge für sein Heimatland: „Die Maßnahmen haben bewirkt, dass sich die Prognosen für die erwarteten Gewichtszunahmen verbessert haben.“ Und: Nach Veröffentlichung des World Obesity Atlas hat die Regierung angekündigt, Junkfood aus Schulkantinen zu verbannen.

Indien: Mehr Geld, schlechtere Ernährung

Zwar haben in Indien mit 40 Prozent relativ wenige Menschen Übergewicht, aber es werden rasante Steigerungen prognostiziert. Und: 2010 waren nur 20 Prozent der Inder übergewichtig, die Zahlen haben sich also in 15 Jahren verdoppelt. Zugleich hat Indien mit 70 Prozent eine hohe Rate von Diabetikern, die nicht adäquat behandelt werden. „Eine schnelle Urbanisierung, ein sitzender Lebensstil, genetische Faktoren sowie eine immer weitere Verbreitung von hoch verarbeiteten Lebensmitteln, die aggressiv vermarktet werden und zunehmend verfügbar sind, sind für die steigenden Raten verantwortlich“, sagt Geeta Appannah, Präsidentin der Malaysian Association for the Study of Obesity.

Allerdings hat das Land durchaus zahlreiche Weichen gestellt. Indien ist eines von 6 Ländern, das 11 oder mehr der 13 sogenannten Preparedness-Faktoren umgesetzt hat. Das sind Maßnahmen, die ein Land gegen zu hohe Übergewichtsraten wappnen sollen. In Indien gibt es Steuern auf Softdrinks, der Konsum liegt extrem niedrig, bei weniger als 100 Milliliter pro Woche. Es fehlen jedoch finanzielle Anreize, um Sport zu fördern. 40 bis 50 Prozent der Inder bewegen sich nicht ausreichend, in Deutschland sind es nur 10 bis 20 Prozent.

Finnland: Die strebsamen Skandinavier

Das skandinavische Land befindet sich seit Jahren auf einem hohen Niveau, was Übergewicht anbelangt. Im Durchschnitt sind es derzeit 68 Prozent Übergewichtige und 34 Prozent fettleibige Menschen. Bei Männern gehen die Raten laut dem World Obesity Atlas seit 2010 leicht zurück, während sie bei Frauen moderat ansteigen. Tatsächlich ist Finnland ein Vorzeigeland, was Maßnahmen gegen krankhaftes Übergewicht angeht. Dort wurden 11 oder mehr der 13 „Preparedness-Faktoren“ umgesetzt. So gibt es etwa langfristige Maßnahmen wie eine gesunde Mittagsverpflegung in Schulen und in Unternehmen. Allerdings fehlen in Finnland die Subventionierung gesunder Lebensmittel sowie Anreize für mehr Sport. Trotzdem sind mehr als 90 Prozent der Finnen ausreichend sportlich unterwegs. Zudem sind die Diabetiker in Finnland sehr gut versorgt, mehr als 70 Prozent erhalten ausreichende medizinische Hilfe. „Aber der Umgang mit der Adipositas-Epidemie erfordert hier wie überall mehr Aufklärung und Ressourcen“, sagt Tomu-Pekka Toumainen, Epidemiologe an der University of Eastern Finland.

Finnland hat schon einmal bewiesen, dass es erfolgreich Public-Health-Projekte umsetzen kann. So wurde im Nordkarelienprojekt von 1977 bis 1997 dem Cholesterin, dem Salz und dem Rauchen der Kampf angesagt, da es um die Herzgesundheit der Finnen sehr schlecht bestellt war. Die Raten konnten eindrücklich gesenkt werden: Die koronare Sterblichkeit nahm von 1977 bis 2012 um 85 Prozent ab.

Frankreich: Speisen wie die Götter

„Urbanisierung, ein sitzender Lebensstil, genetische Faktoren sowie hoch verar­beitete Lebensmittel sind für die steigenden Raten verantwortlich“

Geeta Appannah, Wissenschaftlerin

Die Franzosen haben vergleichsweise geringe Übergewichtsraten von 45 Prozent. Zwar fehlen in Frankreich Umfragen, um die Zahlen für Übergewicht oder sportliche Betätigung zu überwachen, sowie Subventionen, um Frischkost günstiger zu machen. Aber: „Schon im Jahr 2012 wurde eine Softdrinksteuer eingeführt, und seit 2005 gibt es in Frankreich keine Softdrink- und Snackautomaten an öffentlichen Schulen mehr“, sagt Peter von Philipsborn, Public-Health-Wissenschaftler an der LMU München. Eine Rolle spielt möglicherweise auch die schmackhafte französische Küche, die es offenbar doch noch gibt, entgegen anderslautenden Behauptungen. „Traditionell wird in Frankreich viel Wert auf gemeinsame Mahlzeiten und qualitativ hochwertiges Essen gelegt, mit eher kleinen Portionsgrößen“, sagt Philipsborn. So hat eine französische Studie aus dem Jahr 2018 gezeigt, dass Menschen, die traditionelle Essensmuster mit Hauptmahlzeiten und mehreren Gängen einhielten, tendenziell schlanker waren. „Softdrinks, Fastfood und Snacks zwischendurch und unterwegs sind auch weniger verbreitet als in vielen anderen Ländern“, so der Münchner Wissenschaftler. „Und die Qualität der Kita- und Schulverpflegung gilt als besser als zum Beispiel in Deutschland.“

Deutschland: Es lebe die Currywurst!

Weltweit betrachtet liegt Deutschland mit 30 Prozent etwa im Mittelfeld, was Adipositas anbelangt. Übergewichtig sind hierzulande 2 von 3 Personen. „Das ist zu viel“, sagt LMU-Wissenschaftler Philipsborn. Tendenziell sollen die Zahlen zwar stagnieren, dennoch ist sich die Fachwelt einig, dass etwas getan werden muss, damit die Bundesbürger wieder schlanker werden. Gründe für die hohen Zahlen sind einerseits zu wenig Bewegung. Andererseits wird immer seltener gemeinsam und zu den Hauptmahlzeiten gegessen, dafür mehr gesnackt. Und der Snack ist dann nicht Apfel oder Joghurt, sondern Currywurst oder Torte.

Peter von Philipsborn sieht wie die World Obesity Federation bei politischen Maßnahmen Nachholbedarf. „Es fehlt eine Regulierung von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Produkte, zudem eine Mehrwertsteuerbefreiung zum Beispiel für Obst und Gemüse sowie höhere Steuern auf weniger gesunde Lebensmittel.“ Die Grünen hatten in der Ampelkoalition noch versucht, ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel einzuführen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Philipsborn weiter: Auch sollte es mehr Bewegungsangebote in Kitas und Schulen geben, und eine stärkere Förderung von Freizeitsport und von Fahrrad- und Fußgängerverkehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen