piwik no script img

Buch über Putins RhetorikEin Mann, ein Wort, ein Krieg

Der Literaturwissenschaftler Riccardo Nicolosi analysiert Putins Rhetorik und gibt Einblick in die ideologische Verfasstheit Russlands.

Putin hält eine Rede während einer Sitzung des Vorstands des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB in Moskau Foto: Alexander Kazakov/SNA/imago

Man kann diesem Autor nur eines vorwerfen: Sein Buch kommt zu spät. Ein früheres Erscheinen hätte all die müßigen wie intellektuell dürftigen Diskussionen zur Frage „Was will Putin?“ mindestens bereichern, wenn nicht ganz ersetzen können. Denn, so darf man Riccardo Nicolosis Ausführungen verstehen: Was Putin will, ist kein Geheimnis, sondern deckt sich in der Regel ganz simpel mit dem, was er kommuniziert. In „Putins Kriegsrhetorik“ analysiert der Professor für Slawische Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Reihe von Reden des russischen Präsidenten und liefert so nicht nur ein geopolitisches Programm Wladimir Putins, sondern auch Einblicke in die ideologische Verfasstheit der russischen Gesellschaft.

Putin sei zwar kein versierter Redner und tue sich schwer damit, Menschenmengen zu begeistern. Was er mitteile, habe gleichwohl größtes Gewicht, da es den Rahmen dessen abstecke, was wie gesagt werden soll und darf. Der Begriff „militärische Spezialoperation“ ist hierfür ein gutes Beispiel. Warum diese Bezeichnung? Ein Grund bestehe darin, dass eine Spezialoperation anders als ein Krieg nicht gewonnen, sondern nur erfolgreich abgeschlossen werden müsse, womit sich Putin rhetorisch Spielraum für verschiedene Ausgänge verschaffe.

Ein anderer, womöglich noch wichtigerer Grund besteht laut Nicolosi darin, dass der Begriff die „Vorstellung eines Einsatzes staatlicher Gewaltapparate für die Wiederherstellung der Ordnung in einer ‚inneren Angelegenheit‘“ evoziert. Einen Krieg kann man nur gegen ein anderes Land führen, womit man dessen Souveränität in gewisser Weise bestätigen würde. Ein wesentlicher Bestandteil der Kriegsrhetorik Putins besteht aber genau darin, die Eigenständigkeit der Ukraine zu bestreiten.

Diese Art der Kommunikation wendet sich an die eigene Bevölkerung, sie ist aber nur einer von mehreren Modi, in denen Putin öffentlich kommuniziert. So wende er sich immer wieder drohend an den Westen, der bei ihm interessanterweise nicht gleichbedeutend ist mit der Nato, der USA oder der EU. Diese Offenheit gibt ihm die Gelegenheit, weite historische Bögen zu schlagen und letztlich zu einem Szenario zu kommen, in dem ebendieser diffuse Westen als argumentativer Pappkamerad stets Russland zu erobern versucht, sei es nun in Gestalt Polens zu Beginn des 17. Jahrhunderts, Napoleons zu Beginn des 19., Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg oder der Nato seit den neunziger Jahren.

Putin gibt den antikolonialen Kämpfer

In Putins Reden erscheint Russland so als geduldiger friedliebender Staat, der beständig von seinen westlichen Nachbarn gereizt wird, bis endlich das Maß voll ist. Diese Botschaft mag sowohl in gewissen politischen Kreisen in Europa verfangen als auch in weiten Teilen der Weltgemeinschaft, die ihrerseits ihre Probleme mit der westlichen Dominanz haben. Nicolosi verweist auf die vielen Versuche Putins, sich rhetorisch als antikolonialer Kämpfer zu stilisieren und dem Globalen Süden als Führungsfigur anzudienen.

Riccardo Nicolosi: „Putins Kriegsrhetorik“. Konstanz University Press, Göttingen 2025, 191 Seiten, 20 Euro

Antikolonial? Ausgerechnet Putins Russland, dessen Einmarsch in der Ukraine unter dem Stichwort Neoimperialismus diskutiert wird? Aus ukrai­nischer und europäischer Perspektive wirkt das zynisch, doch dürfte diese Argumentation ein Grund dafür sein, dass der Versuch einer internationalen Isolierung Putins nicht geglückt ist. Dessen Ambitionen im Globalen Süden könnten aber auch eine Chance bergen. Wenn Russland tatsächlich als antikolo­nia­le Macht, mithin als Alliierter der vom Westen Entrechteten, erscheinen will, dann ist es an Europa, bessere Argumente vorzubringen. Die Lektüre dieses Buchs dürfte sich also gerade dieser Tage auch für Diplomatinnen und Diplomaten lohnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare