
E-Mobilität in Europa: Voll geladen ins E-Paradies
2.500 Kilometer, fünf Länder und eine Matratze im Kofferraum: Unser Autor wagt den ganz großen Roadtrip: im Elektroauto bis Portugal.
I st es nur das schöne Wetter oder bin ich im Elektro-Paradies? Zwei Cent pro Minute: So viel kostet es, in Portugal ein Elektroauto zu laden. Steht jedenfalls an der Ladestation. Rechnet man die Startgebühr von 30 Cent hinzu, würde eine halbe Stunde an der Strom-Tanke genau 90 Cent kosten. WHAT?! In Deutschland müsste man eher mit 20 Euro rechnen.
Ich stehe vor einem Supermarkt in Aljezur im Südwesten Portugals. Blauer Himmel, 17 Grad, kühle Atlantikbrise. Ein paar Einheimische schlendern vorbei, erkennbar an ihren Chinohosen und sorgsam gebügelten Hemden. Die Touris sehen anders aus. Da wäre das junge Surfer-Paar aus den Niederlanden, das seinen Nachwuchs im Wickeltuch umherträgt. Die britischen Teenies, die mit Mopeds über den Parkplatz knattern. Die französischen Backpacker, die mit staubigen Hoodies vorm Waschsalon warten.
Und da bin ich, der verrückte Deutsche, der 2.500 Kilometer im Elektroauto gefahren ist, um ans andere Ende Europas zu kommen. Ich fühle mich wie ein Pionier, als ich das Stromkabel zum ersten Mal in eine portugiesische Ladesäule stecke. Zwei Cent pro Minute, halleluja! Das Display beginnt zu blinken, ein Mechanismus knackt, gleich wird der Strom fließen. Dann passiert – nichts. „Error“ steht auf dem kleinen Bildschirm. Meine deutsche Ladekarte wird nicht erkannt, die Handy-App streikt. Wie Geier kreisen die Teenies mit ihren Mopeds um mich: Guck mal, der Depp im E-Auto! Mein Optimismus bröckelt. Akkustand: 15 Prozent.
Kriege ich das Ding noch in Betrieb? Oder gestaltet sich mein Elektro-Roadtrip vielleicht doch nicht so entspannt, wie ich mir das vorgestellt habe? Es wird nicht die einzige Überraschung auf dieser Reise bleiben.
Deutsche Elektro-Skepsis
Eine Woche zuvor. „Willst du dir das wirklich antun?“, fragt meine Mutter, die Sorgen stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Im Freundeskreis stößt meine Reise schon eher auf Zustimmung. Zumindest solange, bis ich erwähne, dass ich mit einem Elektro-Auto fahre.
Dann sind sie ebenfalls da, die Sorgenfalten, die Seufzer, die verzogenen Mundwinkel. In Deutschland gibt’s ja schon zu wenige Ladesäulen – wie soll das erst im Ausland werden? Schafft der Akku das überhaupt? Und muss ich auf der Fahrt nicht ständig anhalten? „Dann brauchst du ja zehn Stunden nur fürs Laden“, warnt mich mein Vater. Nur ein Freund ist wirklich begeistert. Er fährt selbst ein E-Auto.
Die Reaktionen passen zur allgemeinen Stimmung. Viele Deutsche machen um Elektroautos einen so großen Bogen, als würde man schon bei ihrem Anblick einen Stromschlag bekommen. Zwar steigen die Verkaufszahlen seit diesem Jahr wieder an. Von Vorreiterländern wie Norwegen, wo nahezu jedes neue Auto eine Batterie hat, trennen die Bundesrepublik aber Welten. Auch Portugal macht es besser: Im Dezember 2024 waren dort bereits 25 Prozent aller neu zugelassenen Pkw rein elektrisch. In Deutschland waren es 13,5 Prozent.
Seit fünf Jahren fahre ich selbst elektrisch. Obwohl ich in meiner Mietwohnung keinen eigenen Stromanschluss habe, bin ich noch nie mit leerem Akku liegen geblieben. Auch nach Frankreich und Kroatien ging es schon in den Urlaub.
Vorbereitung ist alles
Aber Portugal? Das ist noch mal eine andere Nummer. Selbst an mir geht die berühmt-berüchtigte Reichweitenangst („Reicht der Akku bis zur nächsten Strom-Tankstelle?“) nicht komplett vorbei. Doch wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich nie wissen, ob es funktioniert. Oder ob doch diejenigen recht haben, für die ein Auto nur dann ein echtes Auto ist, wenn unten ein Auspuff dranhängt.
Um keine bösen Überraschungen zu erleben, klemme ich drei Ladekarten verschiedener Anbieter hinter die Sonnenblende. Die hält man ans Lesegerät einer Ladestation, um sie zu starten, in etwa so, als wolle man an der Supermarktkasse bezahlen. Aber klappt das auch in Portugal?

Beispiel EnBW: Der deutsche Marktführer bietet laut eigenen Angaben über 700.000 Ladepunkte in Europa an. In der App sind sie als grüne Tropfen auf einer Landkarte erkennbar. In Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien liegen die Tropfen so nah beieinander, dass die App sie als blaue Punkte gruppiert. In Portugal hingegen bleibt die Landkarte grau. Keine Tropfen, keine Punkte, kein Strom. Aber egal, irgendwie wird es schon gehen.
Ansonsten im Gepäck: zwei Ladekabel (eins für normale Ladestationen, eins für 220-Volt-Haushaltssteckdosen), diverse Straßenkarten, genügend Verpflegung und viele Hörbücher. Außerdem eine Koffermatratze, die auf dem umgeklappten Rücksitz liegt. Zwar plane ich in Frankreich und Spanien jeweils einen Zwischenstopp im Hotel ein.
Hält die Batterie durch?
Für die Ladepause zwischendurch schadet eine zusätzliche Schlafstätte aber sicher nicht. Meine Mitfahrerin spricht da aus Erfahrung: Sie hat vier Beine, einen eigenen Sicherheitsgurt und ein Hundebett, in dem sie stundenlang schnarcht. Ein weiterer Grund, warum ich bei Reisen aufs Flugzeug verzichte.
Als alles verstaut ist, setze ich mich an den PC. Reichweiten-Angst – ich? Niemals! Trotzdem schaue ich mir die Strecke noch einmal an, muss ja niemand wissen. Mein Auto, ein Hyundai Kona aus dem Jahr 2021, kommt auf dem Papier 484 Kilometer weit. Obendrein schreibt die EU vor, dass bis Ende 2025 spätestens alle 60 Kilometer eine Schnellladestation entlang der Autobahnen stehen muss.
Beides völlig ausreichend, wären da nicht zwei Kleinigkeiten: Erstens ist das Jahresende noch nicht erreicht. Zweitens schrumpft die Reichweite von E-Autos bei Kälte, weil ein großer Teil der Stromproduktion dann für die Heizung draufgeht. In den Pyrenäen, in denen es selbst im Frühjahr gerne mal schneit, ist also Vorsicht angesagt.
Der Blick in den Online-Routenplaner vertreibt alle Sorgen: viele Raststätten, viele grüne Punkte. Die Landkarte stimmt mich sogar so optimistisch, dass ich mutig werde – oder leichtsinnig, das wird sich noch zeigen. Ich beschließe, mich bei der Hinfahrt auf die Ladestationen eines einzigen Anbieters zu beschränken. Dann kann ich unterwegs zwar viele Stromquellen nicht ansteuern, muss aber auch deutlich weniger bezahlen. Nutzt man nämlich nur einen Anbieter, fallen keine Roaminggebühren bei Fremdfirmen an (ja, die gibt es im Kfz-Bereich immer noch, genau wie früher beim Telefonieren).
Erster Halt: Ladesäule blockiert
Grauer Himmel, Dauerregen, Baustellen: Am Tag meiner Abreise spüre ich einmal mehr, warum ich hier weg will. Auf der Autobahn klebt ein Lkw am anderen, die Fahrbahn ist so schlecht, dass sich Pfützen in Schlaglöchern sammeln. Der Regen übertönt alles: das Surren des Elektromotors, die Reifengeräusche und natürlich auch meine Podcasts. Nur der Beifahrerin gefällt’s. Das Ruckeln wiegt sie in den siebten Hundehimmel.
250 Kilometer später: erste Strom-Pause, Raststätte Le Rœulx, Belgien. Hier hat der Anbieter Ionity sechs Ladesäulen aufgestellt. Ionity ist ein Netzwerk, das die Autoindustrie in Europa aufgebaut hat. Der ehemalige VW-Chef Herbert Diess hat Ionity auf LinkedIn einmal als „traurige Angelegenheit“ bezeichnet. „Kein WC, kein Kaffee, eine Säule außer Betrieb/defekt“, schimpfte Diess, weil sein Ladestopp in Norditalien nicht so lief, wie sich der Konzernboss das vorgestellt hatte. Das war 2021. Hat Ionity vier Jahre später dazugelernt?
Als Erstes fällt der kleine „Lade-Stau“ auf, der sich vor der Strom-Tanke gebildet hat. Drei E-Autos warten, weil ein Baustellenfahrzeug eine Ladesäule blockiert. Anders als Herbert Diess greife ich deswegen aber nicht zum Smartphone, sondern zum Lenkrad. Mit ein wenig Rangierarbeit gelingt es, die blockierte Ladesäule doch noch anzusteuern. Das Hinterteil meines Autos ragt halb auf den Parkplatz, doch der Stecker steckt. Noch kurz den QR-Code scannen, schon fließt der Strom. Ladevorgang gestartet, erste Hürde gemeistert!
45 Minuten und eine Gassirunde später rolle ich wieder über die Autobahn, Akkustand: 90 Prozent. Meine Lade-Methode ist aufgegangen: Durch das Abo bei Ionity (7,99 Euro Grundgebühr) musste ich nur 39 Cent pro Kilowattstunde bezahlen, das ist Hausstrom-Niveau. Hätte ich via Roaming über andere Anbieter geladen, wäre ich locker auf den doppelten Preis gekommen. In Spanien reduziert sich der Preis auf 37 Cent pro Kilowattstunde, in Frankreich sogar auf 33 Cent. Billiger französischer Atomstrom? Auch das ist mein erster Gedanke. Ionity hingegen beteuert, man nutze ausschließlich Ökostrom.
Urlaubsgefühl pro Kilometer: wachsend
Teuer wird es erst in Paris. 45 Euro, um genau zu sein, aber das erfahre ich erst vier Wochen später nach meiner Rückkehr. Als sich der Stau um die französische Hauptstadt nach zwei Stunden endlich auflöst, trete ich ein wenig zu beherzt aufs Strompedal. 97 km/h in einer Tempo-90-Zone, die französischen Behörden verstehen da keinen Spaß, ganz gleich, ob man fossil oder elektrisch fährt. Immerhin ist das Knöllchen bürgerfreundlich: Es kommt komplett auf Deutsch, inklusive Rückumschlag, zahlbar per Überweisung, Kreditkarte oder Scheck.
Je weiter es gen Süden geht, desto klarer wird der Himmel. Ist es meine Einbildung oder weht ein lauer Urlaubswind über den Parkplatz, als ich in Tours La Longue pausiere? Allmählich wird es dunkel, in der Ferne rauscht ein TGV vorbei, die Ladestation taucht die Umgebung in pinkfarbenes Licht. Nur kurz die Augen zumachen, denke ich, während ich auf meine Matratze klettere …
Als ich die Augen wieder aufmache, ist es draußen stockdunkel. Der Hund schaut mich erwartungsvoll an, der Batteriestand liegt bei 100 Prozent. Aus dem kurzen Nickerchen ist über eine Stunde geworden – das Elektroauto macht kürzer Pause als ich. Eigentlich hatte ich nur drei Ladestopps pro Tag geplant. Der vierte kommt kurzerhand hinzu, weil es am Zielhotel keine Ladestation gibt. So kann ich am nächsten Morgen mit halbwegs vollem Akku weiterfahren.
Um 22 Uhr komme ich an meinem ersten Übernachtungsort an: Fontaine-le-Comte, eine Kleinstadt mitten in Frankreich. „Bon soir, mon ami“, ruft die Rezeptionistin – sie meint nicht etwa mich, sondern den Hund. Doch ami hin oder her, spätestens an der Kasse endet die Freundschaft: 30 Euro zusätzlich sind für den Vierbeiner fällig, mehr als für eine Batteriefüllung.
Spanien: grün außen, grün innen
Der nächste Tag zeigt sich von seiner frühlingshaften Seite. Schon in Frankreich zwitschern die Vögel, ab Spanien tragen die Bäume Blätter. Die Raststätten sind groß wie Parks, jetzt, in der Nebensaison, aber völlig verwaist. Im Shop bin ich manchmal der einzige Kunde, eine Stimmung wie im Zombiefilm. Nur meine Kreditkarte ist an den Mautstellen ständig in Gebrauch: Hier ein Autobahnabschnitt für 11,60 Euro, da einer für 2,80 Euro, dann wieder 16,20 Euro. Eigentlich genau wie beim Laden.
Ginge es nach der Ionity-App, müsste ich noch öfter pausieren. Gleich fünf Ladestopps pro Tag empfiehlt der Routenplaner, deutlich mehr als nötig. Liegt es am Höhenprofil, das die App berücksichtigt? Am fehlenden Vertrauen in die Elektromobilität? Oder verwechselt Ionity mich mit einem Porsche-Fahrer? Ich jedenfalls ignoriere die gut gemeinten Ratschläge und steuere nur die Ladestationen an, die ich mir vorher rausgesucht habe.
In der nordspanischen Uni-Stadt Valladolid, meinem zweiten Übernachtungsort, gibt’s Strom direkt am Hotel und das sogar kostenlos. Gleich acht Ladestationen stehen zur Verfügung, genutzt werden sie nicht nur von Gästen, sondern auch von elektrischen Lieferfahrzeugen aus dem benachbarten Industriegebiet. Direkt dahinter, am Zaun, leuchtet ein großes Plakat, das einen elektrischen Kleinwagen bewirbt. Startet die Elektromobilität in Spanien so richtig durch? Gut möglich. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur müde.
Kaum in Portugal angekommen, muss ich direkt wieder anhalten. Keine Grenzkontrolle, sondern ein sogenannter „Welcome Point“ erwartet mich an der Autobahn. An diesem Bezahlterminal soll man sich für die elektronische Maut anmelden, genannt „Easy Toll“. Doch ganz so easy ist das System leider nicht. Als die erste Mautstelle in Sicht kommt, offenbaren sich zehn Spuren mit unterschiedlichen Symbolen: Kreditkarte, Bargeld, „Via Verde“. Ist Letztere das Gleiche wie „Easy Toll“?
Komplikationen in Portugal
Fragen kann man niemanden, weil alles automatisch läuft. Erst 50 Kilometer später, als ich auf einem Parkplatz einen Autobahn-Arbeiter treffe, klärt sich die Sache. Natürlich war ich auf der falschen Spur unterwegs. Das Knöllchen kommt bestimmt noch.
Auch beim Stromtanken wird es kompliziert. Die Ionity-App weigert sich partout, die eigenen Ladestationen zu starten. Stattdessen muss ich einen QR-Code scannen und meine Kreditkartennummer hinterlegen. 50 Euro werden daraufhin pauschal geblockt, es gibt weder eine Rechnung noch eine Info darüber, wie viel die Kilowattstunde kostet. Dass das der EU-Verordnung 2023/1804 widerspricht, nützt mir in diesem Moment wenig. Es liege an „regulatorischen Einschränkungen“, erklärt mir die Ionity-Pressestelle später. Man arbeite mit Hochdruck an einer Lösung; noch in diesem Jahr solle sich das „Ladeerlebnis“ verbessern.
Vorm Supermarkt in Aljezur das gleiche Spiel. Zwei Cent pro Minute? Schön wär’s. Ich kann die Ladesäule nicht mal starten. Nachdem ich zehn Minuten mit meinem Handy hantiert habe, hat ein Tesla-Fahrer schließlich Erbarmen. „Du brauchst die Miio-App“, erklärt er mir. Die würden alle Ausländer in Portugal nutzen. „Ist aber ein Prepaid-System“, sagt er noch. „Wenn du nicht genug Geld drauf hast, bricht der Ladevorgang sofort ab. Und wundere dich nicht, wenn sich die Preise ändern. Die richten sich immer nach der Uhrzeit.“
Dann weist er mich noch darauf hin, dass mein Hyundai in Portugal nicht Kona, sondern Kauai heißt. Warum, sagt er nicht. Nur ein verlegenes Lächeln, gefolgt von einem Schulterzucken. Erst auf dem Handy lerne ich, was cona im Portugiesischen bedeutet – ein Begriff, den ich aus Jugendschutzgründen lieber nicht übersetze.
Als das Batterie-Lämpchen an meinem Kona/Kauai endlich grün blinkt, atme ich durch. 2.500 Kilometer liegen hinter mir, zwei Übernachtungen und zehn Ladestopps. Stromtarife? Ladekarten? Reichweitenangst? Alles wichtig. Aber jetzt erst mal egal. Ich werfe meinen Pullover in den Kofferraum, leine den Hund an und folge dem Meeresrauschen. Bis zur Rückfahrt.
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