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Hans Rosenthals 100. GeburtstagMehr als in nur ein Leben passt

Am 2. April wäre Hans Rosenthal hundert geworden. Nun ist die Autobiografie neu aufgelegt worden, das ZDF hat einen sehenswerten Spielfilm produziert.

Die Kinder vom berühmten Quiz-Master Hans Rosenthal, Gert Rosenthal und Birgit Hofmann haben beim Drehbuch geholfen Foto: Chris Marxen

An denkwürdigen Augenblicken ist dieses Leben überreich gewesen – oder sind vielmehr diese „Zwei Leben in Deutschland“ gewesen, wie Hans Rosenthal seine Autobiografie nannte, die er 1980 veröffentlichte und die aktuell in einer Neuausgabe zu haben ist.

Zu den eigenartigsten unter den denkwürdigen Momenten zählt unter anderem jener, in dem Rosenthal, als Präsident vom Fußballclub Tennis Borussia Berlin, in der einstigen „Führerloge“ des Olympiastadions ein Fußballspiel verfolgt und sich bewusst macht, dass er denselben Platz einnimmt, der wenige Jahrzehnte zuvor Hitler vorbehalten gewesen ist. „Der würde sich im Grabe umdrehen, dachte ich mir“, schreibt er, „wenn er wüsste, dass auf seinem Platz der kleine Hans Rosenthal sitzt – kaum mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem unrühmlichen Ende.“

Der freundliche Quizmaster von „Dalli Dalli“

Dass der freundliche Quizmaster von „Dalli Dalli“, der mit einer unnachahmlichen Mischung aus Zugewandtheit, Charisma und Spielfreude die Herzen des vereinten Fernsehdeutschlands (und -österreichs) gewonnen hatte, ein jüdischer Überlebender des Holocaust war, wussten die meisten Menschen noch in den siebziger Jahren nicht. – Ihr Vater habe seine jüdische Identität keineswegs verschwiegen, seine Lebensgeschichte aber lange nicht öffentlich thematisiert, erinnern sich seine Kinder, Birgit Hofmann und Gert Rosenthal, beim Gespräch in Gert Rosenthals Berliner Kanzlei mit der taz.

Hans Rosenthal wäre heute 100 Jahre alt

Buch: Hans Rosenthal: „Zwei Leben in Deutschland. Eine jüdisch-deutsche Geschichte.“ Quadriga Verlag, Berlin, 2025, 376 S., 23 Euro

Film: „Rosenthal“, in der ZDF-Mediathek, 93 Minuten

Zu Ehren des 100. Geburtstags ihres 1987 verstorbenen Vaters hat das ZDF, sein Sender, einen Spielfilm produziert, für den sie beratend tätig waren. Birgit Hofmann bekennt, dass für sie persönlich das Drehbuch manche Überraschung enthalten habe, denn von den Geschehnissen im Jahr 1978, auf die der Film fokussiert, habe sie, damals als junge Mutter im Ruhrgebiet lebend, bisher tatsächlich nichts gewusst. Bezeichnenderweise erwähnt ihr Vater den schmerzhaften Konflikt, den er im Herbst 1978 auszuhalten hatte, auch in seiner Autobiografie mit keinem Wort. Er muss viel mit sich selbst ausgemacht haben.

Rosenthal hatte beim Blick auf die mit langem Vorlauf geplanten Sendetermine von „Dalli Dalli“ festgestellt, dass ausgerechnet die als festliches Jubiläum zu begehende 75. Ausgabe der live gesendeten Quiz-Show am 9. November 1978 stattfinden sollte – dem vierzigsten Jahrestag der damals noch so genannten „Reichskristallnacht“. Ein mehr als unglückliches Zusammentreffen, das er nach Kräften zu verhindern versuchte, wie der Film zeigt – und wie auch Sohn Gert sich erinnert, der damals, zwanzig Jahre alt, noch bei den Eltern lebte.

Hans Rosenthal wahrte Contenance

Ja, er habe durchaus den Ärger des Vaters darüber mitbekommen, dass die Show nicht verschoben werden durfte; das ganze Ausmaß dieses Konflikts sei ihm damals aber nicht klar gewesen. Und nach außen hin, so zeigt es der Film und so wird es wohl gewesen sein, wahrte Hans Rosenthal die Contenance und verzichtete darauf, den Aufstand zu proben. – Seltsam eigentlich, er war doch der Star, hätte er sich das nicht leisten können?

Er sei sich wohl keineswegs sicher gewesen, unverzichtbar zu sein, meint Gert Rosenthal, denn schon vorher hatte der Vater einmal erfolglos vesucht, beim ZDF etwas durchzusetzen. – Schließlich begnügt Hans Rosenthal sich für den 9.11.78 damit, die „Dalli Dalli“-Deko und die Musikeinlagen dezent zu entfrivolisieren. Außerdem trägt er zum ersten und einzigen Mal während der Show einen schwarzen Anzug.

Am selben Tag spricht erstmals ein Bundeskanzler bei einer zentralen Gedenkveranstaltung zum 9. November: Es wird ein historisches Datum für die Bundesrepublik. Videobilder von Helmut Schmidt in der Kölner Synagoge werden gezeigt, damals live übertragen im Fernsehen, und im Film sieht ein sichtlich angefasster Hans Rosenthal, großartig gespielt von Florian Lukas, sich Schmidts Ansprache ganz allein in einer Probenpause an.

Im Film wird so manches überspitzt

In einer anderen Filmszene fragt eine Freundin des Sohnes ganz unverblümt, wie Herr Rosenthal denn die Nazizeit überlebt habe. Daraufhin schweigt der Befragte betroffen und wechselt schnell das Thema. – Ist das wirklich so passiert? Gert Rosenthal und Birgit Hofmann lachen ein wenig, dann antwortet er: „Im Film muss man vieles natürlich etwas überspitzt darstellen.

In Wirklichkeit hätte unser Vater eine allgemeine Antwort gegeben wie ‚Ich habe eben großes Glück gehabt‘.“ Seine Schwester ergänzt: „Und dann hat man normalerweise nicht weiter nachgefragt.“ Beide sind sich einig, dass es tatsächlich die Ereignisse um jenen 9. November 1978 gewesen sein müssen, die ihren Vater dazu bewogen, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. „Das Buch war sein Coming-out“, sagt Birgit Hofmann.

Unwillkürlich fragt man sich, wann es wohl eine Serie von dieser unglau­bli­chen Lebens­er­zäh­lung geben wird

In der Autobiografie, die 1980 erschien, stand vieles, was auch seine erwachsenen Kinder zuvor nicht gewusst hatten. Bei der Lektüre fragt man sich unwillkürlich, wann es wohl eine Fernsehserie über diese unglaubliche Lebenserzählung geben wird. Selbstverständlich ist sie „unglaublich“, so wie eigentlich alle Überlebensgeschichten jener Zeit stets „unglaublich“ genannt werden, eben weil jedes Überleben einen unfassbaren Glücksfall bedeutete.

Siebenmal dem Tod entronnen

Siebenmal sei er haarscharf dem sicheren Tod entronnen, schreibt Rosenthal. Viel Zufall war im Spiel. Wäre er ein Jahr jünger gewesen, hätte man ihn mit den Kindern aus dem jüdischen Waisenhaus abtransportiert und ermordet. Auch sein Bruder Gert war dabei, dem zu Ehren Hans Rosenthal später seinen Sohn ebenfalls Gert nannte. Der kleine Bruder wurde nur zehn Jahre alt. Hans, sieben Jahre älter, lebte schon im Wohnheim für jüdische Jugendliche, als das jüdische Waisenhaus auf den „Transport“ geschickt wurde.

Und als dasselbe Schicksal das Jugendheim ereilte und auch die jüdischen Zwangsarbeiter des Berliner Betriebes, in dem er Akkordarbeit leisten musste, deportiert wurden, hatte sein Chef ihn längst zur Arbeit ins mecklenburgische Torgelow geschickt. Dieser Chef, ein SA-Mann, sei „sehr nett“ zu seinen Zwangsarbeitern gewesen, schreibt Rosenthal, und den Wehrmachtssoldaten, der für die Bewachung der Arbeiter zuständig war, charakterisiert er als „Gemütsmensch“.

1943 beschließt er unterzutauchen. Ida Jauch, eine flüchtige Bekannte seiner Großmutter, nimmt ihn in ihrer Gartenlaube in Lichtenberg auf. Tagsüber muss er sich in einem Verschlag hinter dem Häuschen verstecken, nur nachts kann er ins Freie. Als durch einen nahen Bombeneinschlag alle Fenster geborsten sind und NSDAP-Funktionäre vorbeikommen, um den Schaden zu prüfen, entsteht eine hochgefährliche Situation. Unter dem Bett liegend, auf dem die Nazis sitzen, kann „Hansi“ einen drohenden Hustenanfall nur unter äußersten Qualen unterdrücken.

Danach „saß ich bei Frau Jauch am Tisch, schwach und immer noch nicht ansprechbar […]. Diese Minuten hatten mich um Jahre älter gemacht.“ – Tragischerweise stirbt Frau Jauch 1944. Doch Hans findet einen weiteren mutigen Menschen: Die Laubennachbarin Maria Schönebeck versteckt ihn bis zum Ende des Krieges, unterstützt von weiteren Nachbarn, die Lebensmittel mit ihnen teilen. Im Wikipedia-Eintrag über Hans Rosenthal ist zu lesen, dass Ida Jauch 2015 der Titel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen wurde.

Ein erstaunliches Nachkriegsleben

„Bei Frau Schönebeck war das leider nicht möglich“, erklärt Gert Rosenthal, denn die Regularien von Yad Vashem sähen vor, dass die Auszeichnung persönlich an einen Nachkommen der Geehrten übergeben werden muss. Im Fall der Frau Schönebeck habe sich niemand mehr gefunden. Der größere Teil von Hans Rosenthals Autobiografie handelt – es ist ja auch der längere Teil seines Lebens – von seinem ebenfalls sehr erstaunlichen Nachkriegsleben: Den Anfängen im Berliner Rundfunk als Laufbursche für alles, der frühen Heirat mit Traudl Schallon, seinem Wechsel zum Rias und der raschen Karriere in der Unterhaltungssparte.

Traudl Rosenthal muss dem Gatten zuliebe ihre Arbeit im Rundfunk aufgeben, denn er, ganz dem Denken der Zeit entsprechend, will seine Familie – nun, da er endlich selbst für andere sorgen kann – allein ernähren. Die Kinder werden seinem Wunsch entsprechend jüdisch erzogen; mehr oder weniger jedenfalls. Nein, besonders religiös sei der Vater nicht gewesen, sagen beide.

Er habe sich aber in der Gemeinde sehr engagiert, zu den hohen Feiertagen habe er mit seinen Kindern die Synagoge besucht, und beide absolvierten als Jugendliche ihre Bat bzw. Bar Mitzwa. Aber die Mutter war nicht jüdisch, sie habe sich in den Gebräuchen nicht gut ausgekannt, und der Vater musste ja viel unterwegs sein. Wenn er allerdings zu Hause war, sei er immer sehr präsent und ansprechbar gewesen.

Politische Diskussionen hätten sie mit ihm oft bis in die Nacht hinein ausgetragen, erinnern sich beide, „weil er ungern schlafen ging, wenn er der Überzeugung war, dass man seine Ansicht noch nicht teilte“, sagt Sohn Gert. Und Tochter Birgit hebt bis zum heutigen Tag einen Zettel mit einer Nachricht des Vaters auf, die er schrieb, nachdem er den Flyer eines „links angehauchten“ Jugendclubs gefunden hatte, den sie in den sechziger Jahren besuchte: „Dieses Flugblatt geht wirklich zu weit. Ob ich den Club noch gestatte, das muss ich mir überlegen.“ Natürlich ging sie trotz dieser patriarchalen Intervention weiter in den Club. Und den Zettel findet sie auch im Nachhinein immer noch ziemlich witzig.

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2 Kommentare

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  • Wir hätten bei allen kleinen Macken noch viel mehr Hans Rosenthals statt Gehlens und Filbingers gebraucht

    • @Janix:

      Dem ist nichts hinzuzufügen. RIP Hans Rosenthal! Danke!