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Mundtot geklagt

Einschüchterungsklagen gegen Jour­na­lis­t:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen werden als SLAPPs bezeichnet. Eine EU-Richtlinie soll seit vergangenem Jahr besseren Schutz vor solchen Klagen bieten und bis nächstes Jahr in Deutschland umgesetzt werden. Warum ist sie notwendig?

Von Ann-Kathrin Leclère

Was sind SLAPPs?

Gesetze sollen unser Rechtssystem schützen. So ist es wichtig, dass eine Person, über die in der Zeitung berichtet wird, sie habe keine Steuern gezahlt, obwohl sie tatsächlich Steuern gezahlt hat, sich juristisch wehren kann. Doch Gesetze können auch missbraucht werden – etwa, um Menschen anzugreifen, die Missstände aufdecken. Eine Form dieses Missbrauchs sind SLAPPs oder in lang „Strategic Lawsuits against Public Participation“. Diese strategischen Klagen sind nicht zufällig an das englische Wort „to slap“ (Ohrfeige) angelehnt: Die Klä­ge­r:in­nen nutzen sie gezielt, um Kri­ti­ke­r:in­nen mundtot zu machen. Solche Verfahren können unterschiedliche Tatbestände umfassen, darunter Abmahnungen, Vorwürfe der Ruf­schädigung oder Verstöße gegen Datenschutzrechte. Oft geht es gar nicht darum, zu gewinnen, sondern die Betroffenen mit hohen Schadensersatzforderungen finanziell und psychisch unter Druck zu setzen. Das Ziel: Einschüchterung und Abschreckung vor künftiger Meinungsäußerung. Deshalb nennt man sie in Deutschland auch Einschüchterungsklagen.

Wer wird geslappt?

SLAPP-Klagen haben oft eines gemeinsam: ein starkes Machtgefälle zwischen Klä­ge­r:in­nen und Betroffenen. Betroffen sind häufig (einzelne) Jour­na­list:in­nen, Ak­ti­vis­t:in­nen oder Wis­sen­schaft­le­r:in­nen – Menschen, die meist weder finanzielle Rücklagen noch eine spezialisierte Rechtsabteilung haben, um sich zu wehren. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen mit großen Budgets, Konzerne oder staatliche Akteur:innen. Während SLAPPs in den USA ein bekanntes Problem sind, erlangten sie in Europa erst 2017 größere Aufmerksamkeit. In diesem Jahr wurde die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Sie hatte Korruption in Unternehmen und der maltesischen Regierung kritisiert und war zu Lebzeiten bedroht worden. Nach ihrem Tod stellten ihre Angehörigen fest, dass noch 47 Einschüchterungsklagen gegen sie offen waren, und sie setzen sich seitdem für einen besseren Schutz vor solchen Klagen vor dem Europäischen Parlament ein.

Und in Deutschland?

Auch hier gibt es zahlreiche Fälle. Besonders aktiv ist beispielsweise die Adelsfamilie der Hohenzollern, die in Streitigkeiten über Entschädigungszahlungen für nach 1945 enteignete Besitztümer mehrfach Jour­nalist:in­nen, His­to­ri­ke­r:innen und die Gewerkschaft ver.di verklagt hat. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Fall des Aktionskünstlers Tobias Rosswog. Gegen ihn reichten VW und Wolfgang Porsche persönlich Klage ein, weil er im Impressum einer satirischen Website über das Unternehmen stand. Der Medienanwalt Christian Schertz forderte in einer Klage zunächst 350.000 Euro. Beide Klagen wurden aber zurückgezogen.

Welche Hilfe gibt es

für Betroffene?

Für Opfer solcher Klagen gibt es bisher kaum offizielle Unterstützung. Viele scheuen die Kosten langwieriger Verfahren und einigen sich lieber außergerichtlich

Für Opfer solcher Klagen gibt es bisher kaum offizielle Unterstützung. Viele scheuen die Kosten langwieriger Verfahren und einigen sich lieber außergerichtlich. Mittlerweile gibt es einige Organisationen, die sich für den Rechtsschutz von Betroffenen einsetzen, etwa die Daphne Caruana Galizia Foundation oder die Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE). In Deutschland wurde 2024 von FragDenStaat 2024 für Opfer solcher Klagen und auch anderen Bedrohungen, die gerichtlich ausgefochten werden müssen, ein Fonds eingerichtet. Und 2025 gründete sich das No-SLAPP-Bündnis mit Part­ne­r:in­nen wie Reporter ohne Grenzen oder dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV).

Wird es schlimmer?

Viele sagen Ja. CASE veröffentlichte 2023 einen Bericht, der 570 Missbrauchsklagen von 2010 bis 2022 in Europa untersuchte. Das Ergebnis: Die Zahl dieser Klagen steigt stetig, mit einem Höchststand im Jahr 2020. Besonders betroffen war im Untersuchungszeitraum Polen. Auch andere Institutionen wie die European Federation of Journalists, der Europäische Rat und das No-SLAPP-Bündnis bestätigen diesen Trend. Eine aktuelle Befragung der Otto-Brenner-Stiftung unter 227 Jour­na­lis­t:in­nen ergab: 116 von ihnen haben persönliche Erfahrung mit Einschüchterungsversuchen, 50 berichteten von Klagen gegen sie. Auch die taz oder einzelne Jour­na­lis­t:in­nen, die für die taz schreiben, sind Zielscheibe von solchen Klagen. Selbst wenn man dann gewinnt, ist man hohen Verfahrenskosten ausgesetzt. Klä­ge­r:in­nen erhoffen sich zudem eine Signalwirkung: Wenn eine Person angeklagt wird, weil sie etwa ein bestimmtes Unternehmen kritisiert, wird sich die nächste Person dreimal überlegen, ob sie über den Fall berichten will, so die Überlegung. Nehmen Klagen mit einer solchen Absicht zu, ist das eine Gefahr für die Demokratie und freie Meinungsäußerung. Das Problem ist nur, so richtig messen kann man die Zunahme nicht, eben gerade, weil SLAPPs (noch) kein fester Bestandteil des Rechtssystems sind. Vielmehr geht es ja um die missbräuchliche Verwendung von bestehenden Klagen. Dadurch sind sie schwer wissenschaftlich zu erfassen und juristisch anzugreifen.

Wie kann die Situation

verbessert werden?

Die EU-Richtlinie gegen SLAPPs, die im November 2024 in Kraft trat, ist ein Meilenstein. Sie legt erstmals Regeln dafür fest, welche Klagen als SLAPPs gelten und wie Gerichte mit ihnen umgehen können. Ein zentrales Element: Verfahren können frühzeitig abgewiesen werden, wenn sie als missbräuchlich oder unbegründet eingestuft werden. Zudem sollen Sanktionen für Klä­ge­r:in­nen verhängt werden, die SLAPPs gezielt als Einschüchterungsmittel einsetzen.

Durch SLAPP-Klagen wollen Mächtige Jour­na­lis­t*in­nen zum Schweigen bringen Foto: Thomas Eisenhuth/picture alliance

Wo greift die EU-Richtlinie?

Die Richtlinie erfasst nicht alle SLAPPs, sondern nur sogenannte grenzüberschreitende Fälle. Dazu gehört etwa eine Klage, wenn ein Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland eine Journalistin in Slowenien verklagen will. Die Definition ist weit gefasst: Auch Themen von internationaler Relevanz, wie ein Korruptionsskandal oder online verbreitete Inhalte, können darunterfallen. Organisationen wie CASE und Reporter ohne Grenzen fürchten jedoch, dass die Richtlinie in den EU-Mitgliedstaaten nicht konsequent umgesetzt wird. Deutschland muss sie bis Mai 2026 in nationales Recht überführen.

Was muss jetzt passieren?

Die Rechtswissenschaftlerin Stefanie Egidy, Autorin der OBS-Studie zu SLAPPs, fordert, dass der Gesetzgeber den Schutz vor SLAPPs in Deutschland sofort umsetzt. Sie plädiert für schnellere Verfahren und eine finanzielle Absicherung der Betroffenen. Zudem sollten klare Sanktionen für Klä­ge­r:in­nen verhängt werden, die Einschüchterungsklagen missbräuchlich einsetzen.

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