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Ihre Grausamkeit und die unsere

Der Fall des gekidnappten Palästinensers Mahmoud Khalil zeigt, wie sich Trump in den USA über den Rechtsstaat hinwegsetzt. Doch auch CDU und SPD haben düstere Pläne

Protest an der Columbia University nach der Verhaftung von Mahmoud Khalil, 10. März 2025 Foto: Jeenah Moon/reuters

Von Leon Holly

Am 8. März entführte die Trump-Regierung in den USA den Palästinenser Mahmoud Khalil. Beamte des Department of Homeland Security nahmen den Studenten auf dem Campus der Columbia University fest, fixierten ihn in Handschellen und fuhren ihn mit einem nicht gekennzeichneten Auto fort. Gegen Khalil, der ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat, liegt keine Anklage vor, die Beamten hatten auch keinen Haftbefehl. Die Regierung will an ihm ein Exempel statuieren und ihn am Rechtsstaat vorbei abschieben, weil er auf dem Campus gegen Israels Krieg in Gaza demonstriert hat.

Gruselig, was der Trump da wieder macht. So oder so ähnlich lauten die Reaktionen in Deutschland, wenn die US-­Regierung täglich aufs Neue ihre Verachtung der Freiheitsrechte der Verfassung demonstriert. Gut, dass wir in Deutschland noch nicht so weit sind, dass die AfD hier noch nicht an der Regierung ist.

Aber braucht es dafür überhaupt die AfD? Am selben Tag, als Mahmoud Khalil in New York gekidnappt wurde, stellten Po­li­ti­ker:in­nen von Union und SPD in Berlin ihr Sondierungspapier für die Koalitionsverhandlungen vor. Darin steht, man wolle prüfen, ob man „Terrorunterstützern, Antisemiten und Ex­tre­misten“ die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen könne, so sie denn eine weitere be­sitzen.

Mit diesen Schlagworten klingen die CDU und SPD in etwa wie Trump, der auf einer Kundgebung vor seiner Wahl im Oktober tönte, er werde die Visa von „radikalen, antiamerikanischen und antisemitischen Ausländern“ an Universitäten annullieren und sie „direkt nach Hause schicken“. Nur, dass die freundlichen Parteien der bürgerlichen Mitte in Deutschland nicht allein auf die bösen Ausländer zielen, sondern einen Schritt weiter gehen. Sie wollen sogar die Tür für ein Zweiklassensystem der Staatsbürgerschaft öffnen – eine Forderung direkt aus dem AfD-Playbook. Hier gibt es dann auf der einen Seite die waschechten Deutschen, die mit den deutschen Eltern und Großeltern, die nur einen Pass haben (wie übersichtlich). Und auf der anderen Seite die suspekten Doppelstaatler, allermeist mit ­Migrationsgeschichte, die immer nur Deutsche auf Probe bleiben.

Es ist keine Überraschung, dass dieser Angriff auf die Gleichheit aller Deutschen im Gewand der Antisemitismusbekämpfung daherkommt. Die Radikalisierung der Mitte reicht dabei weit vor den Hamas-­Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 zurück. 2019 brachte die AfD eine Resolution in den Bundestag ein, die ein Verbot der Israelboykottbewegung BDS forderte. Die anderen Parteien von CDU bis Grünen lehnten das ab, legten in der Folge­woche aber ihre eigene Resolution nach, die BDS als in Gänze antisemitisch brandmarkte.

Im November vergangenen Jahres folgte dann jene umstrittene Antisemitismusresolution, der auch die AfD freudig zustimmte. Der erhellendste Debattenbeitrag dazu kam ausgerechnet von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Sie wies am Podium darauf hin, dass im Antrag die Rede sei von Antisemitismus, der auf „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert“. Das seien „grüne Chiffren für importierten muslimischen Antisemitismus“, sagte von Storch. „Und auch der Lösungsvorschlag in Ihrem Antrag geht in unsere Richtung: repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere im Straf- und Staatsbürgerschaftsrecht und im Asyl- und Aufenthaltsrecht.“

Zurück zu Mahmoud Khalil. Dessen Abschiebung ist dank der Intervention eines Richters zunächst ausgesetzt. Khalil meldete sich am Dienstag aus seiner Zelle in Louisiana zu Wort und verglich seine Entführung durch die Trump-Schergen mit der Lage jener Tausenden Palästinenser, die ohne Anklage und anwaltlichen Beistand in is­raeli­schen Militärgefängnissen darben – eine Praxis, die Israel ­euphemistisch „Adminis­trativhaft“ nennt.

„Wer hat das Recht, Rechte zu haben?“, fragt Khalil in seinem Statement weiter. Damit greift er eine Formulierung Hannah Arendts auf, die in ihrem Totalitarismus-Werk nach dem Zweiten Weltkrieg Zweifel an den Forderungen nach universellen Menschenrechten anmeldete. Diese Forderungen klingen zwar schön, sagte Arendt sinngemäß, aber am Ende braucht es immer Staaten, die Rechte garantieren und durchsetzen. Als Bür­ger:in Teil einer politischen Gemeinschaft zu sein, wird bei ihr zum fundamentalen „Recht, Rechte zu haben“. Arendt war wie viele andere nach ihrer Ausbürgerung durch die Nazis staatenlos geworden. Eine Lehre daraus fand ihren Eingang ins Grundgesetz. Dort steht in Artikel 16: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“

Wie beruhigend also, dass die freundlichen bürgerlichen Parteien in Deutschland nicht die Absicht haben, irgendwas dergleichen zu tun. Wie beruhigend, dass hier noch keine amerikanischen Verhältnisse herrschen. Wie beruhigend, dass die AfD hier noch nicht regiert.

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