piwik no script img

Abschiebungsplan nach Gaza-ProtestIhre Grausamkeit und die unsere

Leon Holly
Kommentar von Leon Holly

Der Fall des Palästinensers Mahmoud Khalil zeigt, wie sich Trump über den Rechtsstaat hinwegsetzt. Doch auch CDU und SPD haben düstere Pläne.

Po­li­zis­t:in­nen halten eine Person fest, Demonstration gegen die Festnahme von Mahmoud Khalil, New York, 10. März Foto: Jeenah Moon/reuters

A m 8. März entführte die Trump-Regierung in den USA den Palästinenser Mahmoud Khalil. Beamte des Department of Homeland Security nahmen den Studenten auf dem Campus der Columbia University fest, fixierten ihn in Handschellen und fuhren ihn mit einem nicht gekennzeichneten Auto fort. Gegen Khalil, der ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat, liegt keine Anklage vor, die Beamten hatten auch keinen Haftbefehl. Die Regierung will an ihm ein Exempel statuieren und ihn am Rechtsstaat vorbei abschieben, weil er auf dem Campus gegen Israels Krieg in Gaza demonstriert hat.

Gruselig, was der Trump da wieder macht. So oder so ähnlich lauten die Reaktionen in Deutschland, wenn die US-­Regierung täglich aufs Neue ihre Verachtung der Freiheitsrechte der Verfassung demonstriert. Gut, dass wir in Deutschland noch nicht so weit sind, dass die AfD hier noch nicht an der Regierung ist.

Aber braucht es dafür überhaupt die AfD? Am selben Tag, als Mahmoud Khalil in New York gekidnappt wurde, stellten Po­li­ti­ker:in­nen von Union und SPD in Berlin ihr Sondierungspapier für die Koalitionsverhandlungen vor. Darin steht, man wolle prüfen, ob man „Terrorunterstützern, Antisemiten und Ex­tre­misten“ die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen könne, so sie denn eine weitere be­sitzen.

Mit diesen Schlagworten klingen die CDU und SPD in etwa wie Trump, der auf einer Kundgebung vor seiner Wahl im Oktober tönte, er werde die Visa von „radikalen, antiamerikanischen und antisemitischen Ausländern“ an Universitäten annullieren und sie „direkt nach Hause schicken“. Nur, dass die freundlichen Parteien der bürgerlichen Mitte in Deutschland nicht allein auf die bösen Ausländer zielen, sondern einen Schritt weiter gehen. Sie wollen sogar die Tür für ein Zweiklassensystem der Staatsbürgerschaft öffnen – eine Forderung direkt aus dem AfD-Playbook. Hier gibt es dann auf der einen Seite die waschechten Deutschen, die mit den deutschen Eltern und Großeltern, die nur einen Pass haben (wie übersichtlich). Und auf der anderen Seite die suspekten Doppelstaatler, allermeist mit ­Migrationsgeschichte, die immer nur Deutsche auf Probe bleiben.

Angriff auf die Gleichheit

Es ist keine Überraschung, dass dieser Angriff auf die Gleichheit aller Deutschen im Gewand der Antisemitismusbekämpfung daherkommt. Die Radikalisierung der Mitte reicht dabei weit vor den Hamas-­Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 zurück. 2019 brachte die AfD eine Resolution in den Bundestag ein, die ein Verbot der Israelboykottbewegung BDS forderte. Die anderen Parteien von CDU bis Grünen lehnten das ab, legten in der Folge­woche aber ihre eigene Resolution nach, die BDS als in Gänze antisemitisch brandmarkte.

Im November vergangenen Jahres folgte dann jene umstrittene Antisemitismusresolution, der auch die AfD freudig zustimmte. Der erhellendste Debattenbeitrag dazu kam ausgerechnet von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Sie wies am Podium darauf hin, dass im Antrag die Rede sei von Antisemitismus, der auf „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert“. Das seien „grüne Chiffren für importierten muslimischen Antisemitismus“, sagte von Storch. „Und auch der Lösungsvorschlag in Ihrem Antrag geht in unsere Richtung: repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere im Straf- und Staatsbürgerschaftsrecht und im Asyl- und Aufenthaltsrecht.“

„Wer hat das Recht, Rechte zu haben?“

Zurück zu Mahmoud Khalil. Dessen Abschiebung ist dank der Intervention eines Richters zunächst ausgesetzt. Khalil meldete sich am Dienstag aus seiner Zelle in Louisiana zu Wort und verglich seine Entführung durch die Trump-Schergen mit der Lage jener Tausenden Palästinenser, die ohne Anklage und anwaltlichen Beistand in is­raeli­schen Militärgefängnissen darben – eine Praxis, die Israel ­euphemistisch „Adminis­trativhaft“ nennt.

„Wer hat das Recht, Rechte zu haben?“, fragt Khalil in seinem Statement weiter. Damit greift er eine Formulierung Hannah Arendts auf, die in ihrem Totalitarismus-Werk nach dem Zweiten Weltkrieg Zweifel an den Forderungen nach universellen Menschenrechten anmeldete. Diese Forderungen klingen zwar schön, sagte Arendt sinngemäß, aber am Ende braucht es immer Staaten, die Rechte garantieren und durchsetzen. Als Bür­ger:in Teil einer politischen Gemeinschaft zu sein, wird bei ihr zum fundamentalen „Recht, Rechte zu haben“. Arendt war wie viele andere nach ihrer Ausbürgerung durch die Nazis staatenlos geworden. Eine Lehre daraus fand ihren Eingang ins Grundgesetz. Dort steht in Artikel 16: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“

Wie beruhigend also, dass die freundlichen bürgerlichen Parteien in Deutschland nicht die Absicht haben, irgendwas dergleichen zu tun. Wie beruhigend, dass hier noch keine amerikanischen Verhältnisse herrschen. Wie beruhigend, dass die AfD hier noch nicht regiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Leon Holly
Jahrgang 1996, Studium der Politikwissenschaft und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Seit April 2023 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Klima & Energie, und Kultur.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "Es ist keine Überraschung, dass dieser Angriff auf die Gleichheit aller Deutschen im Gewand der Antisemitismusbekämpfung daherkommt."



    Was will der Kommentator mit dieser raunenden Andeutung sagen?



    Der "Angriff aus der Mitte" wurde mit der "Migrationspolitik" und mit islamistischen Attentaten begründet.



    So soll also, laut Autor sich die "Radikalisierung der Mitte" ausdrücken (aus der Antisemitismus-Resolution des BT):



    "Die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023 ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechts-



    extremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen."



    und weiter: "Klar ist aber auch: Antisemitismus findet sich seit langem in allen gesellschaftlichen Bereichen und hat verschiedene Nährböden. Verschwörungsideologien und antisemitische Narrative sind in den vergangenen Jahren in allen gesellschaftli-



    chen Gruppen anschlussfähiger geworden. Völkische und rechtsextreme Positionen sind auf dem Vormarsch und die Personenzahl mit gefestigt rechtsextremistischer Einstellung steigt an."

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Die seit dem 7. Oktober grassierenden Demos haben jüdische Studierende ab der Columbia University in Angst und Schrecken versetzt. Eine universitäre Kommission hat in ihrem Bericht Mängel bei den Schutzmaßnahmen der Universität für jüdische Studierende vor Antisemitismus festgestellt. Diese Feststellung wird durch Medienberichte gestützt. Die Beurlaubung von drei Dekanen aufgrund antisemitischer Chat-Kommunikation deutet auf ein systematisches Problem mit Antisemitismus innerhalb der Universitätsverwaltung hin.

    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass viele der pro-palästinensischen Demonstrierenden dort zu denjenigen zählen, die dazu aufriefen, Kamala Harris nicht zu wählen.

    Es geschah in der Hoffnung, Kamala Harris eins auszuwischen, da sie angeblich zu israelfreundlich sei. So folgten sie leider dem Rat der Democrat-Abgeordneten Rashida Tlaib aus Michigan. Es hat dominosteinartig funktioniert. Nun hat man den Salat. Tja, das ergibt noch einen Grund dafür, das kollektive Urteilsvermögen der Free-Palestine-Bewegung zu beargwöhnen.

    Unter Kamala Harris wäre es kaum so dramatisch, kaum so dystopisch gewesen.

  • Danke für diesen sehr guten Kommentar zum Recht auf Meinungsfreiheit, was anscheinend einigen der Leser hier nicht gefällt.

  • Wenn die Märtyrer-Feiern irgendwann eine Pause haben, darf ich daran erinnern, dass der algerisch-syrische Doppelstaatsbürger Mahmoud Khalil bei seinem Visa-Antrag für die USA offenkundig falsche Angaben gemacht hat. Hätte er die Frage, ob er finanzielle oder anderweitige Unterstützung an terroristische Organisationen leistet (zu denen die Hamas bekanntlich zählt), wahrheitsgemäß beantwortet, wäre er niemals durchgewunken worden.



    Abgesehen davon geht es auch nicht nur um Redefreiheit, nicht einmal nur um Gutheißung des Terrorismus vom 7. Oktober, sondern auch darum, dass er Uni-Besetzungen organisiert hat, die mittels Vandalismus, Bedrohungen und Körperverletzungen die Universitäten im Sinne der BDS-Ideologie zu erpressen versucht haben, und dabei als "zionistisch" wahrgenommenen Juden und Jüdinnen am Campus das Leben zur Hölle zu machen.

    Dass dieser autoritäre Fundamentalist Hannah Arendt zitiert, ist verstörend. Dass er hier dafür gelobt wird, ist aber nur als völlig unreflektierte möchtegern-linke Reflex-Reaktion zu verstehen.

    Gleichzeitig halte ich diese repressiven Taktiken alleine für wenig nachhaltig. Viel wichtiger und effektiver wäre, den Geldhahn aus Katar abzudrehen.

    • @a jugovic:

      Das klingt nach totalem Blödsinn: diese Unterstützung hat er doch bei dieser Einreise tatsächlich nicht geleistet, sondern erst später.

    • @a jugovic:

      Hat er denn Unterstützung für die Hamas geleistet? Ich habe nämlich noch nichts dergeichen vernommen. Auch nicht vom Vorwurf, Besetzungen organisiert zu haben.

  • Für mich ist zwischen "Terrorunterstützern, Antisemiten und Ex­tre­misten die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen" und "Verachtung der Freiheitsrechte" ein himmelweiter Unterschied.



    Es gibt Grenzen der freien Meinungsäußerung - definitiv da, wo eine 'Meinung' in menschenverachtenden Hass umschlägt.



    Terrorunterstützer, Antisemiten und Ex­tre­misten gleich welcher Couleur haben mit unserem Rechtsstaat oder unserer Demokratie NICHTS gemein. Solche Menschen und 'Meinungen' müssen, können und dürfen wir nicht in unserer Gesellschaft dulden, auch nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.

  • "Wie beruhigend, dass die AfD hier noch nicht regiert." Die AFD wird hier in Deutschland nur an die Macht kommen, wenn man Deutschland in Brand setzt und die AFD dann als die einzige noch mögliche Feuerwehr erscheint bzw. sich ohne Mühe als die einzig noch mögliche Feuerwehr inszenieren kann. Und da von linker Seite aus seit Jahren versucht wird, Deutschland in Brand zu setzen und sich nun immer mehr abzeichnet, dass dies der linken Seite auch gelingen wird, finde ich hier gar nichts mehr beruhigend.

    • @Alexx:

      Die AfD als Feuerwehr ist doch ein Witz, die halten doch die Benzinflaschen schon in beiden Händen bereit zum zündeln.

  • Die Staatsangehörigkeit darf nur nicht entzogen werden, wenn man dann keine weitere Staatsangehörigkeit mehr hat. Wer zum Beispiel falsche Angaben bei der Einbürgerung gemacht hat, dem darf sie schon immer entzogen werden und die Befürwortung von Terrorismus verträgt sich nicht mit den Werten des Grundgesetzes, denen man sich bei der Einbürgerung verpflichtet.