: Der Härtefall
Zaid A. und Tobias E. sollen mit anderen deutschen Linken in Budapest Rechtsextreme angegriffen haben. Beide sind hierzulande in Haft. Zaid A. droht als Syrer die Auslieferung nach Ungarn. Tobias E. war dort bereits fast zwei Jahre inhaftiert

Aus Köln und Burg Konrad Litschko
Gerade erst, sagt Zaid A., habe er wieder geträumt, dass er mit Freunden unterwegs sei, draußen in der Stadt. „Und dann bin ich aufgewacht und hab die Gitter gesehen. Da war sofort wieder klar, wo ich bin.“ In einer Zelle, wenige Quadratmeter groß, in der JVA Köln, draußen am Stadtrand. Und das schon seit zwei Monaten. Zu Hause war Zaid A. noch viel länger nicht, zwei Jahre schon nicht mehr. Seit der Sache mit Budapest.
Zaid A. sitzt am Dienstag im kargen, blassgelb gestrichenen Besuchsraum der JVA Köln, als er davon erzählt. Ein Wärter hat ihn hereingeführt, ein zweiter in der Ecke Platz genommen, er verfolgt das ganze Gespräch. Zaid A. trägt eine blaue Pulloverjacke, die dunklen Haare kurz, setzt sich an einen kleinen Holztisch, das einzige Möbelstück im Raum. Er lächelt. Es gehe ihm „eher gut“, sagt der 21-Jährige. „Ich versuche klarzukommen, das Beste aus der Situation zu machen. Was als Nächstes kommt, liegt ja nicht in meiner Hand.“
Die Situation ist die: dass Zaid A. demnächst in einem ganz anderen Gefängnis sitzen könnte – in einem in Ungarn. Dorthin droht dem Nürnberger und gebürtigen Syrer die Auslieferung. Die Haft in der JVA Köln, in der sich Zaid A. derzeit befindet, ist bereits die Auslieferungshaft. Denn das rechtsautoritär regierte Ungarn unter Viktor Orbán will ihn dort vor Gericht sehen.
Im Februar 2023 soll Zaid A. mit anderen Linken aus Deutschland und Italien Rechtsextreme in Budapest angegriffen haben. Diese hatten sich dort, wie jedes Jahr, zu ihrem „Tag der Ehre“ versammelt, um den letzten „Widerstand“ von SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee belagerten Budapest zu glorifizieren. Aufmarschiert wird in Uniformen und Stahlhelmen, gezeigt werden Hakenkreuze und Hitlergrüße. Vor zwei Jahren aber gab es gewalttätigen Gegenprotest.
Vermummte griffen vor und nach dem Aufmarsch insgesamt neun Personen an, die sie als Teilnehmende des Neonazi-Treffens ausmachten. Aus einer mehrköpfigen Gruppe heraus prügelten sie auf diese ein, auch mit Schlagstöcken. Nach 30 Sekunden rannten sie auf ein Signal davon. Laut den ungarischen Ermittlern erlitten die Angegriffenen Kopfplatzwunden, Prellungen und Knochenbrüche. Verletzungen, die lebensgefährlich hätten sein können.
Mitverantwortlich dafür soll auch Zaid A. gewesen sein. Ungarische und deutsche Ermittler berufen sich dabei auf Videoaufnahmen und Zeugenaussagen. Welche genau, wissen Zaid A. und seine Anwältin Anna Busl allerdings nicht. „Die Beweislage ist bisher völlig undurchsichtig“, sagt Busl. „Wir kennen nur den ungarischen Auslieferungsantrag, und der bleibt oberflächlich.“ Busl aber warnt eindringlich: In Ungarn würden Zaid A. weder menschenrechtskonforme Haftbedingungen erwarten noch ein faires Verfahren – umso mehr nicht, als er Linker und Migrant ist. „Es darf unter keinen Umständen eine Auslieferung erfolgen.“
Klar ist: Noch vor Ort in Budapest werden am 11. Februar 2023 zwei Berliner*innen festgenommen, Tobias E. und Anna M., und die Italienerin Ilaria Salis, die später bekannt wird, weil sie für eine italienische Linkspartei ins Europaparlament einzieht. Nach den anderen Angreifer*innen suchen ungarische Behörden mit einer Großfahndung, mit Steckbriefen und Fotos – nach insgesamt elf Deutschen. Allesamt sind es junge Linke, die meisten Anfang zwanzig, die meisten aus Sachsen oder Thüringen. Einer von ihnen: Zaid A.
Doch die Gesuchten tauchen unter. Zwei Jahre sind sie für die deutschen und ungarischen Fahnder nicht zu finden. Diese befragen Angehörige, hören Telefone ab, beschatten Familienfeste – ohne Erfolg. Bis sich vor zwei Monaten, am 20. Januar, sieben der neun Gesuchten überraschend freiwillig der Polizei stellen, in Köln, Hamm, Kiel und Bremen. Auch Zaid A. ist darunter. Seitdem sitzt er in der JVA Köln.
War er in Budapest dabei? Zu seinem Verfahren darf Zaid A. in der JVA Köln nichts sagen, so lautet die Vorgabe der JVA. Der Angestellte im Besucherraum wacht darüber. Aber über die drohende Auslieferung kann Zaid A. sprechen. Natürlich kreisten seine Gedanken ständig darum, sagt er. „Diese Gedanken sind Dauerstress.“ Die Entscheidung mache einen „massiven Unterschied“, wie sein Leben weitergehe. „Es steht fünfzig-fünfzig.“
Dabei sah alles mal ganz anders aus. Im August 2014 war die Familie nach Deutschland gekommen, geflohen aus Syrien, in dem der Bürgerkrieg tobte. Die Familie landete erst in Sammelunterkünften, dann wurde sie nach Nürnberg geschickt. Die Eltern bauten sich ein Unternehmen auf. Zaid kam als 11-Jähriger in die sechste Klasse, schloss sich direkt einem Orchester an, in dem er Geige spielte. „Weit überdurchschnittlich“ sei er über Jahre dort engagiert gewesen, später auch im Orchestervorstand, heißt es dort. Über ein Konzert schreibt eine Lokalzeitung, Zaid A.s Geigenspiel „begeisterte“ mit „großer Klangschönheit“. Er macht sein Abitur, absolviert ein Freies Soziales Jahr an einer Schule. Und er geht auch auf Demos. Er sei schon immer politisch interessiert gewesen, sagt Zaid A. in der JVA. Antirassismus sei ein großes Thema für ihn. Er will Lehrer werden, geht dafür zum Studium nach Köln.
„Bis dahin war alles perfekt“, sagt Alia A., die Mutter von Zaid A., die eigentlich anders heißt, ihren Namen aber nicht öffentlich machen will. Dann kam der Februar 2023. Und Zaid A. tauchte ab. „Es begann eine schlimme Zeit“, sagt Alia A. „Wir haben uns immer Sorgen gemacht. Wo schläft er? Wie verbringt er seine Zeit? Geht es ihm gut?“
Es sind nicht nur ungarische, sondern auch deutsche Sicherheitsbehörden, die in dieser Zeit warnen: Die brutalen Angriffe der Linken hätten eine neue Qualität – denn schon ab 2018 verübte eine Gruppe um die Leipzigerin Lina E. in Sachsen und Thüringen ähnliche Angriffe auf Rechtsextreme. Es drohe eine Radikalisierung der Untergetauchten, sagt Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Der Verfassungsschutz sieht die Szene „an der Schwelle zum Linksterrorismus“.
Im Dezember 2023 gelingt den Fahndern eine erste Festnahme: Sie fassen Maja T. in einem Berliner Hotel, eine nonbinäre Thüringer*in. Es ist der Fall, der später zum Politikum wird. Auch Maja T. soll bei zwei Angriffen in Budapest dabei gewesen sein, wird in der JVA Dresden inhaftiert. Am Abend des 27. Juni 2024 gibt das Kammergericht Berlin dem Auslieferungsersuchen Ungarns statt. Noch in der Nacht wird Maja T. vom sächsischen LKA in einem Helikopter nach Österreich geflogen, von dort nach Budapest gefahren. All dies, noch ehe das Bundesverfassungsgericht über eine Eilbeschwerde von T.s Anwälten gegen die Auslieferung entscheiden kann. Als Karlsruhe dieser tags darauf stattgibt, ist Maja T. bereits in Ungarn – der Beschluss bleibt folgenlos.
Die anderen Abgetauchten aber bleiben verschwunden. Doch sie halten Kontakt zu ihren Anwält*innen, die der Bundesanwaltschaft ein Angebot machen: Sollte diese zusichern, dass die Verfahren in Deutschland geführt werden, würden sich die Gesuchten stellen. Doch die Bundesanwaltschaft macht diese Zusicherung nicht.
In Briefen aus der ungarischen Haft beklagt Maja T. derweil eine andauernde Isolationshaft. Es gebe Bettwanzen und Kakerlaken, verweigerte Arztbesuche, fehlendes gesundes Essen, kein Tageslicht in der Zelle. Regelmäßig müsse T. sich entkleiden, ihr werde Schlaf entzogen, weil nachts stündlich das Licht angeschaltet werde. In anderen Zellen würden Inhaftierte verprügelt, heißt es in den Briefen. „Ich höre Schreie und Schläge.“
Und trotzdem stellen sich am 20. Januar Zaid A. und die anderen sechs der deutschen Polizei. Warum? Er habe lange auf eine Zusicherung der Bundesanwaltschaft gehofft, sagt Zaid A. „Aber da war keinerlei Willen, nur Härte.“ Die Perspektive sei dann gewesen, verschwunden zu bleiben, für sehr lange Zeit. „Das wäre schon möglich gewesen, es war durchaus eine selbstbestimmte Zeit.“ Gleichzeitig sei er 21 Jahre, habe noch was vor mit seinem Leben, wollte „zurück in die Normalität, zumindest so weit es geht“.
Also fuhr Zaid A. am Morgen des 20. Januar mit seiner Anwältin Anna Busl und einer weiteren Gesuchten zum wuchtigen Bau des Polizeipräsidium Köln, holte sich vorher noch ein kleines Frühstück und einen Tee. Er werde gesucht, habe er dort erklärt, und seine Papiere vorgelegt. „Die waren total überfordert.“ Über eine Stunde habe er anschließend im Warteraum gesessen, bis die Beamten geklärt hatten, dass Zaid A. tatsächlich gesucht wurde. „Ich hätte jederzeit wieder gehen können.“ Aber der 21-Jährige blieb sitzen. Dann wurde er festgenommen.
Was an dem Tag allerdings erst klar wurde: Gegen Zaid A. lag nur ein europäischer Haftbefehl auf Antrag Ungarns vor, keiner der Bundesanwaltschaft. Denn Zaid A. ist kein deutscher Staatsbürger. Sein Einbürgerungsprozess lief noch, stand kurz vorm Abschluss – inzwischen ruht er. Für einen Nichtdeutschen, dem eine Straftat im Ausland vorgeworfen wird, aber sieht sich die Bundesanwaltschaft nicht zuständig. Während die anderen sechs Haftbefehle vom Bundesgerichtshof bekamen, wanderte Zaid A. direkt in Auslieferungshaft.
Inzwischen erklärte die Bundesanwaltschaft für die anderen sechs Festgenommenen, dass es „vorrangig“ sei, ihre Verfahren in Deutschland zu führen. Für Zaid A. aber wurde diese Ansage nicht erteilt. Ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, wo die Verfahren derzeit gebündelt werden, sagte der taz, zu allen Verfahren, die bisher eingetroffen seien, werde man einen Antrag auf Nichtauslieferung stellen. Der Fall von Zaid A. ist bisher nicht dabei.
Der 21-Jährige kann das nicht nachvollziehen. „Ich bin hier aufgewachsen, spreche besser Deutsch als Arabisch. Ich bin mit Deutschland weit mehr verbunden als mit Syrien.“ Auch seine Mutter Alia A. sagt, sie liebe dieses Land, habe hier ihre Kinder großgezogen. Nun aber heißt es, ihr Sohn sei kein Teil dieser Landes, auch nach zehn Jahren nicht. „Das tut wirklich weh.“
Anwältin Anna Busl wird hier ebenso deutlich. „Meinem Mandanten werden dieselben Taten wie den anderen sechs Beschuldigten vorgeworfen“, sagt Busl. „Wenn also die anderen nicht nach Ungarn ausgeliefert werden und ihnen in Deutschland ein Prozess gemacht wird, dann muss das auch für meinen Mandanten gelten. Da gibt es eigentlich gar nichts zu diskutieren.“
Alia A. konnte mit ihrem Mann und einer Tochter inzwischen einmal ihren Sohn besuchen, seit er in Haft ist. Es war auch eine Erleichterung. „Wir wussten jetzt, wo er ist. Und dass es ihm gut geht.“ Aber seitdem sei da wieder eine Angst. Die Angst, dass ihr Sohn wieder verschwindet. Nun nach Ungarn. „Diese Angst hat mir schon viele Nächte den Schlaf geraubt.“
Und für Zaid A. steht nun auch aufenthaltsrechtlich viel auf dem Spiel. Seit dem Sturz von Assad in Syrien steht der Geflüchtetenstatus von Syrer*innen hierzulande generell infrage. Die Bundesregierung drohte zuletzt wiederholt kriminellen Geflüchteten mit Abschiebungen, explizit auch Syrier*innen. Auch solchen, die noch nicht verurteilt sind.
Wusste er, dass sein Fall kompliziert wird, komplizierter als die anderen? Zaid A. hält kurz inne. „Dass es so schwierig wird, war nicht klar.“ Bereue er es, dass er sich gestellt habe? „Nein. Allein für die anderen hat es sich ja schon gelohnt.“
Was Zaid A. aber droht, zeigt weiter der Fall Maja T.. Als im Februar das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde von T. recht gibt und die Auslieferung nachträglich für rechtswidrig erklärt, weil das Berliner Kammergericht die Haftbedingungen für Maja T. als nonbinäre Person „nicht hinreichend aufgeklärt“ habe, läuft die Nachricht in Zaid A.s Zelle über den Fernseher. „Das hat mich wütend gemacht. Das war ja wie eine Entführung. Das reiht sich ein in die weltweite Entwicklung, in der sich Autoritäre über das Recht stellen.“ Wenige Tage später begann dann in Budapest der Prozess gegen Maja T. In den Saal geführt wurde T. in Fußfesseln und an einer Leine. Die Staatsanwaltschaft bot einen Deal an: 14 Jahre gegen ein Geständnis. Maja T. lehnte ab. Nun drohen bis zu 24 Jahre Haft. „Es ist sehr schwer, auf Menschenrechte zu hoffen, wenn Fälle wie Maja passieren“, sagt Zaid A.
Wie es ist, in Ungarn inhaftiert zu sein, hat auch Tobias E. erlebt. Er war es, der am 11. Februar 2023 noch in Budapest festgenommen wurde. Die Polizei war auf eine Personengruppe aufmerksam geworden, hatte diese verfolgt und Tobias E. und zwei andere schließlich aus einem Taxi gezerrt. Dann verschwand E. für fast zwei Jahre in ungarischer Haft.
Inzwischen sitzt der 31-Jährige in Deutschland in Haft, in der JVA Burg, einem Hochsicherheitsgefängnis auf einem Acker in Sachsen-Anhalt. Wer hier zu Tobias E. gelangen will, muss penible Kontrollen durchlaufen, sieben Türen müssen sich öffnen. Auch Tobias E. wird in einen nackten grauen Besucherraum geführt, in schwarzer Trainingsjacke, die Haare gescheitelt. Er wirkt aufgeräumt. „Die Leute hier drin beschweren sich ja über alles Mögliche“, sagt der 31-Jährige. „Aber das hier ist alles nichts im Vergleich zu Ungarn.“
Auch Tobias E. kann nichts zu den Vorwürfen aus Ungarn sagen – auch bei seinem Gespräch sitzt ein JVA-Mitarbeiter in der Ecke, dazu noch eine Frau vom Landeskriminalamt. Aber Tobias E. kann über seine Haftzeit in Ungarn berichten. Als er festgenommen wurde, sei er erst mal in ein Gefängnis außerhalb von Budapest gebracht worden, anfangs ohne Kontakt zu einem Anwalt, erzählt er. „Die Wärter begrüßten mich mit Sieg-Heil-Rufen.“ Später sei er in ein Gefängnis nach Budapest gekommen. Die Erfahrungen seien dort die gleichen gewesen: „Gewalt und Willkür.“
Er sei in Zellen mit ein oder zwei anderen Gefangenen gewesen, erzählt Tobias E. Es habe Kakerlaken und Bettwanzen gegeben. Im Winter sei es klirrend kalt und gleichzeitig verboten gewesen, sich in Bettdecken zu hüllen. Im Sommer wiederum so heiß, dass Gefangene kollabierten. Auch nachts habe es Zellenkontrollen gegeben, regelmäßig musste man sich dafür komplett ausziehen. Das Essen habe aus Reis oder zerklumpten Nudeln bestanden. Strom wurde oft über Stunden abgestellt, auch als Kollektivstrafe. In Duschräume habe man nur sporadisch gedurft – oft, ohne dass es dort Wasser gab. Viele Gefangene seien krank geworden, wären mit Bissen übersät gewesen. „Ich hatte zum Glück nur Ausschlag und einen zerstörten Backenzahn nach einer Zahn-OP im Gefängnis.“
Schlimmer aber sei die Gewalt gewesen, sagt Tobias E. Er habe versucht, sich möglichst unauffällig zu verhalten und so unter dem Radar der Wärter zu bleiben. Andere Gefangene aber seien wegen Nichtigkeiten oder inszenierter Anlässe von Wärtern oder „vermummten Kommandos“ verprügelt worden – im Duschraum, wo es keine Kameras gab. Oder offen im Flur, selbst als Konsulatsangehörige vor Ort waren. „Es geschah ständig und war völlig unberechenbar.“ Gefangene hätten Knochenbrüche von den Attacken erlitten. Ein älterer Gefangener, ein Algerier, habe danach Atemnot bekommen, er sei gestorben.

Und Tobias E. bemerkte schnell Hierarchien. Als Nicht-Ungar habe er weniger Essen bekommen, wurde häufiger beschimpft. Als Weißer sei es ihm aber immer noch besser ergangen als arabischen Gefangenen. „Die wurden mit Ziegenlauten provoziert. Es war menschenverachtend.“ Die deutsche Botschaft habe von den Zuständen gewusst, ist Tobias E. überzeugt. „Aber sie haben nichts dagegen gemacht. Ich habe meiner Familie gesagt, sie sollten mich bitte nicht besuchen kommen, weil es so schrecklich war.“
Die Berichte von Tobias E. lassen sich schwer überprüfen. Aber auch NGOs wie das ungarische Helsinki-Komitee warnen vor Gewalt durch Haftpersonal in ungarischen Gefängnissen, vor Isolationshaft und schlechter Hygiene. Zudem gebe es politische Einflussnahme auf Verfahren. Auch die EU-Kommission rügte wiederholt die Rechtxstaatlichkeit in Ungarn.
Tobias E. stand schließlich am 29. Januar 2024 vor einem Budapester Gericht – dem gleichen, in dem nun auch Maja T. der Prozess gemacht wird. Die Anklage: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Einen konkreten Angriff konnte die Staatsanwaltschaft Tobias E. nicht nachweisen. Anders als Maja T. ließ er sich auf einen Deal ein. Auch dazu will Tobias E. sich nicht äußern. Der Berliner wurde schließlich zu drei Jahren Haft verurteilt, die sein ungarischer Anwalt später auf ein Jahr und zehn Monate absenken konnte. Mit der angerechneten U-Haft saß er die Strafe bis zum letzten Tag in Ungarn ab.
„Ich wollte nur nach Hause, hatte schon Flugtickets, es war alles gebucht“, erzählt Tobias E. Dann aber beantragte die Bundesanwaltschaft seine erneute Festnahme – und seine Auslieferung nach Deutschland. Weil dem 31-Jährigen hierzulande zwei weitere Angriffe vorgeworfen wurden, 2019 in Dessau und Eisenach, hier als Teil der Lina-E.-Gruppe. Tobias E. wurde am 20. Dezember nach Frankfurt/Main ausgeflogen, dort sofort wieder festgenommen. Seitdem sitzt er in der JVA Burg, wartet nun auf seine nächste Anklage. „Das ist alles sehr fragwürdig“, findet seine Anwältin Anna Luczak. Gerade die Beweise für den Angriff in Dessau seien dünn, auch dürfe es am Ende keine Doppelbestrafung geben. „Und die erneute Haft ist völlig unnötig. Mein Mandant hat sich nie einem Verfahren entzogen, er würde sich auch den neuen Vorwürfen stellen.“
Für Zaid A. sieht das seine Anwältin Anna Busl nicht anders, hält dessen Haft für ebenso unbegründet. Da dieser sich selbst gestellt habe, sei eine Fluchtgefahr abwegig. Busl stellte bereits einen Antrag auf Haftverschonung von Zaid A. Darüber ist bisher noch nicht entschieden.
Inzwischen aber beschäftigen die Budapest-Fälle auch das Auswärtige Amt von Noch-Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die Bundesregierung. Die Vorführung von Maja T. beim Prozess in Budapest nannte auch das Ministerium „befremdlich“ und versicherte, man setzte sich „intensiv“ für den Fall ein. Maja T.s Anwälte kritisierten dagegen, davon bekomme man nicht viel mit. Zu den Auslieferungsersuchen heißt es vom Auswärtigen Amt, dies sei allein eine Frage der Justiz, die Bundesregierung spiele hier keine Rolle.
Dabei zeigte ausgerechnet das von der Postfaschistin Giorgia Meloni regierte Italien, das es anders geht. Im Fall der ebenfalls in Budapest gefassten Ilaria Salis bestellte es den ungarischen Botschafter ein, als auch Salis in Ketten vor Gericht vorgeführt wurde. Die kam danach erst in Hausarrest, dann erhielt sie Immunität, weil sie ins Europaparlament einzog. Die Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester Angriffe lehnte ein Mailänder Gericht ab.
Es sei bitter, dass Deutschland so wenig Druck auf Ungarn mache, sagt Zaid A. in der JVA Köln. „Dabei sagt doch selbst das Bundesverfassungsgericht, dass das rechtswidrig war.“ Käme es in seinem Fall zur Auslieferung, wäre es wohl noch unwahrscheinlicher, dass sich das Auswärtige Amt für ihn, den Syrer, einsetze. „Dann wäre mein Schutz komplett weg.“
Dafür setzen sich nun andere für Zaid A. ein. Nicht nur in Jena, Nürnberg und vor der JVA Köln protestierten Antifa-Gruppen, um eine Auslieferung von ihm und den anderen zu verhindern. Freunde aus dem Orchester planen eine Aktion. Er komme kaum hinterher, Briefe zu beantworten, sagt Zaid A. Das alles sei eine „super Stütze, man fühlt sich nicht allein“.
Auch die Linken-Neubundestagsabgeordnete Lea Reisner ist beim Besuch bei Zaid A. im Gefängnis dabei. Auch sie empört der Fall. „Zaid darf unter keinen Umständen nach Ungarn ausgeliefert werden“, sagt sie. Die Rechtsstaatlichkeit stehe dort seit Jahren in der Kritik, es drohe ihm eine „unmenschliche Behandlung“ und eine „unrechtmäßige Abschiebung nach Syrien“. „Das wäre ein klarer Verstoß gegen internationales Recht.“
Tatsächlich könnte sich die Sache bald entscheiden. Eine Sprecherin des Berliner Kammergerichts erklärte der taz, dass dort kommende Woche über die ersten drei Auslieferungsverfahren der im Januar Festgenommenen entschieden werde. Zaid A.s Fall gehört nicht dazu. Würde hier am Ende tatsächlich auf eine Auslieferung entschieden, will seine Anwältin durch alle Instanzen gehen. Aber auch bei einem Prozess in Deutschland wäre der Ausgang offen. Erst zuletzt klagte die Bundesanwaltschaft eine Beschuldigte der Budapest-Angriffe, die Nürnberger Kunststudentin Hanna S., vor dem Oberlandesgericht München an. Der Vorwurf: versuchter Mord.
Alia A., die Mutter von Zaid A., hofft trotzdem auf einen Prozess hierzulande. „Wenn er nach Ungarn muss, ist seine Zukunft zerstört. Hier in Deutschland hätte er immer noch eine Chance.“ Auch Zaid A. selbst hofft auf diese Chance. Wenn er irgendwann wieder frei sei, würde es mit dem Lehrerjob nun wohl schwierig, meint der 21-Jährige. Aber er würde dann etwas anderes studieren oder vielleicht auch etwas Handwerkliches machen. In der JVA hilft er nun anderen, übersetzt für sie Dokumente. Er sei hier „eine Art Hobbyanwalt“, sagt er und lacht. Und er spielt viel Gitarre, dies wurde ihm in der Zelle erlaubt. Zaid A. versucht jetzt wieder das Beste aus der Situation zu machen. Und auf das Beste zu hoffen.
inland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen