: „Ich würde gern mal Haftbefehl im Bundestag sehen“
Der Comedian Tahsim Durgun erreicht mit seinen Videos Millionen Menschen. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Ein Gespräch über seine Mutter, Humor in schweren Zeiten und Fantakuchen

Interview Konstantin Nowotny
taz: Herr Durgun, als vergangenes Jahr um diese Zeit bekannt wurde, dass Rechtsextreme in Deutschland Massendeportationen planen, reagierten Sie darauf mit Humor. Ihr Video hieß „Top-3-Verstecke, wenn du abgeschoben wirst“. Wann ist ein Thema so ernst, dass man nicht mehr lachen kann?
Tahsim Durgun: Auf das Ereignis letztes Jahr konnte man noch perfekt mit Humor reagieren, weil es nicht in einem allzu ernsten Kontext stattgefunden hat. Jetzt gerade haben wir ein Wahlergebnis, das ein Schlag in die Fresse ist. Darauf lässt sich nicht so gut mit Humor reagieren, weil es offizieller ist und Auswirkungen hat, die uns alle betreffen werden. Ich habe darauf auch bis heute nicht reagiert, weil ich diese Ergebnisse für sich sprechen lassen möchte. Aber ich will weiterhin mit satirischen Inhalten auf Politik reagieren – und in einer perfekten Welt hat das, was ich mache, vielleicht bei der nächsten Bundestagswahl in vier Jahren einen Einfluss.
taz: Der Untertitel Ihres Buches „Mama, bitte lern Deutsch“ lautet: „Unser Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft“. Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewusst geworden, dass Deutschland nicht so offen ist, wie es tut?
Durgun: In der Grundschule – darüber schreibe ich auch – gab’s neben mir noch eine einzige andere Person mit Migrationshintergrund. Da wurde mir die Ungleichheit bewusst, denn da, wo ich groß geworden bin, gab es kein „Ihr“ und „Wir“, da sahen fast alle Kids so aus wie ich. Aber in der Grundschule war das nicht so. Die Lehrerschaft hat uns sehr deutlich gemacht, dass „wir“ etwas anderes sind als der Rest der Klasse.
taz: Ihre Grundschulzeit ist eine Weile her, mittlerweile studieren Sie Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Würden Sie nach wie vor sagen, dass Deutschland eine geschlossene Gesellschaft ist?
Durgun: Sie hat sich mir gegenüber immer mehr geöffnet, aber für sehr viele Menschen ist Deutschland immer noch geschlossen. Auch meine Schwestern haben es immer noch schwerer als ich.
taz: Wieso?
Durgun: Ich glaube, Männern geht es immer besser als Frauen.
taz: Sie schreiben auch über den deutsch-kurdischen Rapper Azad und seinen Track „Eines Tages“. Darin heißt es: „Eines Tages zeig ich allen, dass ein Kurde es geschafft hat.“ Wie wichtig waren Vorbilder für Sie?
Durgun: Azad war sehr wichtig, weil er perfekt zur Schau stellte, was für uns immer fern lag. Was Comedy angeht, waren Kurt Krömer und Anke Engelke oder auch Bastian Pastewka Vorbilder. Allgemein war ich als Kind ein krasser Fernseh-Junkie …
taz: Sie haben öfter mal die „Wochenshow“ geguckt?
Durgun: Vielleicht das eine oder andere Mal. Ich beobachte diese Leute bis heute. Anke und Kurt kommen aus einer ganz anderen Ära, aber haben den Sprung in die neue Welt geschafft. Das finde ich bewundernswert.
taz: Wenn Sie einen deutschen Rapper zum Kanzler machen könnten, welcher wäre das?
Durgun: Ich würde gern mal Haftbefehl im Bundestag sehen, das wäre sehr interessant. Nicht mit der Annahme, dass er ein guter Politiker wäre, sondern einfach, weil ich mich amüsieren möchte.
taz: Tatsächlich gibt es ein älteres Interview mit Haftbefehl, in dem er gefragt wurde, was er als Kanzler tun würde.
Durgun: Was hat er geantwortet?
taz: Er möchte alle „Bonzen“ aus den Villen schmeißen und „die Leute aus dem Ghetto“ dort einziehen lassen.
Durgun: Also eigentlich wie Gregor Gysi.
taz: Manche Ihrer Gags sind witzig, andere eher bittersüß. Über Ihre Schwester, die keinen deutschen Pass hat, sagen Sie zum Beispiel: „Wir nennen sie in der Familie auch das erste Opfer der AfD.“ Schauen Sie da manchmal im Nachhinein drauf und denken sich: „War vielleicht doch ein bisschen derb?“
Durgun: Ich finde den Witz super, würde ich wieder so machen. Ich mache mir aber schon im Vorhinein Gedanken darüber, was angemessen oder unangemessen ist. Zum Beispiel würde ich nie nach unten treten.
taz: Warum war es Ihnen wichtig, die Geschichte Ihrer Familie und insbesondere Ihrer Mutter auf Deutsch zu erzählen?
geboren 1995 in Oldenburg, wurde mit seinen satirischen Videos über die deutsche Sprache und migrantische Lebenswelten bekannt. 2024 erhielt er den Grimme Online Award. Am 3. März erschien „Mama, bitte lern Deutsch“ bei Droemer Knaur. Durgun studiert Deutsch und Geschichte auf Lehramt.
Durgun: Das war mir wichtig, weil meine Mutter durch meine Videos im letzten Jahr einem sehr breiten Publikum bekannt geworden ist. In ihrer Kürze sind die Videos natürlich amüsant und charmant, aber sie bilden meine Mutter nie in all ihren Facetten ab. Meine Mutter erfährt viel Liebe im Internet, aber mit all dem, was sie für uns geleistet hat, habe ich mich ein bisschen in der Schuld gesehen, etwas zurückzugeben. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben. Und alle Menschen, die meine Mutter durch meine Videos schon kennen, möchte ich gern auf eine Reise durch ihre Geschichte einladen.
taz: Ihre Eltern sind yezidische Kurden. Im Buch lernt man im Rahmen Ihrer Familiengeschichte auch etwas über die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe.
Durgun: Yezidische Kurden haben mit vielen Baustellen gleichzeitig zu kämpfen. Kurden allein sind ja bereits eine marginalisierte Gruppe. Innerhalb der Kurden sind die Yeziden aber noch einmal zusätzlich in einer beschwerlichen Situation. Das Yezidentum ist zwar die älteste Religion der Kurden, wurde aber nie wirklich angenommen. Yeziden haben seit Beginn ihrer Existenz mit Genoziden, mit systematischer Vernichtung ihrer Communitys zu tun, und nie wirklich eine Ära des Friedens erlebt, weswegen viele von ihnen flüchten. In Deutschland gibt es die größte yezidische Gemeinschaft in der Diaspora.
taz: Sie und Ihre drei Geschwister sind in Deutschland geboren. Trotzdem mussten Sie Ihrer Mutter erklären, dass ihre Kinder von Abschiebung bedroht sind. Wie kann das sein?
Durgun: Das ist ein sehr komplexer Fall. Im Buch thematisiere ich den Moment, als ich meiner Mutter den Brief vorlese, in dem uns der „Widerruf der Asylberechtigung“ angedroht wird. Das hat unter anderem etwas damit zu tun, dass wir Kurden sind. Kurden verfügen über keinen Staat, es gibt also keinen kurdischen Pass. Meine Eltern sind in der Türkei zur Welt gekommen. Man müsste annehmen, dass sie einen türkischen Pass haben. Hatten sie aber nie, weil sie in einer ländlichen, kurdischen Gemeinschaft gelebt haben, wo nie wirklich etwas registriert wurde. Dann ist meine Mutter irgendwann nach Deutschland gekommen, ohne Unterlagen: keine Geburtsurkunde, keine Vaterschaftsurkunde, nichts. Damit war es im bürokratischen Deutschland natürlich schwer, eine Identität zu Papier zu bringen.
taz: Man kann nicht zu einer deutschen Behörde gehen und sagen: Ich bin staatenlos?
Durgun: Es ist bestimmt möglich, aber das müssen krasse Ausnahmefälle sein. Ich habe noch nie davon gehört, dass jemand so einen deutschen Pass bekommen hat. Bevor man die deutsche Staatsgenhörigkeit ausgestellt kriegt, muss man vorher etwas anderes gehabt haben. Da waren für uns erst einmal viele Besuche im türkischen Konsulat notwendig. Aber ehe wir überhaupt den türkischen Pass kriegen konnten, waren eine Identitätsnachforschung innerhalb der Türkei und viele andere Dinge notwendig.
taz: Sie sind ein Freund der deutschen Sprache und ihrer komplizierten Besonderheiten. Woran liegt das?
Durgun: Dieses hochgestochene Fachdeutsch, das für viele Menschen anstrengend ist, habe ich mir zwangsläufig antrainieren müssen – auch ein bisschen um das System mit den eigenen Waffen schlagen und unter anderem in der Ausländerbehörde auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Das ist bis heute geblieben. Es waren aber auch die Herausforderung und der Eifer, die mich dazu motiviert haben. Und ich finde es heute einfach geil, Deutsch zu sprechen. Deutsch ist eine Sprache, die es schafft, Sachen zur Geltung zu bringen, die andere Sprachen nicht schaffen.
taz: Die deutsche Sprache kommt auch in Ihrem Buch gut weg, das deutsche Essen aber eher nicht so.
Durgun: Wenn das so ist, dann nehme ich das zurück. Ich muss offen und ehrlich zugeben, dass ich Ende letzten Jahres die deutsche Küche krass für mich entdeckt habe. Welche Stelle meinen Sie?
taz: Sie äußern sich öfter mal herablassend über Fantakuchen …
Durgun: Da geht es weniger um dieses Gericht, sondern mehr um die Leute, die dahinterstehen. Deutsche Küche ist geil. Ich finde Rinderrouladen mit Rotkohl und Kapü sehr lecker. Und ich sage ganz bewusst: Kapü.
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