piwik no script img

Georgische Künstlerin über Protest„Der einzige Weg ist Widerstand“

Elektronikproduzentin Anushka Chkheidze über die Proteste in Georgien, den Streik der Kulturszene und die Solidarität mit politischen Gefangenen.

Lässt sich nicht einschüchtern: Die georgische Elektronikproduzentin Anushka Chkheidze Foto: Niclas Weber/Monheim Triennale
Steffen Greiner
Interview von Steffen Greiner

taz: Frau Chkheidze, Sie leben in Utrecht. Gerade erreiche ich Sie allerdings in Tiflis, wo Sie aktiv an den Protesten gegen die autoritäre, prorussische Politik der Regierungspartei Georgischer Traum beteiligt sind. Wie kam es dazu?

Anushka Chkheidze: Ich bin an Weihnachten nach Hause gereist, seither versuche ich, den Aufenthalt in Georgien so lange hinzuziehen, wie es geht, um zu tun, was ich tun muss. Ich befinde mich in einem Dilemma, weil ich im Ausland lebe, während in Georgien täglich Menschen von der Polizei verprügelt werden. Das im Fernsehen mitansehen zu müssen, war schrecklich. Allerdings hänge ich nun ein bisschen zwischen beiden Welten. Demonstrieren ist zeitintensiv. Um vier Uhr geht es zum Gerichtshof, um sieben zum Parlament, danach zum TV-Sender. Das ist eben so, wenn das Land unsere Hilfe braucht. Protest führt zu konkreten Ergebnissen.

Im Interview: Anushka Chkheidze

geboren 1997, wuchs in Kha­ra­gau­li, Georgien, auf und lebt derzeit in Utrecht, Niederlande. Ihre Musik ist im elektronischen Spektrum verortet. So ar­bei­tete sie etwa mit dem Berliner Künstler Robert Lip­pok. Die Struktur ihres Sounds ist auch von der Erfahrung der polyphonen georgischen Chormusik geprägt. Im April 2024 erschien ihr Album „Clean Clear White“, das mit Piano, Computer und kleinem Vokalensemble ein leerstehendes Gebäude in Basel, Schweiz, klanglich erkundet.

taz: Können Sie Ihre künstlerische Arbeit momentan überhaupt fortsetzen?

Chkheidze: Schwierig. Gerade sitze ich zum Beispiel in der Metro, um zu einer Solidaritätskundgebung für die Journalistin Mzia Amaghlobeli zu fahren, die bereits seit dem 12. Januar im Hungerstreik ist. Ich sorge mich um die Ungerechtigkeit, die sie dadurch erleiden muss. Kurz zuvor rief jemand an, um über Projekte zu reden, die im Ausland geplant sind, aber nun liegenbleiben. Für andere Künst­le­r*in­nen mag so eine Situation inspirierend sein, für mich nicht. Ich sehe nur, dass wir in Georgien an einem kritischen Punkt stehen. Ich möchte lieber mit meinen Freun­d*in­nen demonstrieren, statt unter Musikschaffenden zu sein, die Werke über Proteste kreieren.

taz: Haben Sie damit gerechnet, dass die Proteste nach wie vor massenhaft Menschen mobilisieren?

Chkheidze: Bereits nach den Wahlen im Oktober, war die Situation angespannt. Nachdem der Premierminister im November verkündet hat, dass das Land ab jetzt weg von Europa steuern wird, gab es Massenproteste von bis zu 300.000 Menschen, und das führte zu großen Repressionen der Staatsgewalt. Ich habe erwartet, dass sich die Situation wieder beruhigen würde. Sei es, dass es Neuwahlen gibt, oder dass zumindest die politischen Gefangenen freigelassen werden. Da das nicht der Fall ist, müssen wir weiter protestieren. Trotzdem sorge ich mich, dass uns die Luft ausgeht. Vor allem den Streikenden.

taz: Sie beziehen sich auf den Streik der georgischen Kulturszene. Was hat es damit auf sich?

Chkheidze: Der Streik begann im Dezember an den Theatern, dann traten Mu­si­ke­r*in­nen und andere Künst­le­r*in­nen ebenfalls in den Streik. Die Arbeit wurde aus Solidarität niedergelegt. In Deutschland mag es eine Streikkultur geben, alle wissen, wie man Arbeitskämpfe organisiert. In Georgien ist das unüblich, Gewerkschaften sind kaum etabliert. Aber aus diesen Reihen heraus kam die Idee auf: Solange neben uns Menschen zusammengeschlagen werden, ergibt es keinen Sinn, Theater zu spielen. Daraus entstand die Einsicht, dass es auch Solidarität der Arbeiterschaft braucht, einen Generalstreik. Damit soll versucht werden, Menschen zu empowern, selbst in den Streik zu treten, um aus der kollektiven Lähmung herauszukommen.

taz: Hat es gefruchtet?

Chkheidze: Für kurze Zeit ist die Rechnung aufgegangen. Inzwischen arbeiten viele Menschen wieder. Im Laufe der Zeit eröffneten auch kulturelle Institutionen wieder, Bars und Clubs ohne Rücklagen müssen laufende Kosten decken, das geht nicht ohne Einnahmen. Nur die Theater- und Filmszene streikt weiter, auch weil der Schauspielstar Andro Chichinadze widerrechtlich verhaftet wurde. Deshalb ist es nötig, so lange weiterzumachen, bis er und alle Kol­le­g*in­nen wieder freikommen.

taz: Chichinadze ist zusammen mit zehn anderen Menschen wegen organisierter Kriminalität angeklagt. Haben Sie Angst, dass auch Sie in eine solche Situation kommen könnten?

Chkheidze: Ich habe täglich Angst. Gestern gab es eine sehr kritische Situation, als wir vor dem Gerichtshof demonstrierten. Wir waren wenige und sahen uns starker Polizeipräsenz gegenüber. Oft ist es so, dass Menschen Post kriegen, wenn sie sich wegen Teilnahme an einer Demonstration verantworten müssen. Manchmal schmuggelt die Polizei Drogen in die Taschen von Demonstrierenden. Oder Zi­vil­po­li­zis­t*in­nen zeichnen heimlich Gespräche auf. Chichinadze und die anderen landeten aufgrund manipulierter Videos im Knast. Sie müssen womöglich lange im Gefängnis schmoren. Natürlich habe ich Angst, aber es gibt keinen anderen Weg als den Protest.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Meinen höchsten Respekt gilt der jungen Frau, und natürlich den anderen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Sie stehen einem gewalttätigen Machtapparat gegenüber, der alle Register der Unterdrückung zieht.