Wieso das Netz Pitbull liebt: Glatzen und Feminismus
Pitbull ist zurück. Aber nicht als Chartstürmer, sondern als Kultfigur des Internets. Taugt Mr. Worldwide vielleicht sogar als Feminismus-Ikone?
Sommer 2011: Dein MP3-Player hat genau 2 GB Speicher, deine Playlist besteht aus sorgfältig kuratierten, halblegalen Downloads. Zwischen Matheheft und Pausenbrot kramst du ihn aus deinem Ranzen, entwirrst den Kabelsalat deiner Kopfhörer, steckst die Stöpsel in die Ohren und drückst Play.
„Give Me Everything“ von Pitbull ist der Soundtrack des Sommers und dröhnt in Dauerschleife aus dem Radio, auf der Garagenparty, in der Großraumdisco, beim Knutschen auf der Tanzfläche oder bei der Abifeier.
Es ist die Hochzeit von Mr. Worldwide – von Pitbull. Eine Ära, in der überdimensionale Sonnenbrillen, Autotune-Hooks und Texte, die hauptsächlich aus „Baby“ und „Dale!“ bestehen, die Popwelt regierten.
Diese Zeiten sind schon lange vorbei. Mit neuen Songs kann der US-Künstler kaum an den Erfolg von damals anknüpfen, geschweige denn die Charts bestimmen. Trotzdem erlebt Pitbull seit Ende 2024 ein überraschendes Revival dank eines skurrilen Trends: Frauen strömen in Anzügen, Sonnenbrillen und mit Glatzenkappen zu seinen Konzerten. Aus einer ironischen Hommage wurde ein virales Phänomen, und plötzlich ist Mr. Worldwide wieder allgegenwärtig.
Pitbull ist jetzt Feminist
Auch Deutschland hat das Glatzenfieber erfasst: Am 25. Februar 2025 spielte er vor 17.000 Fans in der ausverkauften Lanxess Arena in Köln. Die Menge – darunter auffällig viele Frauen im Pitbull-Look – feierte „Timber“, „Hotel Room Service“ und „Time of Our Lives“, als hätte jemand die Uhr um 15 Jahre zurückgedreht.
Und das ist erst der Anfang: Im Juni spielt Pitbull im Rahmen seiner Europa-Tour „Party After Dark“ weitere Konzerte in Frankfurt, Berlin und Hamburg. Doch der Look ist nur die halbe Story. Denn das Internet hat entschieden: Pitbull ist jetzt Feminist.
Auf Tiktok kursieren Clips aus Interviews, in denen sich Pitbull respektvoll über Frauen äußert, ihnen Credits für ihre Karriere gibt und besonders die Stärke alleinerziehender Mütter lobt. Diese Statements stehen in starkem Kontrast zu seinen trashigen Songtexten: Zeilen wie „Forget about your boyfriend and meet me at the hotel room“ oder „Mami got an ass like a donkey, with a monkey, look like King Kong“ eignen sich kaum als Hymne der Gleichberechtigung.
Eine nostalgische Zeitreise
Dass Mr. Worldwide zur feministischen Kultfigur aufsteigt, ist also ein offensichtlicher Widerspruch. Und ein exzellentes Beispiel, wie sich das Internet seine eigenen Wahrheiten bastelt. Aber wieso?
Seine Musik ist eskapistisch, seine Attitüde irgendwie charmant, weil outdated, und seine Glatze? Nun ja, ikonisch. Kommentare wie „Kann er nicht einfach Kanzler werden?“ oder „POV: Du hörst zum ersten Mal ‚On the Floor‘ live, du fühlst dich direkt in deine Jugend zurückversetzt und das Leben ist gut“ zeigen: Neben kollektiver Albernheit steckt hinter dem Pitbull-Hype auch das Bedürfnis nach einer kurzen Realitätsflucht.
Für viele ist die Musik eine nostalgische Zeitreise in eine unbeschwerte Zeit, in der die politische Lage vergleichsweise stabil war und das größte Problem darin bestand, das verdammte AUX-Kabel zu finden.
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