piwik no script img

Deutschlands Einsatz gegen Menschenrechte

Kaum in Kraft, soll die Europäische Lieferkettenrichtlinie wieder abgeschwächt werden. Treibende Kraft dahinter ist Deutschland

Von Leila van Rinsum

Noch bevor die EU-Lieferkettenrichtlinie richtig wirkt, wird sie schon wieder abgeschwächt. Unter dem Schlagwort Bürokratieabbau hat die EU-Kommission vergangene Woche ihren Vorschlag vorgelegt, die Regeln nicht nur zu vereinfachen, sondern in wichtigen Teilen abzuschwächen.

Damit kommen die Regeln näher an das deutsche Lieferkettengesetz, bei dem sich Forderungen der Wirtschaftsverbände der deutschen Industrie, Chemie und Autobauer schon 2021 durchsetzten. Demnach betrifft es nur wenige Unternehmen, diese müssen nur den ersten Lieferanten überprüfen und es gibt keine zusätzlichen Haftungsregeln, die es Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen ermöglicht, europäische Unternehmen auf Schadenersatz zu verklagen. Im selben Jahr, 2021, nahm die Regierungskoalition von Union und SPD das Gesetz mit großer Unterstützung der Grünen im Bundestag an. Seit Anfang 2023 ist es in Kraft. Seitdem müssen sehr große Unternehmen ihre Lieferketten kennen und analysieren, wo es Risiken für Menschenrechtsverletzungen gibt. Außerdem müssen sie ein Beschwerdesystem einrichten und auf Beschwerden reagieren. Im Falle von Menschenrechtsverletzungen müssen sie Abhilfe schaffen, also überlegen, wie sie die Situation insgesamt und für die Betroffenen verbessern. Wichtig ist, dass der Grundsatz des Bemühens gilt und nicht des Erfolges. Auch das war eine Forderung der Wirtschaftsverbände.

Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften hatten danach auf die europäischen Regeln gehofft, um Schwachstellen der deutschen Regeln auszubessern. Nach einem zweijährigen Prozess stand die Einigung zwischen EU-Kommission, dem Rat, der die Mitgliedstaaten vertritt, und dem Europäischen Parlament und wurde dort mitgetragen von den Fraktionen der liberalen Renew und der konservativen EVP. Bei der formalen finalen Zustimmung des Rates entzog die FDP ihre Zustimmung jedoch, sodass sich die Bundesregierung Anfang 2024 enthalten musste und die Mehrheit im Rat damit gefährdete.

Durch weitere Zugeständnisse, darunter eine starke Eingrenzung der betroffenen Unternehmen, wurde das EU-Lieferkettengesetz schließlich angenommen. Bis spätestens 2027 hätten die EU-Staaten es in nationale Gesetze umsetzen müssen. Doch Deutschland blockierte wieder. Der Bürokratieabbau wurde zum Wahlkampfthema. Grünen-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Robert Habeck wollte es mit der Kettensäge abschaffen und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprach, „es kommt weg“ – allerdings im Gegensatz zur Basis ihrer jeweiligen Parteien. Auch die CDU wollte das Lieferkettengesetz wieder abschaffen und machte sich in der europäischen Mutterpartei EVP für ein Zurückdrehen der Lieferkettenrichtlinie stark.

Die Abschwächungen der EU-Lieferkettenrichtlinie müssen nun vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat angenommen werden. Aus Kreisen, die mit dem Prozess vertraut sind, heißt es, die Kommission wolle das möglichst schnell erreichen. Die Mehrheit im Rat sollte gesichert sein. Im Europäischen Parlament ist die EVP allerdings auf eine Mehrheit mit den extrem rechten Parteien angewiesen, um die Änderungen anzunehmen. Die haben bereits ihre Unterstützung öffentlich gemacht. Das würde nicht zuletzt ein Einreißen der Brandmauer auch auf europäischer Ebene bedeuten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen